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Was ist Musik 30.Todestag von Lester Bangs

ByteFM: Was ist Musik vom 29.04.2012

Ausgabe vom 29.04.2012: 30.Todestag von Lester Bangs

Gonzo hack, Berserkermoralist mit ausgeprägtem Radar für Doppelmoral, tirades from the outer limits of the amphetamine zone, Rock 'n' Roll as literature, literature as Rock 'n' roll. Zum 30.Todestag von Lester Bangs.

"Lou Reed ist der Typ, der Heroin, Speed, Homosexualität, Sadomasochismus, Mord, Frauenhass, angesoffene Passivität und Selbstmord mit Würde und Poesie und Rock’n’Roll versehen hat“. (Lester Bangs)

"The greatest gonzo hack, that rock´n´roll writing has ever spawned…tirades from the outer limits of the amphetamine zone…crazed, electrifying rantspeak." (Barney Hoskyns über Lester Bangs)

"Ich war offensichtlich brilliant, ein begnadeter Künstler, ein sensibles männliches Wesen, das keine Angst davor hatte, seine Verletzlichkeit zu zeigen, einer der wenigen Leute, die wirklich begriffen hatten, was mit unserer Kultur nicht stimmte und warum sie deshalb auch keine Zukunft haben konnte (ein Thema, über das ich bereits sprach/zu dem ich unaufhörlich improvisierte Reden hielt, vor allem betrunken, was oft, wenn nicht jede Nacht, der Fall war), ein attraktives kleines Arschloch, dazu noch gut im Bett, obwohl ich selbstverständlich mit einer von meinem Geschlecht und meinem Alter völlig unabhängigen Weis­heit gesegnet war. Und ich wusste, dass das natürlich überhaupt keine Rolle spielte, ich war witzig, hatte einen abgefahrenen Sinn für Humor, ein wirklich einzigartiges, unberechenbares Individuum, ein praktizierender Rock ’n’ Rol­ler mit eigener Band, wenn nicht heute, dann vielleicht morgen, ein Anwärter auf den Titel Bester Schriftsteller Amerikas (wer war besser? Bukowski? Burroughs? Hunter Thompson? Ach, Blödsinn! Ich war der Beste. Ich schrieb fast nichts außer Plattenkritiken, und davon auch nicht viele..." (Lester Bangs)

“Rock 'n' Roll as literature, literature as Rock 'n' roll.” Greil Marcus über Lester Bangs.

"In der Zeit meiner Kritikertätigkeit ist die Zeilenzahl pro Schallplatte um gut zwanzig Prozent gesunken (empirische Erhebung in meinem Privatarchiv) – nach drei Sätzen soll die/der Leserin schließlich wissen, ob sich die dreißig Mark lohnen. Am liebsten sind natürlich inzwischen auf den ersten Blick erkennbare Punktwertungen. Dahinter stehen nicht nur Layoutreformen oder die schiere Masse an Neuerscheinungen, in der sich angeblich niemand mehr zurechtfinden kann. Die Bedeutung des musikkritischen Wortes sinkt generell. Dass sich heute der Chef einer Major-Firma bei einem Redakteur über eine Besprechung beschwert, ist undenkbar. Als Lester Bangs für den Rolling Stone schrieb, riefen die Vorsitzenden ständig an – so lange, bis Bangs aus dem Mitarbeiterkreis verbannt wurde.
(Martin Pesch, „Der Poet, der zuschlagen konnte“, taz, 3.5.2000, damals kostete die taz 1 DM)

„Aus der New Yorker Zeit der späten Siebziger stammt ein Foto, auf dem Patti Smith und Lou Reed zu sehen sind. Sie gähnt, er reibt sich das Kinn. Neben ihnen auf dem Matratzenlager liegt bequem Lester Bangs, die Hände auf dem Bauch gefaltet. Er schaut gedankenverloren in die Luft. Hier ist er ganz an seinem Platz, seine Helden in der Nähe, im Kopf schon die richtige Formulierung. Sein Schreiben ist ohne diese Distanzlosigkeit nicht denkbar und resultierte aus der Gewissheit, dass es sinnlos wäre, würde man nicht mit Haut und Haaren dazugehören. Deswegen kämpfte er sich Zeit seines Lebens an den Image Winkelzügen eines Lou Reed ab; deswegen war er geschockt vom bewußten Umgang der englischen Punkband The Clash mit ihrer öffentlichen Wirkung und ließ eine Reportage über sie – selbstredend der längste Text, der je im New Musical Express abgedruckt wurde – in der götterdämmerungsartigen Anrufung verloren geglaubter Ideale enden.“ (Martin Pesch, „Der Poet, der zuschlagen konnte“, taz, 3.5.2000)

Der Text über The Clash erscheint als Dreiteiler am 10., 17. und 24.12. 1977 im NME. Er umfaßt 16236 Wörter oder 102.940 Zeichen, das entspricht heute etwa dem jährlichen Gesamtwortvolumen des NME. Oder zwei Ausgaben der neuen Buchreihe Suhrkamp Digital.

Lester Bangs über The Clash, 10., 17. und 24.12. 1977:
„Der Grund dafür ist ein beharrlicher Humanismus, der hinter ihrer verdrahteten rauen Soundkulisse lauert. Es ist schwierig, den Finger auf die eigentlichen Texte zu legen, die größtenteils ziemlich verzweifelt sind, aber es liegt irgendwie in der Art der Aussage, wenn jemand wie Mark P. schreibt, ihr Debütalbum sei sein Leben. Um das in der Musik von The Clash würdigen zu können, müsste man vielleicht ein Mensch sein, der erkennt, dass der nach einem Riot schreiende Joe Strummer eine positive Aussage macht. Man spürt, wie diese Musik vor Wut und Schmerz kocht, wie sie an dem Bissen des gegenwärtigen Systems kaut, und man erhascht einen flüchtigen Blick auf eine neue und bessere Welt.
Ich weiß, es ist leicht, zynisch über all das zu schrei­ben; tatsächlich ist heute eines der uncoolsten Dinge, die man machen kann, sich verpflichtet zu fühlen. The Clash fühlen sich so verpflichtet, dass sie regelrecht militant sind. Deshalb sprechen sie mit einer Autorität, die sonst noch niemand aufgebracht hat, davon, dass die britische Jugend für ihre unmittelbaren Belange bei einer Behörde Schlange stehen muss. Und weil sie das tun, bezweifle ich, dass sie für die meisten amerikanischen Hörer Sinn machen.
Aber mehr dazu später. Weil wir uns gerade mit dem Thema Politik beschäftigen, möchte ich einige Dinge klar stellen:
1. Ich weiß einen Scheißdreck über das Englische Klassensystem
2. Ich interessiere mich einen Scheißdreck für das Englische Klassensystem
Ich habe schon davon gehört, o.k. Ich habe gehört, es habe etwas damit zu tun, warum Rod Stewart jetzt Musik für Hausfrauen und Pete Townsend so viel Scheiß macht. Dass irgendein NME-Schreiberling mir höhnisch zuzischte, »Joe Strummer hat eine verschissene Mittelschichtbildung, Mann!«, hat vermutlich auch etwas damit zu tun. Und vermutlich soll das andeuten, dass er einen Dreck wert ist und dass seine Songs deswegen alle gefakte Straßengraffiti sind. Was für mich in Ordnung ist. Joe Strummer ist ein Fake. Das stellt ihn lediglich auf eine Stufe mit Dylan und Jagger und Townsend und den meisten anderen großen Songschreibern des Rocks, weil sie fast alle auf die eine oder andere Art Fakes sind. Townsend hat eine Mittelschichtbildung. Lou Reed ging auf die Syracuse University, bevor er sich auf den Gehsteigen New Yorks immatrikulierte. Dylan hat seine ganze Karriere nur gefaked; der einzige Unterschied besteht darin: er war gut und jetzt ist er scheißnervend.
Der Punkt ist, wie Richard Hell sagt, Rock’n’Roll ist eine Arena, in der man sich neu erschafft und dieses ganze Geschwafel über Authentizität ist nur ein Haufen Schrott. The Clash sind authentisch, weil ihre Musik eine so brutale Überzeugung vermittelt, nicht weil sie edle Wilde sind.“

Sind Rockkritiker gescheiterte Rockmusiker? 1981 nimmt Lester Bangs eine Platte auf. Seine Band nennt er The Delinquents, das Album „Jook Savages on The Brazos“ geht mehr oder weniger unbemerkt unter. In Deutschland wird es 1995, 13 Jahre nach seinem Tod, veröffentlicht und bekommt erstmals die verdiente Aufmerksamkeit. In einer umfangreichen Besprechung bemerkt die Kritikerin Sandra Grether „daß man in ihr den Geist einer unerschöpflich wachen und doch erschöpften Persönlichkeit wiederfindet. Ein Stück heißt (nach einem Céline-Zitat programmatisch für sein Schaffen (und seinen Humor): „Life is not worth living (But Suicide's a waste of time)”

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Playlist

1.  Lester Bangs And The Delinquents / I’m In Love With My Walls
Jook Savages On The Brazos / Moll
2.  Robert Quine / Fred Maher / ‘65
Basic / EG
3.  The Clash / Remote Control
The Singles / CBS
4.  The Clash / Complete Control
The Singles / CBS
5.  The Clash / White Riot
The Singles / CBS
6.  Booker T. & The Mg’s / Time Is Tight
Up Tight / Stax
7.  The Clash / Time Is Tight
Super Black Market Clash / CBS
8.  The Clash / White Man In Hammersmith Palais
The Singles / CBS
9.  Delroy Wilson / I’m Still Waiting
The Story Of Jamaican Music / Island
10.  Public Image Limited / Swan Lake (Death Disco)
Jah Wobble – I Could Have Been A Contender / Trojan
11.  Richard Hell & The Voidoids / Blank Generation
Blank Generation / Philips
12.  Richard Hell & The Voidoids / Betrayal Takes Two
Blank Generation / Philips
13.  The Foundations / Build Me Up Buttrecup
Rock Music From Britain Of The 60’s Vol.2 / Vogue
14.  The Yardbirds / I’m A Man
Greatest Hits / F3
15.  The Count Five / Psychotic Reaction
Psychotic Reaction / Line
16.  Sam The Sham & The Pharaohs / Wooly Bully
Nuggets / Rhino
17.  Question Mark & The Myterians / 96 Tears
Best Of / ABKCO
18.  Charles Mingus / All The Things You Could Be By Now If Sigmund Freud’s Wife Was Your Mother
Charles Mingus Presents Charles Mingus / Waxtime
19.  Charles Mingus / Track B-Duet Solo Dancers
Black Saint And The Sinner Lady / Impulse
20.  Iggy And The Stooges / Raw Power
Metallic K.O. / Skydog Records
21.  Lester Bangs And The Delinquents / Life Is Not Worth Living (But Suicide’s A Waste Of Time)
Jook Savages On The Brazos / Moll
22.  Lester Bangs And The Delinquents / I Just Want To Be A Movie Star
Jook Savages On The Brazos / Moll
23.  Lou Reed / Metal Machine Music
Anthology / BMG
24.  Lou Reed / Street Hassle
Anthology / BMG