Jerry Paper – „Abracadabra“ (Album der Woche)

Bild des Albumcovers „Abracadabra“ von Jerry Paper

Jerry Paper – „Abracadabra“ (Stones Throw Records)

„Abracadabra“ ist ein wahrlich mystisches Wort. Eine magische Formel. Fünf Silben, untrennbar verbunden mit dem Übersinnlichen. Doch was bedeutet eigentlich dieses zauberhafte Kauderwelsch, das fast jedes Kind kennt? Da gibt es mehrere Theorien: Einerseits ist die Betonung auf die ersten vier Buchstaben des Alphabets – A, B, C, D – bemerkenswert. Dann gibt es einen potentiellen arabischen Ursprung – „abreq ad habra“ bedeutet in etwa „der Donner, der tötet.“ Die spannendsten Herleitungen finden sich im Aramäischen: „Avrah k’davra“ lässt sich als „Ich werde erschaffen, während ich spreche“ übersetzen, während „Abra ka-Dabra“ für „Es vergeht wie das Wort“ steht.

Besonders die letzten beiden Interpretationen scheinen es Lucas Nathan angetan zu haben. Der kalifornische Produzent und Singer-Songwriter veröffentlicht seit acht Jahren unter dem Decknamen Jerry Paper schwurbeligen Weirdo-Pop: Lo-Fi-Funk-Grooves treffen auf psychedelische HipHop-Beats, 60er-Jahre-Fuzz-Pop flirtet mit john-mausiger Electronica. Sein neuestes Album ist seine zweite Veröffentlichung auf dem HipHop-Tastemaker-Label Stones Throw Records – eine LP, für die Nathan sich mit der Macht der Sprache auseinandergesetzt hat. Mit der Kraft und der Vergänglichkeit der Wörter. Der passende Titel: „Abracadabra“.

Zauberhaftes Kauderwelsch

Hört man nicht genau hin, dann ist „Abracadabra“ ein sehr smoothes Album. Nathan hat erstmals eine vierköpfige Band um sich versammelt, die eine klebrig süße Mischung aus Funk und R&B spielt. Manchmal wabert eine genüsslich verzerrte Gitarre vorbei, wie im Opener „Quicksand“, mal zerschneidet ein seltsamer Synthesizer die vernebelte Luft. In „Cholla“ erklingt ein Wah-Wah-Bass, auf den Thundercat stolz wäre. Die E-Gitarren oszillieren so schön windschief wie auf den frühen Mac-DeMarco-Platten.

Doch die Smoothness trügt. „It feels so big / a bundle in my throat / it feels like i’ll explode“, singt Nathan in „Spit It Out“. Sein Gesang, ein weiches Crooning irgendwo zwischen Frank Sinatra und Ariel Pink, stolpert, bringt nur zwei Silben auf einmal heraus. Die unausgesprochenen Wörter bleiben im Hals stecken, versetzen die angenehmen Smooth-Jazz-Vibes des Songs mit einer schwer aushaltbaren Spannung. Jerry Paper weiß: Die nicht gesagten Wörter sind manchmal mächtiger als die gesagten. Er erschafft, sowohl während er spricht, als auch wenn er nicht spricht. Man sollte sich nicht von seinem zauberhaften Kauderwelsch einlullen lassen. Hinter „Abracadabra“ lauert sehr viel mehr, als man zunächst vermuten mag.

Veröffentlichung: 15. Mai 2020
Label: Stones Throw Records

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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