Paint – „Spiritual Vegas“ (Mexican Summer)
Eine Tugend, die im Informationszeitalter ein bisschen vernachlässigt wird, ist das Staunen. Nicht das überwältigende, absolut gerechtfertigte Wundern, Verzweifeln und Aufwühlen, das einem im täglichen Newsfeed im Stundentakt überkommt. Sondern das pure, fast schon kindliche Staunen. Im Park spazieren, einfach die Augen (und die möglicherweise geweiteten Pupillen) öffnen und merken: Das ist schon alles irgendwie magisch.
Dieses Staunen hat in der psychedelischen Musikwelt schon länger einen festen Platz. 1998 brachten Neutral Milk Hotel diesen euphorischen Existenzialismus mit der unsterblichen Zeile „How strange it is to be anything at all“ auf den Punkt, während Bands wie Pink Floyd schon Jahrzehnte vorher die bizarre Schönheit von Raum und Zeit besangen. Auch Paint, das Soloprojekt des Allah-Las-Songwriters und -Gitarristen Pedrum Siadatian, schlägt in diese Kerbe. Nicht umsonst beginnt sein zweites Album „Spiritual Vegas“ mit der Zeile „It‘s a strange world / It never stops surprising me.“
Euphorischer Existenzialismus
Die Wörter klingen erst einmal nüchtern, könnten sowohl negativ als auch positiv konnotiert sein. Doch die Musik spricht eine andere Sprache. Sie ist lupenreiner Psych-Pop: Die Gitarren zwitschern gut gelaunt, Schlagzeug und Bass grooven wie auf Wolken. Genau wie Allah-Las begeistert auch Siadatians Soloprojekt nicht mit revolutionären Ideen, sondern mit detailverliebtem, ansteckend gut gelauntem Handwerk.
Und dieses Handwerk kann sich wahrlich hören lassen: Siadatians Gitarre klingt mal nach den melodischen Höhenflügen von Television, dann wieder nach dem tighten Thai-Funk von Khruangbin. Seine Rhythmusgruppe macht das Stolpern zur hohen Kunstform: Mit der virtuosen Einheit von zwei Synchronspringern stürzen sie sich in den psychedelischen Nebel. Siadatians gedoppelte Stimme klingt, als könnte er sich ein konstantes Grinsen kaum unterdrücken. „The moment you find laughter’s the key / The sooner you’ll be free“, singt diese Stimme. Und man kommt aus dem Staunen nicht raus.
Veröffentlichung: 10. Juli 2020
Label: Mexican Summer