„DMD KIU LIDT“ von Ja, Panik wird zehn Jahre alt

Bild des Albumcovers von „DMD KIU LIDT“ von Ja, Panik, das im April 2021 zehn Jahre alt wird.

Ja, Panik – „DMD KIU LIDT“ (Staatsakt)

Es war einmal eine Gruppe namens Ja, Panik. Sie bestand einst aus fünf Exil-Burgenländlern, die gemeinsam Musik machten. Ihre Töne und Texte sorgten mit ihrer Deutsch und Englisch verquickenden Lyrik und ihren prätentiösen, politischen Manifesten bei manchen für Nasenrümpfen. Andere huldigten sie als Heilsbringer des Diskurs-Pop, die den überwiegend unpolitischen deutschsprachigen Indie der Nuller- und Zehner-Jahre wieder gefährlich und aufregend machten.
Meinungen sind in der Musik natürlich ein subjektives Thema, doch im Fall der Gruppe Ja, Panik kann man hier schon einmal sagen: Zweitere Bevölkerungsgruppe hatte recht.

Der Beginn eines Jahrzehnts

Das Album, das die volle Stärke dieser Band zeigt, trägt den Namen „DMD KIU LIDT“ – na klar, eine Abkürzung für „Die Manifestierung des Kapitalismus in unserem Leben ist die Traurigkeit“. Diesen Titel kann und sollte man gerne prätentiös nennen. Gleichzeitig erschien die LP zum Anfang eines Jahrzehnts, das mit einer Wirtschaftskrise begann und in einer globalen Pandemie endete. Eine Dekade, die immer und immer wieder demonstrierte, dass der Markt mehr wert hat als der Mensch. Sie hätte mit keinem passenderen Album beginnen können. Am 15. April 2021 wird „DMD KIU LIDT“ zehn Jahre alt.

Sänger und Gitarrist Andreas Spechtl, Bassist Stefan Pabst, Schlagzeuger Sebastian Janata, Pianist Christian Treppo und Gitarrist Thomas Schleicher waren nicht immer so. Ihr 2006 veröffentlichtes, noch als Quartett aufgenommenes Debüt „Ja, Panik“ war relativ straight. Ein pointiert geschriebenes und bereits damals mit seinem Denglisch aus der Masse hervorstechendes, aber dennoch greifbares Pop-Album. Der Nachfolger „The Taste And The Money“ brachte die Wut und den Umzug nach Berlin, den Zusammenschluss zu einer konspirativen Wohngemeinschaft. Damit handelte es sich nicht um eine kultige Kumpel-WG – im „Bands-die-in-Kommunen-Wohnen“-Spektrum, mit Annenmaykantereit auf der einen und Crass auf der anderen Seite, schlugen Ja, Panik klar in letztere Richtung aus. Das zeigte nicht zuletzt ihr 2009er Album „The Angst And The Money“, mit dem die Gruppe zum ersten Mal Manifeste publizierte.

Ein katastrophales Seufzen

In einem dieser Manifeste bezeichnete Schleicher die „Existenz der Gruppe Ja, Panik“ als einen „verzweifelten Hilfeschrei“. „Ein alter Gaul, nach dem Gnadenschuss verlangend.“ Genauso beginnt „DMD KIU LIDT“, mit einem Aufruf zum Gnadenschuss: „Save the planet, kill yourselves“, singt die Band im Chor im Opener „This Ship Ought To Sink“. Die Botschaft: Egal wie sehr Du glänzt, egal, wie sehr Du Dich anstrengst, dieses Schiff wird untergehen. Diese performative Resignation kulminiert in einem dissonant stolperndem Slide-Gitarrensolo, ein in Musik verwandeltes, katastrophales Seufzen.

Das sollte nicht zu wörtlich genommen werden: Ja, Panik rufen nicht zum Selbstmord auf, stattdessen zeigen sie die Unmenschlichkeit des Systems. Es scheint wie eine überspitzte Variation auf Theodor W. Adornos berühmtes Bonmot: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“ Ja, Panik nehmen ihn beim Wort: Der Freitod als letzte Verweigerung gegen den Spät-Kapitalismus ist ein wiederkehrendes, ironisches Motiv. „Suicide is lo-o-o-o-ove“, singt Spechtl später auf diesem Album.

Das liest sich alles deutlich verzweifelter, als es klingt. „Trouble“ ist nicht nur textlich der versöhnlichste Song des Albums, auch die dichten Orgel-Akkorde wärmen das Herz. Musikalisch ist „DMD KIU LIDT“ die bis dato vielseitigste LP der Band. „Barbarie“ wird nur von einem Streichertrio getragen. „Surrender“ betört mit einem leichtfüßigen Groove, der auch von den jungen Talking Heads stammen könnte.

Verweigerung und Resignation

„The Horror” und “Run From The Ones That Say I Love You” oszillieren zwischen den späten The Velvet Underground und den frühen Roxy Music, die auch später mit „Bittersweet“ gecovert werden. „Time Is On My Side” ist eine Oldschool-Ja-Panik-Hymne, vorgetragen mit der Energie von älteren Songs wie „Thomas Sagt“. „The Evening Song“ kommt im schunkeligen Blue-Eyed-Gospel-Gewand daher.

Und dann gibt es noch die zwei Kernstücke des Albums. Ersteres ist „Nevermind“, eine zum Großteil nur von Spechtls Stimme und Gitarre angetriebene Ballade. Jede der fünf Strophen ist einem Bandmitglied gewidmet: Dem „blutjungen und schicken“ Janata, dem von „hunderttausend Strangers“ belagerten Pabst, dem „immer on the run“ seienden Schleicher, dem „Mr. Bloom“ Treppo und schlussendlich ihm selbst: „Der Hass hat sich so tief in mich gefressen / Dass ich wohl ganz verloren bin.“ Gegen dieses einsame Ende steht der Refrain, der tröstende Moment auf diesem betont wenig tröstlichen Album. „Vielleicht weil es / Dich nur als den Einen gibt / Hinter dem das Viele liegt.“ Alles wird gut, „solang sich Deine situation in meine Richtung neigt“.

Das zweitere ist der 14 Minuten lange Titelsong, der „DMD KIU LIDT“ mit apokalyptischem Gewicht beschließt. Spechtl beginnt den Song entrückt und ernüchtert: „Unterm Strich war ich nicht öfter oben als unten / Aber ja, ich war nie mittendrin / Ich bin ausgezogen in Sachen Liebe und Hass / Ich kann nicht sagen, dass ich wieder gut heimgekommen bin.“ Am Ende, in Strophe zehn, lässt er alle Bildsprache fallen und spuckt die Themen dieses Albums ungefiltert aus: „Ja, aber exakt genau, genau das ist der Punkt / Dass all uns’re problems wie unsere ganz eigenen paar scheinen.“

Eine Faust in die Luft, eine in den Magen

Jeder Satz ist ein Faustschlag, mal triumphal in die Luft, mal mitten in die Magengrube. „Die kommende Gemeinschaft liegt hinter unseren Depressionen / Denn was und wie man uns kaputt macht, ist auch etwas, das uns eint.“ „Denn nicht Du bist in der Krise, sondern die Form, die man Dir aufzwingt.“ „Bis zum Rand voll mit Strategien rennst Du als Fremder durch die Welt / Und dass Du nichts dagegen tust / Ist eine dieser Strategien / Du stammelst was von Pazifismus und lässt Dich ficken für ein Handgeld / Und Du hast nicht einmal geschrien.“

Am Ende sind Spechtl, seine Band und ihr Publikum außer Atem. Der Song „DMD KIU LIDT“ ist das größte Manifest, das Ja, Panik je schrieben. Und es ertönt zum Ende ihres größten Albums. Bis dato: In wenigen Wochen erscheint ein neues Album der Gruppe Ja, Panik. Auch dieses, ihr erstes seit sieben Jahren, hat wieder einen potentiell prätentiösen Titel. Es heißt einfach „Die Gruppe“ (und diese Gruppe ist nicht mehr dieselbe wie vor zehn Jahren, Schleicher und Treppo haben die Band mittlerweile verlassen, an ihrer statt ist Gitarristin und Keyboarderin Laura Landergott nun festes Mitglied). Auch dieses neue Album erscheint zu Beginn eines neuen, angsterfüllenden Jahrzehnts. Die Zeit scheint reif für das nächste Meisterwerk von Ja, Panik.

Veröffentlichung: 15. April 2011
Label: Staatsakt

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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