Sleater-Kinney – „Path Of Wellness“ (Album der Woche)

Bild des Albumcovers von „Path Of Wellness“ von Sleater-Kinney, das unser ByteFM Album der Woche ist.

Sleater-Kinney – „Path Of Wellness“ (Mom+Pop)

Sleater-Kinney haben allen Grund der Welt, ausgebrannt zu sein. Die vergangenen sechs Jahre gestalteten sich für die US-Indie-Rock-Band überaus intensiv und anstrengend zugleich. Erst ein furioses Comeback, kulminierend in der allseits geliebten Reunion-LP „No Cities To Love“. Dann unzählige Konzerte. Dann eine kontroverse neue LP, „The Center Won’t Hold“, begleitet von einem kräftezehrenden Pressemarathon. So viele negative Rezensionen wie noch nie zuvor (obwohl die ByteFM Redaktion sehr angetan war). Kritik an der Arbeit ihrer Gastproduzentin St. Vincent. Und, möglicherweise am anstrengendsten, der Ausstieg ihrer langjährigen Drummerin Janet Weiss, nach eigener Aussage wegen „künstlerischer Differenzen“. Dann war da noch eine globale Pandemie, die ihrer Welttournee – die endgültig beweisen sollte, dass Sleater-Kinney auch im neuen Format mitreißen können – den Wind aus den Segeln nahm. Nicht die angenehmste Situation, in der die Gründungsmitglieder Corin Tucker und Carrie Brownstein sich also befanden.

Dementsprechend verwundert es nicht besonders, dass ihre neueste LP mit ein bisschen weniger Tamtam angekündigt wurde. „Path Of Wellness“ ist, an sich betrachtet, auch eine etwas verhaltenere Angelegenheit. Passé sind die Synthesizer- und Glamrock-Experimente des Vorgängers, genau wie die glorreichen Fäuste-in-die-Luft-Hymnen von „No Cities To Love“. Am Mischpult saßen zum ersten Mal Tucker und Brownstein persönlich. Die emotionale Dringlichkeit und die eng verstrickten Gitarrenriffs, die ihre früheren Glanzstücke wie „Dig Me Out“ und „The Hot Rock“ zu Indie-Rock-Klassikern machten, treten auch in den Hintergrund. Stattdessen zeigen sich Sleater-Kinney auf „Path Of Wellness“ fokussiert. Und so gut wie seit „No Cities To Love“ nicht mehr.

Perfide Unaufdringlichkeit

Sleater-Kinneys musikalisches Alleinstellungsmerkmal war stets die basslose Gitarrenwand, konstruiert aus Tuckers und Brownsteins dicht umschlungenen Gitarrenfiguren. Umso überraschender beginnt „Path Of Wellness“ ausschließlich mit Bass und Schlagzeug. Der Titeltrack eröffnet das Album mit einem leichtfüßigen Groove. „Do I seek approval? / Is it something that I need?“, singt Tucker über dieses minimalistische Arrangement. Dass „approval“, also Zustimmung, ihr nicht so wichtig zu sein scheint, zeigt der Song: Es ist ein feiner kleiner Pop-Song, meilenweit von den gewohnt herzzerreißenden Sleater-Kinney-Hymnen entfernt. Ein perfide konstruiertes Stück Rock-Musik, dessen unaufdringliche Hookline sich viel tiefer setzt, als man zuerst für möglich hält.

Diese perfide Unaufdringlichkeit zieht sich durch die gesamte LP. Songs, die subtil wirken, sind tiefer, als sie scheinen. Die poppige Single „High In The Grass“ entpuppt sich als Sezierung von jugendlicher Unschuld: „We cannot hear the chimes when it rings midnight / We can’t imagine what we will lose”, singt Tucker im Refrain. Genauso steckt hinter der anschmiegsamen Engtanz-Rock-Fassade von „Complex Female Character“ eine bissige Medien-Satire, von Brownstein gesungen aus der Perspektive eines performativ progressiven, im Kern aber durch und durch misogynen Hollywood-Produzenten. Ein Punkt, der auch musikalisch im kurzen, aggressiven Gitarrensolo klar wird. Und auch wenn Sleater-Kinney kurz die Zähne blecken, wie im Stoner-Rock-Riff von „Tomorrow’s Grave“ oder im langsam ausblutenden „Shadow Town“, tun sie das auf eine smartere Weise als viele ihrer Kolleg*innen. Und das waren Sleater-Kinney schon immer. Diese Band wirkt ganz und gar nicht ausgebrannt. Eher so, als würde sie gerade erst anfangen.

Veröffentlichung: 11. Juni 2021
Label: Mom+Pop

Bild mit Text: „Ja ich will Radiokultur unterstützen“ / „Freunde von ByteFM“

Das könnte Dich auch interessieren:



Deine Meinung

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.