Carole King – „Tapestry“ (Album der Woche)

Bild des Albumcovers von „Tapestry“ von Carole King, das unser ByteFM Album der Woche ist.

Carole King – „Tapestry“ (Ode Records)

Da zum Jahreswechsel traditionell wenig neue Musik veröffentlicht wird, nutzen wir die Chance, um zurückzublicken: Statt neuer Langspieler stellen wir wegweisende Alben vor, die 2021 ein Jubiläum gefeiert haben. In dieser Woche ist es „Tapestry“ von Carole King, das 50 Jahre alt geworden ist.

Einer der schönsten Sätze des modernen Musikjournalismus wurde über Taylor Swift geschrieben. Und zwar im Jahr 2008, vom US-Journalisten Tom Breihan für das Magazin The Village Voice, über „Fearless“, ihr zweites Album. Der Satz lautet: „Respect motherfucking craft.“ Breihan bezog sich damals auf die schiere Handwerkskunst, die der Pop-Superstar auf dieser LP darbot. Swifts Musik mag und muss bei weitem nicht jedem oder jeder gefallen. Doch ihr Talent für das Erschaffen von Melodien, die von Millionen Menschen geliebt werden, das muss man respektieren.

Und wenn man über Pop-Musik als Handwerk redet, dann muss man auch über Carole King reden. Die US-Musikerin, Sängerin und Songwriterin war in den 60er-Jahren eine der erfolgreichsten Hit-Architektinnen des Jahrzehnts. Gemeinsam mit ihrem damaligen Ehemann Gerry Goffin war sie für einen signifikanten Teil der Pop-Charts verantwortlich: von The Shirelles‘ historischem Nummer-eins-Song „Will You Love Me Tomorrow“ über Little Evas „The Loco-Motion“ bis hin zu Aretha Franklins „(You Make Me Feel Like) A Natural Woman“.

Die King/Goffin-Arbeitsteilung war klar: Er schrieb die Texte, sie die Musik. Doch King verdankt ihren Status nicht nur den zahlreichen Hit-Melodien, die sie anderen Künstler*innen in den Mund legte. Nach ihrer Scheidung im Jahr 1968 gelang ihr das, was den meisten anderen Songwriter*innen verwehrt blieb: der Sprung von den Albumcredits auf das LP-Cover.
1971 veröffentlichte sie ihr zweites Soloalbum „Tapestry“. Nicht nur eines der erfolgreichsten Pop-Alben aller Zeiten, sondern eine der großen Meisterleistungen in Sachen popmusikalischer Handwerkskunst.

Respektiert das Handwerk

Wenn man mit über 50 Jahren Abstand diese Platte auflegt, fühlt sie sich wie eine Greatest-Hits-Sammlung an. Das liegt einerseits daran, dass zwei der Songs schon vor der „Tapestry“-Veröffentlichung etablierte Gassenhauer waren: Sowohl „(You Make Feel Like) A Natural Woman“ als auch Kings und Goffins erste Nr. 1 überhaupt „Will You Love Me Tomorrow“ sind auf dieser LP in einer Solo-Interpretation vertreten. Andere Songs dieses Albums wurden in späteren Versionen noch erfolgreicher, wie das im selben Jahr von James Taylor an die Spitze der Charts transportierte „You’ve Got A Friend“ oder das von Quincy Jones für sein gleichnamiges Album neu interpretierte „Smackwater Jack“. Auch „Where You Lead“ ist heutzutage ein unsterbliches Stück Popkultur – schließlich wurde eine neue Version des Songs als Titelmusik für die Serie „Gilmore Girls“ verwendet.

„Tapestry“ ist aber noch viel mehr als nur eine Sammlung von vielen bekannten Melodien. Jeder einzelne Song dieses Albums ist ein detailverliebt konstruiertes Stück Piano-Folk-Pop, versehen mit jazzigen Ornamenten und weichem Rhythmusgruppen-Fundament. Als Sängerin ist Carole King ganz klar keine Aretha Franklin – und das weiß sie auch. Statt auf energiegeladene Gesangssalven konzentriert sie sich auf ihre persönliche Stärke: eine komplett unbeschwert anmutende Perfektion. Ihre Stimme tanzt elegant durch die komplexen Arrangements, als wäre es das Leichteste auf der Welt. Keine Songs zeigen das besser als die von ihr selbst gelandeten Hits dieses Albums: der nonchalante Soul-Rock-Opener „I Can Feel The Earth Move“ und „It’s Too Late“ – der möglicherweise netteste Trennungssong der Pop-Geschichte (in dem außerdem endlich mal die Frau die Verlassende war).

Geerdetes Pop-Meisterwerk

Der kommerzielle Erfolg von „Tapestry“ ebnete den Weg für unzählige jazzig-folkende Soft-Rock-Acts, die im Verlauf der 70er-Jahre aus den Radios dudelten. Einer von ihnen, James Taylor, singt auf diesem Album sogar gemeinsam mit Joni Mitchell Backup. Die Grundformel dieses Albums ließ sich leicht reproduzieren. Doch während ihre Epigonen schnell kitschig und glatt klangen, klingt diese LP auch heute noch geerdet, wahrlich zeitlos. Das liegt vor allem an Kings unaufgeregter Stimme, die diese Musik stets auf dem Boden hält.

In nicht allzu ferner Zukunft werden Künstliche Intelligenzen in der Lage sein, mathematisch durchperfektionierte Pop-Hits zu schreiben. Doch „Tapestry“ erinnert an die Wichtigkeit des menschlichen Faktors. An das Handwerk, das hinter perfekter Pop-Musik steckt. Und das hat Respekt verdient.

Veröffentlichung: 10. Februar 1971
Label: Ode Records

Bild mit Text: „Ja ich will Radiokultur unterstützen“ / „Freunde von ByteFM“

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