Alt-J – „The Dream“ (Rezension)

Von Lena Klasen, 17. Februar 2022

Bild des Albumcovers von „The Dream“ von Alt-J.

Alt-J – „The Dream“ (BMG)

7,8

Coca-Cola, Kryptowährungen, Kokain und True-Crime-Mördergeschichten – Dinge, die man nicht unbedingt mit einem Alternative-Indie-Album verbinden würde. Doch genau diese Themen vereinen Alt-J auf ihrem neuen Longplayer „The Dream“. Und soviel soll vorab gesagt sein: Die Inhalte sind noch lange nicht das Außergewöhnlichste auf dem Werk, das eine Bandbreite an Genre-Einflüssen und Soundeffekten vereint, bei der einem schon einmal schwindelig werden kann.

Nach dem bis dato letzten Album „Relaxer“ (2018) wurde es still um die britische Band. Drei Jahre, in denen das Trio eine bewusste Schaffenspause eingelegt und sich auf sein Leben außerhalb der Musik konzentriert hat. Und somit auch drei Jahre, in denen sich viele Ideen in Gus Unger-Hamilton, Joe Newman und Thom Green angestaut haben, die nun in dem Viertlingswerk „The Dream“ explodieren konnten.

Der sommerlich-leichte „U&Me“ führte die Hörer*innen als erster Vorgeschmack 2021 mit Lines wie „Summer Holiday, Having Fun“ und plätscherndem Groove auf einen gänzlich falschen Pfad. Denn trotz Momenten des Lichts ist „The Dream“ ein düsteres Werk, das sich mit den Abgründen des Menschseins beschäftigt. Doch mit dem Musikvideo zur Single, das zum ersten Mal (!) alle drei Bandmitglieder zeigt, setzt „U&Me“ dennoch eine sehr wichtige Message in Bezug auf den Longplayer: Alt-J sind mehr bei sich denn je und funktionieren nach zehn Jahren Bestehen wie eine Einheit.

Experimentierfreude & thematische Tiefe

Und die Beziehung ist nach der langen Zeit keinesfalls eingeschlafen, im Gegenteil: Es wird viel experimentiert. Da wären mit „Get Better“ und „Powders“ einmal die eher klassischen, persönlichen Songs über Liebe und Beziehungsthemen. Beide gespickt mit gesprochenen Parts von den jeweiligen Partnerinnen der Bandmitglieder. Auf den ersten Blick scheint auch „I‘m Happier When You’re Gone“ ein solcher Track zu sein. Doch bei genauerem Hinhören zeichnet sich dann – und das ist charakteristisch für das gesamte Werk – die Tiefe ab, die hinter den Worten steckt. Begleitet von beruhigenden Streichern reift der Song zu einer unterschwelligen Self-Empowerment-Hymne heran, die einer betrogenen Frau zu alter Stärke verhilft.

Dann ist da „Chicago“ – ein anfangs pianolastiger Track, der langsam aufgeht und kurz darauf mit schepperndem Four-to-the-Floor-Beat für Club-Vibes sorgt. Auf „Losing My Mind“ hat sich sogar ein kleiner deutschsprachiger Part geschlichen. „Oh es war einfach“ heißt es aus Sicht eines Mörders in dem unheilvoll ruhigen Stück, in dem die Zeile „I’m Losing My Mind“ nahezu mantraartig wiederholt wird. Und dann wäre da noch „Philadelphia“, der düstere Höhepunkt des Albums, inszeniert durch dramatische Operngesänge und dem markanten, sanft-schwülen Gesang von Joe Newman, der das Schicksal eines einsam und angsterfüllt sterbenden Menschen beschreibt.

Gewiss, „The Dream“ ist keine leichte Kost. Viele Songs entwickeln ihre Genialität und Tiefe erst nach einer Weile. Beim Nebenbei-Hören würde man schier überfordert von Audi-Hupen, Geldzählmaschinen-Sounds („Hard Drive Gold“) und Meeresrauschen („Powders“) oder dem wilden Mix aus Indie-Folk, Alternative, Blues und Techno-Einsprengseln, die selbst innerhalb der Songs variieren. Doch hat man sich einmal darauf eingelassen, entfaltet „The Dream“ seinen Zauber und eröffnet düstere Schicksale und emotionale Geschichten, die noch lange im Kopf bleiben. Ebenso wie die reine Bewunderung über den Facettenreichtum, den das Trio auf dem Werk so gekonnt wie nie beweist.

Veröffentlichung: 11. Februar 2022
Label: BMG

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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