Automatic – „Excess“ (Album der Woche)

Cover des Albums „Excess“ von Automatic, das unser ByteFM Album der Woche ist.

Automatic – „Excess“ (Stones Throw Records)

Einer der unausweichlichen Anglizismen im Musikjournalismus ist nach wie vor „tight“. Klar, schließlich gibt es ja auch kein gutes deutschsprachiges Äquivalent. Die direkte Übersetzung wäre „fest“ oder „eng“, aber was soll denn das bitte bedeuten? Beschreiben tut dieses ironischerweise sehr schwammige Wort in etwa den Zustand, wenn eine Band sehr gut miteinander harmoniert. Doch um ein bisschen mehr als nur das geht es schon. Tightness ist mehr ein Gefühl als ein klar definierbarer Zustand. Nicht unähnlich der Liebe lässt sich schon ziemlich genau einschätzen, ob etwas tight ist oder nicht, ohne ganz genau zu wissen, warum.

Vielleicht braucht es auch gar nicht solch verkopfte Auseinandersetzungen, um diesem mystischen Wort näher zu kommen. Denn wenn man einmal nicht mehr sicher ist, was Tightness eigentlich bedeutet, kann man einfach die Musik von Automatic auflegen. Das Trio aus Los Angeles erschien 2019 mit dem Debütalbum „Signal“ auf der Bildfläche, auf dem sich die drei Musikerinnen förmlich weigerten, auch nur eine einzige Mikrosekunde zu verschwenden. Ihre Songs sind „tight“ im Sinne von „absolut luftdicht“: Durch die Rhythmusgruppe, bestehend aus Bassistin Halle Saxon und Schlagzeugerin Lola Dompé, kann man keinen Kieselstein durchwerfen. Um dieses felsenfeste Fundament lässt Izzy Gaudini ihre Maschinenklänge oszillieren – Automatic spielen minimalistischen Post-Punk mit Synthesizer statt Gitarre. Im Vergleich zu ihren musikalischen Vorreitern wie Gary Numan oder den späteren Wire hat das Trio aber keine Zeit für Experimente. Automatic-Songs sind kurz, schnörkellos und gnadenlos eingängig.

Absolut luftdicht

Auf ihrem zweiten Album „Excess“ machen Automatic da weiter, wo sie auf „Signal“ aufgehört haben. Schließlich haben sie hier eine Formel gefunden, die keinerlei Updates nötig hat. „New Beginning“ täuscht zu Beginn der LP eine verträumte neue Richtung vor – bis Dompé nach 40 Sekunden die Motorik-Drums losmarschieren lässt. „Maybe thеre’s enough to save us / Maybe there’s enough to dream“, singen sie, bis Gaudini die Luft mit kräftigen Sägezahnsynthesizern zerschneidet. Ihre oft im Chor singenden Stimmen mögen betont gelangweilt klingen – langweilig klingt diese Musik jedoch nie. Dafür sorgen auch die dezenten Variationen auf das Automatic-Rezept im Verlauf von „Excess“: „Skyscraper“ kommt mit erfrischendem Midtempo-Groove daher, über den Dompé elektronische Sirenen heulen lässt. „Automaton“ ist ein fünfminütiger Disco-Krautrock-Hybrid, irgendwo zwischen Donna Summer, Blondie und Neu! Zu all diesen Retro-Exkursionen sinniert die Band in ihren Texten über die spätkapitalistische Konsumhölle, in der immer wieder der gleiche Müll von vor Jahren verkauft wird. Die Musik von Automatic hat viele Schichten. Und sie ist vor allem eins: unfassbar tight.

Veröffentlichung: 24. Juni 2022
Label: Stones Throw Records

Bild mit Text: „Ja ich will Radiokultur unterstützen“ / „Freunde von ByteFM“

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