U.S. Girls – „Bless This Mess“ (Album der Woche)

Cover des Albums „Bless This Mess“ von U.S. Girls, das unser ByteFM Album der Woche ist.

U.S. Girls – „Bless This Mess“ (4AD)

Als Meg Remy 2007 anfing, unter dem Namen U.S. Girls Musik aufzunehmen, lag ihr die Vorstellung, dass sie in der Zukunft einmal einen großen Pop-Entwurf in Albumform präsentieren würde, eher fern. Sie war eine junge Künstlerin aus Chicago, die sich nach einem Grafikdesignstudium im kanadischen Toronto niedergelassen hatte und begann, mit einem Tonbandgerät zu experimentieren. Aufgewachsen war sie mit Riot Grrrl und Anarcho-Punk und auch ihre ersten Veröffentlichungen klangen nun zwar nicht gerade nach Punk-Rock, aber doch lo-fi und stressig. Und das Attribut „lo-fi“ ist in diesem Zusammenhang wörtlich zu nehmen. Denn frühe Alben wie „Introducing“ und „Go Grey“ klangen wahrlich (bewusst) schrottig, sodass es gelegentlich schwer war, die Zutaten des klanglichen Breis zu identifizieren. Manchmal schälten sich aus den alptraumhaften Klangcollagen Echos aus der 60s-Girlgroup-Ära, verschüttet unter dem Geröll der Jahrzehnte.

Mit der Zeit lichteten sich die Schmutzschichten auf Remys Aufnahmen und langsam kamen die Songs hinter dem Geräusch zu Vorschein. Als U.S. Girls 2015 mir der LP „Half Free“ ihr 4AD-Label-Debüt gab, war ihr Sound halbwegs bekömmlich geworden. Über Einflüsse wie Trip-Hop, Rock, Dub, Disco und noch immer Girlgroup-Pop breitete Remy den düsteren Schleier, der ihr Trademark-Sound geworden war. Während Echos und Aufnahmeartefakte den Vergangenheitsbezügen jedwede Nostalgie nahmen, besang Remy die Kehrseiten von Beziehungen. Als sie drei Jahre später mit „In A Poem Unlimited“ zurückkehrte, hatte sie eine Funk-Fusion-Band an ihrer Seite. Damit war der erste Schritt in die Pop-Phase von U.S. Girls getan. Nachdem Remy 2020 auf „Heavy Light“ ihr gesangliches Timbre etwas gezähmt hatte, kommen nun auch die Songs fokussiert-poppiger daher. Ohne feste Band unter Mithilfe von Marker Starling, Basia Bulat und anderen entstanden, ist „Bless This Mess“ das vielleicht konsistenteste U.S.-Girls-Album. Die Referenzpunkte sind dabei divers: Gospel, Hardrock, House, Billy Joel und alle möglichen Schattierungen von 80s-Pop.

Akzeptanz des Unbekannten

Obschon Pop-Faktor und Tanzbarkeit ihren bisherigen Höhepunkt in der Diskografie von U.S. Girls erreicht haben, gilt das nur für die musikalische Ebene. Für das neue Album hatte Remy sich zum Ziel gesetzt, „das Unbekannte als emotionale Note zu akzeptieren“. Das mag vage und grenzesoterisch klingen, ergibt aber Sinn vor dem Hintergrund der Albumproduktion. Denn „Bless This Mess“ entstand während Remys Schwangerschaft mit Zwillingen (wie auch das Albumcover nahelegt). Die persönlichen und emotionalen Konsequenzen dieses Umstandes allein sind gigantisch. Doch auch auf den Schaffensprozess hat sich die Schwangerschaft direkt ausgewirkt. Beispielsweise in den mythologischen Themen im Opener „Only Daedalus“ oder im Titeltrack. Denn in altgriechischen Mythen suchte und fand Remy Erzählungen, die so episch waren wie der Umstand, dass drei Herzen in ihr schlugen. Doch auch die direkten körperlichen Auswirkungen prägten die Aufnahmen. Dass Remys Stimme sanfter denn je klingt, war zum Beispiel keine rein ästhetische Entscheidung. Sondern das Improvisieren unter sich stets verändernden Umständen – die angestrebte Akzeptanz des Unbekannten also. Denn mit Zwillingen im Bauch gab das Zwerchfell der Sängerin nicht mehr her.

Das Ende der Schwangerschaft und der sofortige Übergang in die ständige Fütterung zwei hungriger Neugeborenenmünder stehen auch am Ende des Albums. „Pump“ entstand tatsächlich als letzter Song und beinhaltet ein prominentes Sample von Remys Milchpumpe, das sich als Loop unter dem Funk-Bass wiederholt. Die Lyrics beginnen als Bericht aus dem Krankenhaus unmittelbar nach der Niederkunft und enden mit einem Durchbrechen der vierten Wand. Zunächst scheint Remy sich mit der gesprochenen Widmung im Outro an ihre Babies zu wenden, wenn sie von der unfreiwilligen, unvermeidlichen Verbindung durch Körper, Geburt, Tod und Maschinen spricht: „This one’s for you. And you.“ Doch es geht minutenlang weiter: „and you, and you right there, and you …“

Veröffentlichung: 24. Februar 2023
Label: 4AD

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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Diskussionen

2 Comments
  1. posted by
    Holger
    Feb 27, 2023 Reply

    So Typically Now ist für mich ein absoluter Über-Track! Totale Ekstase

  2. posted by
    Stefan
    Feb 28, 2023 Reply

    Wow, was eine Stimme und welche Variabilität in der Komposition. Als ein in den 80er musikalisch Sozialisierter ist ‚Bless this mess‘ für mich echtes ear candy. Made my day…

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