Fever Ray – „Radical Romantics“ (Album der Woche)

Cover des Albums „Radical Romantics“ von Fever Ray, das unser ByteFM Album der Woche ist.

Fever Ray – „Radical Romantics“ (Rabid Records)

Es beginnt mit einer Entschuldigung. „First I’d like to say that I’m sorry / I’ve done all the tricks that I can“, offenbart Karin Dreijer zur Eröffnung des dritten Soloalbums. Seltsame, vielleicht etwas beunruhigende Worte von einem Menschen, der stets und ohne Ausnahme hochspannende und radikale Pop-Musik veröffentlicht hat. Doch an seltsame Worte aus Dreijers Mund sollte man mittlerweile gewöhnt sein. Und die vorweggenommene Entschuldigung ist auch in Teilen nachvollziehbar. Schließlich ist neue Musik von Dreijer ein rares Gut. „Shaking The Habitual“, die letzte LP des schwedischen Duos The Knife, das Projekt mit Bruder Olof Dreijer, erschien im Jahr 2012 – und markierte ein definitives Ende der Band. Dreijers Soloprojekt Fever Ray ist immerhin noch aktiv, wobei „aktiv“ hier nicht produktiv meint: Das selbstbetitelte Debüt erblickte 2009 das Licht der Welt, der Nachfolger „Plunge“ folgte 2017 und seitdem kam so gut wie nichts.

Und trotz dieser langen Wartezeit ergeben Dreijers entschuldigende Worte beim Hören von „Radical Romantics“ doch irgendwie Sinn. Denn die Musik klingt erst einmal gar nicht so neu. Die ersten vier Tracks des Albums vereinen Karin Dreijer mit The-Knife-Partner und Bruder Olof, mit Ergebnissen, die – nicht verwunderlich – stark nach The Knife klingen. Die bedrohlich kriechende Tanzmusik von „New Utensils“ könnte sich nahtlos auf „Shaking The Habitual“ einfügen, während der liebliche Synth-Pop von „Kandy“ gut zu frühen Singles wie „Heartbeats“ passt. Durch einen anderen Song, „Carbon Dioxide“, geistert sogar direkt die Melodie von „Pass It On“. Sind Dreijer tatsächlich die Ideen ausgegangen?

Radikale Liebe und explizite Morddrohungen

Die Antwort lautet: natürlich nicht. Nach vier Songs auf relativ gewohntem Terrain legt Dreijer in „Even It Out“ richtig los. Der Song kulminiert schließlich in einer expliziten Morddrohung. Wer ist das Ziel? Der Junge, der Dreijers Kind in der Schule drangsaliert. Genau wie das von den Gastproduzenten Trent Reznor und Atticus Ross gehämmerte Industrial-Rock-Instrumental zeigt sich auch der Text kompromisslos: „One day we might come after you, taking back what’s ours / And then we cut, cut, cut, cut, cut.“ Puh …

Das sind die inhaltlichen und musikalischen Schleudertraumata, die so nur Fever Ray verursachen kann. Schließlich ist „Radical Romantics“, trotz der immer wieder aufblitzenden Gewalt, aus Liebe geboren, wie ein dem Album beiligendes Manifest von Dreijer offenbart. Liebe zur Welt, zu den Klängen, zur Berührung, zur Haut. „Just a little touch“, singt Dreijer immer und immer wieder in „Shivers“, mit diesem kehligen, jeden Atemzug aufsaugenden Jauchzen.

Viele Songs des Albums vibrieren nur so vor Lebensfreude, von den ekstatisch zappelnden Bassdrums von „Tapping Fingers“ bis zu den plötzlich über „Carbon Dioxide“ hereinbrechenden Streichern. Das abschließende „Bottom Of The Ocean“ besteht im Verlauf von sieben Minuten nur aus Drones und geloopten „Oh-Oh-Oh-Oh-Oh“-Vocals, und ist trotzdem von vorne bis hinten zum Heulen schön. Fever Ray muss sich nicht neu erfinden, denn Karin Dreijer scheint sich so wohl in der eigenen Haut zu fühlen wie noch nie – und lässt uns daran teilhaben. „The radical romantic gets apologies over with“, schreibt Dreijer. Erst danach ist Platz für Liebe.

Veröffentlichung: 10. März 2023
Label: Rabid Records

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

Das könnte Dich auch interessieren:

  • Bild von Karin Dreijer aka Fever Ray.
    Mit „What They Call Us“ hat Karin Dreijer aka Fever Ray die erste neue Musik seit dem 2017er Longplayer „Plunge“ herausgebracht....
  • Cover des Albums Yes Lawd! von NxWorries
    Knxwledge bastelt lässige Samples à la Madlib, Anderson .Paak rappt locker und mit viel Soul darüber. Ein paar uneilige Beats dazu – fertig ist „Yes Lawd!“, das Debüt der HipHop-Kollaboration mit dem Namen NxWorries....
  • Klez.e – „Desintegration“ (Album der Woche)
    Mit "Desintegration" schauen Klez.e zurück ins Jahr 1989. Das Album ist eine Hommage an ihre Jugend und an damals wie heute vergötterte Wave-Bands wie The Cure, die Schwermut so schön in Musik verpackten....


Deine Meinung

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.