Die 20 besten Afrobeat(s)-Alben aller Zeiten

Foto von farbenfrohen Stoffbarren als Visualisierung des Genres Afrobeat

Beim Afrobeat trifft Highlife auf Funk, Jazz und Yoruba-Traditionen

Was haben Paul McCartney, Talking Heads, Vampire Weekend und Drake gemeinsam? Sie hatten alle früher oder später in ihrer Karriere ein einschneidendes Erlebnis mit dem Afrobeat. Das in den späten 60er- und frühen 70er-Jahren in Nigeria und Ghana entstandene Genre darf zu den einflussreichsten Musikrichtungen des afrikanischen Kontinents gezählt werden. Bei einem Konzert vom Afrobeat-Urvater Fela Kuti kamen besagtem Beatle 1972 die Tränen (während Kuti später McCartney beschuldigte, auf seinem Album „Band On The Run“ die Musik des Schwarzen Mannes zu stehlen).

Talking Heads ließen sich für die Tape-Loop-Experimente von „Fear Of Music“ und „Speaking In Tongues“ direkt von Kutis hypnotischen Epen inspirieren. Vampire Weekend sind neben Foals und Yeasayer nur eine von vielen jüngeren Indie-Bands, die in den Nullerjahren Afrobeat-Klänge appropriierten. Und Drake? Dessen 2016er Smash-Hit-LP „Views“ ist neben jamaikanischem Dancehall auch von nigerianischen Afrobeat-Klängen durchzogen – wobei hier deutlich mehr die moderne, R&B und Pop miteinbeziehende Variation Afrobeats Pate stand.

Noch viel spannender als all die westlichen Rock- und Popsternchen, die diese Sounds in ihre Musik aufsogen, sind die Künstler*innen, die diese Musik tatsächlich entwickelten. Die Geschichte des Afrobeat und des Afrobeats-Subgenres ist lang, spannend und in ihrer Komplexität schwer herunterzubrechen. Wir haben es trotzdem versucht: Das sind die 20 besten Afrobeat(s)-Alben aller Zeiten! Wie immer chronologisch und nicht nach Qualität sortiert.

Orlando Julius – „Super Afro Soul“ (1966)

Cover von Orlando Julius – „Super Afro Soul“, eines der besten Afrobeat(s)-Alben aller Zeiten

Wie viele Musiker*innen seiner Zeit war Orlando Julius großer Anhänger des Highlife, ein in Ghana entstandenes, sich durch jazzige Bläser und repetitive Gitarrenfiguren auszeichnendes Genres. Julius, selbst 1943 in Nigeria geboren, startete seine Karriere als Saxofonist in diversen Highlife-Gruppen, bis er in den frühen 60er-Jahren begann, in seiner eigenen Musik US-amerikanischen R&B und Soul einfließen zu lassen. Sein Debütalbum „Super Afro Soul“ gilt als eines der frühesten Exemplare des Afrobeat-Sounds: Julius und seine Band The Modern Aces spielen eine hypnotische Kombination aus nigerianischem Jùjú, Highlife und Funk, die auch über ein halbes Jahrhundert später immer noch Schwindel verursachen kann.

Fela Kuti & Africa ’70 – „Afrodisiac“ (1973)

Cover von Fela Kuti & Africa '70 – „Afrodisiac“, eines der besten Afrobeat(s)-Alben aller Zeiten

Es wäre ein Leichtes, diese Liste einfach mit 20 LPs aus der genauso dichten wie faszinierenden Diskografie Fela Kutis zu füllen (das tun wir hier aber nicht, für eine detailliertere Auseinandersetzung mit dem Fela-Kuti-Universum empfehlen wir diesen Artikel zu seinem 80. Geburtstag). Schließlich ist der Name Fela Kuti quasi synonym mit dem gesamten Genre. Der 1938 in Nigeria geborene Künstler trieb Orlando Julius‘ USA- und Westafrika-Fusion noch weiter auf die Spitze. Seine Band Africa ’70 war eine Naturgewalt aus diversen Percussions, Gitarren und Saxofonen, die in ihren oftmals länger als zehn Minuten andauernden Workouts Raum und Zeit aus den Angeln heben konnten.
Einige seiner besten Songs finden sich auf seinem siebten Album „Afrodisiac“. „Alu Jon Jonki Jon“ eröffnet die Platte mit einem verzerrten, von Kuti gespielten E-Piano-Riff, gefolgt von kräftigen Funk-Bläsern und einem sich unnachgiebig im Kreis drehenden, von vier Perkussionisten angetriebenen Groove. Auch im Verlauf der nächsten drei Tracks fällt das Energielevel für keine Sekunde ab. „Afrodisiac“ zeigt auch die politische Sprengkraft des Afrobeat. Im abschließenden „Je’nwi Temi (Don’t Gag Me)“ singt Kuti in der Sprache der nigerianischen Yoruba, dass er, selbst wenn er im Gefängnis säße, seinen Mund niemals halten würde. Eine Aussage, die sich im von allerlei Auseinandersetzungen mit der nigerianischen Regierung gezeichneten Leben Fela Kutis bewahrheiten sollte.

The Funkees – „Dancing Time: The Best Of Eastern Nigeria’s Afro Rock Exponents“ (1973-77)

Cover von The Funkees – „Dancing Time: The Best Of Eastern Nigeria's Afro Rock Exponents“, eines der besten Afrobeat(s)-Alben aller Zeiten

Im Kontrast zu den ausufernden Epen Fela Kutis verpackten The Funkees ihren Afrobeat in kürzere Tracks. Ihr Sound kam auch ohne Bläser aus, stattdessen spielte die Band in einer „herkömmlichen“ Rock-Formation aus Gitarren, Bass, Keyboard, Drums und Percussion. Doch vom minimalistischeren Setup sollte man sich nicht täuschen lassen – The Funkees galten nicht nur als eine der besten Bands Ost-Nigerias, sie begeisterten nach einem Umzug ins UK auch das Londoner Publikum. Die 2012 vom Label Soundway Records veröffentlichte Compilation „Dancing Time: The Best Of Eastern Nigeria’s Afro Rock Exponents“ versammelt 18 Singles aus dem Œuvre von The Funkees – und zeigt eine Band, die mit Leichtigkeit den Dancefloor beherrscht. Songs wie „Abraka“ oder „Akula Owi Onyeara“ demonstrieren eine Tightness, die James Brown das Fürchten lehren könnte.

Hedzoleh Soundz – „Hedzoleh Soundz“ (1973)

Cover von Hedzoleh Soundz – „Hedzoleh Soundz“, eines der besten Afrobeat(s)-Alben aller Zeiten

Eine weitere Figur, der ein großer Teil der Popularität des Afrobeat zugeschrieben wird, ist Hugh Masekela. Der südafrikanische Trompeter veröffentlichte 1973 eine sehr erfolgreiche Zusammenarbeit mit der ghanaischen Band Hedzoleh Sounds namens „Introducing Hedzoleh Sounds“ – die aber leider die originalen Werke dieser Band deutlich überschattet. Erst 2010 legte das Label Soundway Records die verschollene, trompetenlose, wenige Monate vor dem Treffen mit Masekela aufgenommene Originalversion von „Hedzoleh Sounds“ wieder auf – und enthüllte dabei eine dichte, federleichte Psych-Rock-Afrobeat-Fusion, die ihren anderen ghanaischen und nigerianischen Kollegen in nichts nachsteht.

MonoMono – „The Dawn Of Awareness“ (1974)

Cover von MonoMono – „The Dawn Of Awareness“, eines der besten Afrobeat(s)-Alben aller Zeiten

Vor ihrem Umzug nach Großbritannien hießen The Funkees‚ größte lokale Konkurrenten MonoMono. Deren Bandleader Joni Haastrup war von Anfang an eine wichtige Figur des Afrobeat. Einen seiner ersten Auftritte hatte er auf Orlando Julius‚ „Super Afro Soul“. In den frühen 70er-Jahren wurde er zusätzlich vom Cream-Drummer und bekennendem Afrobeat-Fan Ginger Baker als Keyboarder arrangiert. In seiner eigenen Band MonoMono praktizierte er einen, gerade im Vergleich zu The Funkees, weniger kratzbürstigen und mehr souligen Sound. Ihr letztes Album „The Dawn Of Awareness“ ist butterweicher Soul-Funk, angereichert mit der typisch komplexen Polyrhythmik des Afrobeat.

T. P. Orchestre Poly-Rythmo – „Le Sato“ (1974)

Cover von T. P. Orchestre Poly-Rythmo – „Le Sato“, eines der besten Afrobeat(s)-Alben aller Zeiten

Wer denkt, dass Fela Kuti viel Musik veröffentlicht hat, sollte sich einmal mit der Diskografie des Orchestre Poly-Rythmo de Cotonou auseinandersetzen. Das unter diversen Namen (u. a. T. P. Orchestre Poly-Rhythmo, das T.P. Steht für „tout puissant“, sprich: „allmächtig“) auftretende Kollektiv aus Benin veröffentlichte über 500 Songs. Und nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ können sie es mit Kuti aufnehmen. Ihr Afrobeat ist deutlich psychedelischer und musikalisch abenteuerlicher, mit Ausflügen in verstrahlte Dissonanzen. Auf einem ihrer Meisterwerke „Le Sato“ findet sich sogar ihre Version einer Stax-Ballade („My Love“), der Psych-Rock-Freakout „Gnonnou Ho“ und mit „Gan Tche Kpo“ und „Min E Wa..We Non Dou“ zwei ausgedehnte Afrobeat-Stampfer, die dem „allmächtig“ in ihrem Namen alle Ehre machen.

K. Frimpong & His Cubano Fiestas – „ K. Frimpong & His Cubano Fiestas (Blue Album)“ (1976)

Cover von K. Frimpong & His Cubano Fiestas – „ K. Frimpong & His Cubano Fiestas (Blue Album)“, eines der besten Afrobeat(s)-Alben aller Zeiten

Ähnlich wie MonoMono sind auch die Songs von Alhaji Kwabena Frimpong genauso sehr vom Funk wie vom Highlife beeinflusst. Seine Band The Cubano Fiestas spezialisierte sich auf ultradichte Grooves, zusammengestellt aus zappeligen Gitarren-Licks, funky Hammond-Orgeln, Bläser-Fanfaren und einem eng verzahnten Netz aus Percussions. Ein komplexes Grundgerüst, über das der ghanaische Sänger mit Leichtigkeit seinen souligen Gesang entfalten konnte. „K. Frimpong & His Cubano Fiestas“, die erste von zwei selbstbetitelten LPs (aufgrund seinen Albumcovers als „Blue Album“ bekannt), beginnt mit seinem größten Hit „Kyenkyen Bi Adi M’awu“, einem der stärksten Afrobeat-Funk-Tracks der 70er.

Various Artists – „Nigeria 70 – Lagos Jump, Original Heavyweight Afrobeat, Highlife & Afro-Funk“ (1970er-Jahre)

Cover von Various Artists – „Nigeria 70 – Lagos Jump, Original Heavyweight Afrobeat, Highlife & Afro-Funk“, eines der besten Afrobeat(s)-Alben aller Zeiten

Den schier endlosen Fluss an aufregender Afrobeat-Musik aus Nigeria komplett zu durchschürfen, ist mehr als nur ein schönes Hobby. Es ist eine Lebensaufgabe. Unzählige Singles, ein großer Anteil von ihnen schon lange vergriffen. Aufgenommen von Acts, deren Biografie nur schwer zu enthüllen ist. Zum Glück gibt es Compilations, die einen bei dieser Aufgabe an die Hand nehmen – so wie „Nigeria 70 – Lagos Jump …“, ein 2008 veröffentlichter Querschnitt durch die vitale Musikszene Nigerias. Unter der geschulten Hand des professionellen Cratediggers Duncan Brooker folgt hier ein Synapsen verknotendes Meisterwerk auf das nächste, vom endlos loopenden Jùjú-Groove des Openers „Yabis“ (gespielt von Sir Shina Peters und seiner Band His International Stars) über den sanften, gitarrenlastigen Highlife von Peacocks Guitar Band bis zum zehnminütigen, schweißtreibenden Afrobeat-Workout „Wetin De Watch Goat, Goat Dey Watcham“.

Basa Basa – „Homowo“ (1979)

Cover von Basa Basa – „Homowo“, eines der besten Afrobeat(s)-Alben aller Zeiten

Kurz vorm Ende des Disco-Jahrzehnts begann die ghanaische Band Basa Basa (auch als Basa Basa Experience bekannt), mit Synthesizern und Dancefloor-Grooves zu experimentieren. Das Ergebnis wurde ihre lange verschollene Debüt-LP „Homowo“, eine der abenteuerlichsten Platten ihrer Zeit. Das von den Zwillingen Joe A. und John C. A. Nyaku angeführte Sextett fusionierte Afrobeat, Soul und Highlife mit New-Wave-Sounds und Proto-Electro-Vibes. Das ist aber mehr als nur Afrobeat für die Rollschuh-Disco – in dieser tanzbaren Mischung steckt auch ein aufwühlendes, politisches Bewusstsein, wie Songs wie „Together We Win“ und „African Soul Power“ beweisen.

Tony Allen – „HomeCooking“ (2002)

Cover von Tony Allen – „HomeCooking“, eines der besten Afrobeat(s)-Alben aller Zeiten

Wer die Popularität und den Sound des Afrobeat nur Fela Kuti zuschreibt, erzählt mindestens nur die halbe Wahrheit. Genauso wichtig wie das Songwriting und die Präsenz des Anführers war nämlich die Rhythmus-Zauberei seines Drummers Tony Allen. Wenige Menschen konnten die ultrakomplexe Polyrhythmik des Afrobeat so mühelos zum Swingen bringen wie der 1940 in Lagos geborene Schlagzeuger – Kuti sagte einst, Tony Allen in seiner Band zu haben, sei wie über fünf Schlagzeuger gleichzeitig zu verfügen.
Nach seinem Ausstieg aus Kutis Band im Jahr 1979 begann er, diesen Stil zu modernisieren. Neben seinen zahlreichen Kooperationen mit Damon Albarn waren es vor allem seine Soloalben, in denen er den Afrobeat in das neue Jahrtausend brachte. Auf „HomeCooking“ clasht der Sound von Africa ’70 auf Electronica, Dub und HipHop. Besonders letzteres klingt großartig: In „Woman To Man“ flowt der nigerianisch-britische MC Ty über Allens drei Grooves gleichzeitig spielenden Beat, als wäre es das Natürlichste auf der Welt.

The Souljazz Orchestra – „Manifesto“ (2008)

Cover von The Souljazz Orchestra – „Manifesto“, eines der besten Afrobeat(s)-Alben aller Zeiten

Parallel zu Tony Allens experimenteller Solokarriere kam es in den Nullerjahren zu einem großen Afrobeat-Revival in der westlichen Pop-Welt. Während US- und UK-Bands wie Vampire Weekend und Foals Fela-Kuti-Vibes in ihren Indie-Rock appropriierten, gab es aber noch eine Riege an Gruppen, die den Original-Sound des Genres verfolgten. Eine von ihnen war The Souljazz Orchestra aus Ottawa, die dem Afrobeat ein explosives Update verpassten. Ihr zweites Album „Manifesto“ ist – dem Titel entsprechend – ein hochgradig politisches Werk, mit kräftigen, antikapitalistischen Kampfhymnen, angetrieben von einer dringlichen Fusion aus hypnotischen Afrobeat-Grooves, hartem Funk und kubanischer Rhythmik.

Antibalas – „Antibalas“ (2012)

Cover von Antibalas – „Antibalas“, eines der besten Afrobeat(s)-Alben aller Zeiten

Eine andere zentrale Gruppe des modernen Afrobeat-Revivals waren und sind Antibalas. Genau wie The Souljazz Orchestra modernisiert das in zweistelligen Formationen auftretende Kollektiv aus Brooklyn die politische Sprengkraft des Genres – wie ihr zur Hochzeit der Occupy-Wallstreet-Bewegung veröffentlichtes fünftes Album „Antibalas“ beweist. „A man go hanging from a window / He call him uncle ‚Bail me now‘ / Uncle toss him rope of money / De money break, de man go fall“, intoniert Sänger Duke Amayo in „Dirty Money“, während seine Band dreckigen Afrobeat ausbreitet.

Melt Yourself Down – „Melt Yourself Down“ (2013)

Cover von Melt Yourself Down – „Melt Yourself Down“, eines der besten Afrobeat(s)-Alben aller Zeiten

Auch in der europäischen Jazz-Metropole London wütet(e) das Afrobeat-Revival. Wenige der unzähligen dort seit den Nullerjahren produzierten LPs kommen so abenteuerlich und wüst daher wie das selbstbetitelte Debüt des damaligen Sextetts Melt Yourself Down. Die beiden Saxofonisten Peter Wareham und Shabaka Hutchings (The Comet Is Coming, Sons Of Kemet, etc.) entfachen das volle zerstörerische Potential ihrer Instrumente, die öfter als seltener wie Kreissägen klingen. Dazu spielt die Rhythmusgruppe aus Bass, Drums und Percussions ein polyrhythmisches Feuerwerk, das direkt von Tony Allen und Konsorten beeinflusst wurde. So kaputt klang Afrobeat noch nie.

Yemi Alade – „Mama Africa (The Diary Of An African Woman)“ (2014)

Cover von Yemi Alade – „Mama Africa (The Diary Of An African Woman)“, eines der besten Afrobeat(s)-Alben aller Zeiten

Während Bands in Nordamerika oder Großbritannien den Afrobeat in die Gegenwart übersetzen, mutierte er in seiner Heimat in den Nullerjahren zu einem ganz neuen Genre: Afrobeats. Diese Afrobeat mit House, Dancehall und HipHop fusionierende Spielart zählt in Westafrika zu den populärsten Genres seit der Jahrtausendwende. So gehen auf „Mama Africa…“, dem zweiten Album von Yemi Alade (neben May7ven eine der zahlreichen Anwärterinnen auf den Titel „Queen Of Afrobeats“), moderne Electro-Ästhetik mit traditioneller Highlife-Rhythmik Hand in Hand. Die nigerianische Künstlerin präferiert selbst die Bezeichnung „afropolitanisch“ – ein guter Begriff für die ganzheitliche Pop-Fusion, die sie auf dieser hochspannenden LP perfektionierte.

Seun Kuti & Egypt 80 – „Black Times“ (2018)

Cover von Seun Kuti & Egypt 80 – „Black Times“, eines der besten Afrobeat(s)-Alben aller Zeiten

Manche Eltern vererben ihren Kindern Häuser, manche wertvolle Gegenstände – doch als Fela Kuti im Jahr 1997 unter bis heute mysteriösen Umständen starb, vererbte er seine Band. Kein leichtes Erbe, das der junge Seun Kuti antreten musste. Im Alter von nur 14 Jahren war Seun Bandleader einer der besten Gruppen seines Heimatlandes – und macht in seiner bisherigen Karriere dem großen Namen alle Ehre. Genau wie sein Vater verheiratet er tanzbaren Oldschool-Afrobeat mit bitterböser Regime-Kritik. Seine vierte LP „Black Times“ ist ein mächtiger Kraftbeweis – mit einem Sound, der gleichzeitig originalgetreu und hundertprozentig im Jetzt verwurzelt ist.

Angélique Kidjo – „Remain In Light“ (2018)

Cover von Angélique Kidjo – „Remain In Light“, eines der besten Afrobeat(s)-Alben aller Zeiten

Dass weiße Post-Punk-Bands wie Talking Heads von Fela Kuti und Konsorten fasziniert waren, ist kein Geheimnis. Deren 1980er Meilenstein „Remain In Light“ ist eine Verbeugung vor Kutis Sound. Vier Kunststudent*innen aus New York (plus Produzent Brian Eno), die nur mit Studio-Tape-Loop-Zauberei die Tightness ihrer Vorbilder reproduzieren konnten. Dass es sich hier um (immerhin nicht verschleierte) kulturelle Approriation handelte, ist auch kein Geheimnis. 38 Jahre später drehte Angélique Kidjo den Spieß wieder um. Die 1960 in Benin geborene Künstlerin veröffentlichte 2018 eine Coverversion der Talking-Heads-LP, eingespielt mit tatsächlichen Afrobeat-Künstlern wie Antibalas und Tony Allen. Besonders die Präsenz von letzterem verwandelt den neurotisch paranoiden Art-Funk von „Crosseyed And Painless“ in eine überschwängliche, lebensfrohe und virtuose Afrobeat-Party. Kidjo singt Teile der Songs in ihrer eigenen Sprache Fon – und macht sich diese Songs triumphal zu eigen.

Tiwa Savage – „Celia“ (2020)

Cover von Tiwa Savage – „Celia“, eines der besten Afrobeat(s)-Alben aller Zeiten

Auch Tiwa Savage ist eine Thronanwärterin um die Krone der Afrobeats. Ihr bisheriges Meisterwerk ist ihre dritte LP „Celia“. Der Afrobeats-Sound der nigerianischen Künstlerin kommt mit starkem R&B und Soul daher – weiche Pop-Balladen, umrahmt von Highlife-Gitarren und Afrobeat-Bläsern. Gastauftritte von westlichen Top-40-Stars wie Sam Smith unterstreichen die globale Relevanz dieses jungen Genres. Savage versteht Afrobeats als eine „Verkörperung der afrikanischen Frau“, die gleichzeitig „ihre Kultur wertschätzt und Frau von Welt ist“. Eine willkommene Perspektive im überwiegend männlich geprägten Afrobeat(s)-Kosmos.

Wizkid – „Made In Lagos“ (2020)

Cover von Wizkid – „Made In Lagos“, eines der besten Afrobeat(s)-Alben aller Zeiten

Apropos Top-40-Stars: Dank einer spektakulär erfolgreichen Zusammenarbeit mit Drake dürfte Wizkid zu den populärsten Afrobeats-Acts zählen. Vier Jahre nachdem er mit „One Dance“ zur globalen Sensation wurde, zollte der nigerianische Singer-Songwriter mit seinem vierten Album „Made In Lagos“ seiner Heimat Tribut. Es handelt sich um einen modernen Klassiker des Genres, ein meisterhafter Dreifach-Spagat zwischen westlichem Pop, karibischem Dancehall und nigerianischer Tradition, gespickt mit internationalen Gästen wie H.E.R., Skepta und Damian Marley. Für Tracks wie den Reggae-R&B-Afrobeats-Hybriden „Blessed“ würde sogar das schreckliche Unwort „Weltmusik“ tatsächlich einmal Sinn ergeben. Doch die Basis dieser grenzenloses Musik liegt, wie der Titel verspricht, in Lagos.

Keleketla – „Keleketla!“ (2020)

Cover von Keleketla – „Keleketla!“, eines der besten Afrobeat(s)-Alben aller Zeiten

Keleketla!“ „nur“ als ein Afrobeat-Album zu bezeichnen ist eine große Untertreibung. Diese LP ist das Ergebnis eines für wohltätige Zwecke versammelten Musik-Kollektivs, kuratiert vom britischen Electronica-Duo Coldcut, zusammengesetzt aus einer diversen Riege an Gastmusiker*innen. Sowohl aktuelle UK-Jazz-Stars wie Joe Armon-Jones oder Shabaka Hutchings als auch Afrobeat-Meister wie Tony Allen oder Antibalas spielen miteinander eine Genregrenzen ignorierende Fusion aus Jazz, Funk, Drum&Bass, Highlife, Gqom, Grime und – natürlich – Afrobeat. Letzterer ist dennoch das Bindeglied, das diese unterschiedlichen Stile miteinander verschweißt – wie der endlose Groove von „International Love Affair“ eindrucksvoll beweist.

Aṣa – „V“ (2022)

Cover von Aṣa – „V“, eines der besten Afrobeat(s)-Alben aller Zeiten

Afrobeat war für Aṣa schon immer eine wichtige Inspiration. Direkt hören konnte man das zunächst aber nicht. Die frühen LPs der nigerianischen Künstlerin wie z. B. „Aṣa (Asha)“ waren sehr folkige Angelegenheiten – doch der politische Spirit von Acts wie Fela Kuti war auch durch diese zurückgenommen arrangierten Lieder zu spüren. Auf ihrem aktuellen Album umarmt Aṣa nun den Afrobeats-Sound. Die Songs sind immer noch keine Party-Banger, dafür sind sie zu nachdenklich und schleppend. Doch die Highlife-Gitarren und -Bläser, kombiniert mit kunstvollen, elektronischen R&B-Klängen, erden ihre Musik auf wunderbare Art und Weise. Eines der ungewöhnlichsten und entspanntesten Werke des modernen Afrobeats.

Bild mit Text: „Ja ich will Radiokultur unterstützen“ / „Freunde von ByteFM“

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Diskussionen

1 Kommentar
  1. posted by
    Helge
    Mrz 23, 2023 Reply

    Moin,
    ich würd auf jeden Fall noch etwas von den Bhundu Boys ergänzen, z.B. dies:
    https://www.discogs.com/de/master/771690-Bhundu-Boys-Tsvimbodzemoto
    Viele Grüße,
    Helge

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