Konzertkritik: Bon Iver in der Columbiahalle, Berlin, am 01. November

Bon Iver | Chrissy Polcino (Flickr) | (CC BY-NC-SA 2.0)

Justin Vernon, Gesicht und Stimme des Bandprojekts Bon Iver, stand am Eingang der Columbiahalle in Berlin. Später sah man ihn an der Bar, im Raucherbreich, an der Garderobe, in der Schlange vor den Toiletten – Justin Vernon war überall. Kurze, dunkelblonde Haare, Dreitagebart, Karohemd. Die Dichte an Justin-Vernon-Lookalikes war frappierend beim gestrigen Konzert. Was macht dieser Mann, was macht diese Band aus den Großstädtern? Die der Natur abgeschworen haben und denen es nicht künstlich, nicht Moloch genug sein kann. Beim Konzert von Bon Iver spürte man plötzlich das Verlangen nach Handwerklichkeit, nach einer Jagdhütte, Wildnis, nach Bäumefällen. Ein Leben, an dem Ort, der auf dem Cover des neuen Albums abgebildet ist.

Justin Vernon betrat mit acht Musikern die Bühne. Die Inszenierung wurde perfekt ausgeleuchtet, keine Position der Band blieb dem Zufall überlassen. Die Roadies tauschten in Akkordarbeit die Gitarren aus, gleich zwei Drumkits erhoben sich zur Rechten und Linken der Bühne. Bon Iver ist keine Band mehr, die man als Geheimtipp weiterempfehlen kann. Bon Iver spielen mittlerweile vor mehreren tausend Menschen und sind einem breiteren Publikum bekannt geworden. Im musikalischen Duktus hat sich auf dem neuen Album „Bon Iver“ auch viel verändert. Während das Debutalbum „For Emma, Forever Ago“ noch überwiegend von Justin Vernon allein in einer Jagdhütte in der Einsamkeit von Wisconsin geschaffen wurde, lud er für seine neuen Songs mehrere Musiker zu den Aufnahmen ein.

Die Songs klangen auf seinem Konzert anders. Justin Vernon hat die Effektgeräte für sich entdeckt und kniete mit seiner Gitarre vor den Pedalen, tippte und presste auf die Knöpfe darauf ein um einen verzerrten, verstörten, entrückten Klang zu erzeugen. Bei seinen neuen Songs wie „Calgary“ oder „Minnesota, WI“ waren es vor allem die drei Blechbläser an Horn, Posaune und Basssaxophon, die für die Weichheit und Akzentuierungen in den Songs sorgten.

Und natürlich Vernons Falsettstimme. Was hätten viele Kritiker über Bon Iver geschrieben, wenn sie sich nicht über das Phänomen seiner Stimme auslassen könnten. Er springt zwischen Kopf- und Bruststimme und bewahrt dennoch solch eine Intensität und Stimmsicherheit, die Gänsehaut erzeugt.

Die Nackenhärchen stellten sich aber spätestens bei den Singles „Flume“ und Skinny Love“ auf. Die Halle verstummte, das Publikum starrte und hörte wie gebannt den Worten, die sich schon seit 2007 in ihr Gedächtnis gebrannt hatten: „I told you to be patient/ I told you to be fine/ I told you to be balanced/ I told you to be kind“. Vernons Stimme überschlug sich noch bei diesen machtlosen Befehlen und gerade bei diesen Worten schien er alleine auf der Bühne zu sein, obwohl die Band hinter ihm klatschte und schnipste und ihn stimmlich stützte.

Justin Vernon scheint es besser zu gehen, seine Musik ist heller geworden, sphärischer und mehr mit der Liebe zu Orten und Städten verbunden. Das neue Album wurde in einem restaurierten Haus ganz in der Nähe von Vernons Heimatort aufgenommen. Bon Iver haben nichts mehr mit den musikalischen Präferenzen eines Waldschrats zu tun. Jetzt geht es um das Gefühl, aus Vertrautheit, aber auch Langeweile gerissen zu werden. Die Band bringt ein Empfinden von Heimatverbundenheit in die Herzen abgeklärter Großstädter.

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