Das Lüften Festival – Frankfurts kreativer Luftstoß

Theater im Bahnhof
Foto: Die Performance-Gruppe Theater im Bahnhof, die beim Lüften Festival zu sehen war

Eine kleine Bemerkung vorneweg: Wieso dieses wirklich großartige Festival einen Namen hat, der nach muffeligen Mottenkugeln, dicken Staubschichten und der Vertreibung derselben durch aufgerissene Fenster, Putzwahn und Bettenausklopfen klingt – das wissen wohl nur die Veranstalter. Vielleicht liegt es daran, dass das Frankfurter Künstlerhaus Mousonturm, ansonsten Kurzzeit-Heimat für Konzerte, Kultur, Theater- und Kunstperformances, zur Sommerpause antrat, sich Zeit zum Aus-„Lüften“ genommen hat und diesen kreativen Luftstoß kurzerhand zum Festival hat mutieren lassen.

Alles in allem eine rundum sympathische und gute Idee – das Lüften Festival sollte nicht nur den Veranstaltungsort (eine riesige Konzerthalle gegenüber eines Farbwerkes außerhalb von Frankfurt, zu der selbst Bewohner ungern bis selten aufbrechen), sondern auch das klassische Festivalkonzept durchlüften. Das Lüften sollte eine Verbindung schaffen, zwischen 160 aufregenden Künstlern aus Pop, Performance, Tanz und bildender Kunst.

Das Gelände der Jahrhunderthalle Frankfurt wurde diesem Zweck entsprechend umstrukturiert. Die große Halle selbst wurde – einem Freiluft-Festival angemessen – nur spätabends oder für große Theater-/Tanzperformances (unter anderem einem brasilianischen Stück an dessen Ende alle Tänzer nackt über die Bühne rannten und krochen!) genutzt. Dafür wurden im Erdgeschoss des Gebäudes zahlreiche kleine und verwinkelte Konferenzräume geöffnet, in denen Konzerte, Performances und ständige Kunstaktionen auf den Besucher warteten. Besonderer Leckerbissen und Publikumsliebling war unter anderem eine Auto-Rennstrecke aus Schallplatten und Getränkekisten. Der riesige Parkplatz wurde von den Veranstaltern kurzerhand zu einer ARTCARGOBAY umgebaut (jeder der Künstler hatte sein eigenes Auto als Präsentations-Plattform), auf der es weniger um den konsumgeleiteten Vertrieb der eigenen Erzeugnisse ging, als darum, die Besucher mit künstlerischen Aktionen jeglicher Art zu begeistern. Ganz besonders angetan waren wir u. a. von dem Björn Sund Trio: Drei Männer in Trainingsanzügen, die „Angry Jazz“ und 43 Jahre Woodstock feierten, einer schweizer Performance-Gruppe, die den Zerfall der Menschheit mithilfe einer „Live-Simulation“ und der Zuschauer demonstrierte (und deren Mitglieder zu laufenden Bäumen und Fellmonstern mutierten), außerdem von einem Space-Konzert der Gruppe Les Trucs, die jeden Abend die musikalische Reise auf den Planeten Kristallo unternahmen und von dem Lyrik-Bus, in dem Passanten ihre „schönsten Worte“ zu großen Gedichten umformen konnten. Auch für das leibliche Wohl war natürlich gesorgt, rund um den Löschteich konnten Speis und Trank von Bratwurst und Bier bis zum veganen Sandwich und türkischem Kaffee erstanden und anschließend auf der Wiese verspeist werden. Musikalisch gab es viel zu hören und zu sehen – schon ohne das wirkliche Musik Line-up überhaupt betrachtet zu haben.

Das eine Betrachtung allerdings mehr als verdient! Der Freitag begann eher gemächlich, unter anderem mit sanften Klängen der Band Get Well Soon, gefolgt von den wunderbaren The Notwist, Ja, Panik und The Shins. Die Sonne schien und viele der (zugegebenermaßen ziemlich wenigen) Besucher saßen und lagen auf mitgebrachten Decken auf der Wiese oder tanzten ausgelassen herum. Highlight des Abends war wohl das The-Whitest-Boy-Alive-Konzert, zu dem sich gefühlt alle Besucher des Lüften aufmachten – wer wollte, konnte danach wie jeden Abend dank der DJs des Offenbacher In-Clubs Robert Johnson bis 7 Uhr früh die Nacht zum Tag machen. Und am Samstag gleich den großartigsten (Konzert-)Tag des insgesamt sehr schönen Festivals genießen: Beginnend mit dem mittäglichen Auftritt der Synthie-Bastler Peaking Lights (deren Musik übrigens auch ganz hervorragend zu Mittagssonne und Barfuß tanzen passt), konnten sich die geneigten Besucher beim wunderschönen Konzert von Gravenhurst und Jacques Palmingers LSD-Vorlesung der besonderen Art durch den Nachmittag tanzen. Neben den frisch wiedervereinigten Dexys gab es coole Musik von Dillon und dann war man schon an (zumindest meinem) Traum-Konzert des Wochenendes angelangt.

Pünktlich zur Geisterstunde spielte James Blake das wahrscheinlich kleinste Konzert seit einiger Zeit. In der riesigen Konzerthalle saßen Menschen in andächtiger Stille am Boden und lauschten den wunderbaren Synthie-Robot-Gesängen des Engländers. Unerreichter Höhepunkt des Lüften. Den leider verregneten Sonntag konnte man sich dank Kakkmaddafakka und Sharon Jones (gewaltige Stimme!) warm tanzen und bei Leslie Clio und Maximo Park weiter-zappeln, um mit Totally Enormous Extinct Dinosaurs‘ großartiger Bühnenshow (Konfetti-Pistolen!) und Alex Clare die letzten Kräfte herauszuschütteln. Und danach von Glückshormonen benebelt nach Hause zu schwanken, traurig dass es schon wieder vorbei ist.

Für eine Festival-Premiere haben es die Organisatoren des Lüften geschafft, unglaublich viele gute und anspruchsvolle Musiker auf die Bühnen zu bringen – und ganz besonders viele interessante Künstler, die man sich nicht nur anschaut, weil gerade nichts zu tun ist, sondern von denen ein Großteil extrem begeistern konnte! Das Ganze war wie eine kleine familiäre Kunst-Kommune: spannend, freundlich, schön. Die Chance, Künstler wie James Blake in einem sehr intimen Rahmen zu sehen, war für alle Besucher unglaublich – aber auch der einzige Nachteil des Festivals. Vertreten war dort größtenteils die Frankfurter „Künstler“-Szene und nur sehr wenig Menschen von außerhalb.

Fürs nächste Jahr gilt also hoffentlich: genauso tolle Künstler, aber so viele Gäste, dass sich das Festival auch etablieren kann!

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