Ein Brett um die Ohren – Gonjasufi in Stuttgart

GonjasufiFlickr | Achablive | (CC BY-NC-SA 2.0)

Ich warte schon lange darauf, dass mich eine Vorband mal wieder so richtig begeistert. So sehr, dass ich sie vielleicht sogar besser finde als die Band, wegen der ich eigentlich gekommen bin. Das letzte Mal war das der Fall, als mich meine Eltern zu einem Konzert von Simply Red mitgenommen haben. Das ist ziemlich lange her, Ende der 90er ungefähr. Es kann gut sein, dass ich damals noch ein einstelliges Alter hatte. Damals war jedenfalls Amanda Marshall die Vorband, und ich fand die irgendwie toller als Simply Red. Bis heute bin ich der Meinung, dass „Let It Rain“ und „I Believe In You“ ziemlich spitzenmäßige Powerballaden sind. Seitdem kann ich mich aber an keine Vorband mehr erinnern, die mich total umgehauen hätte. Nicht, dass nur schlechte dabei gewesen wären, die meisten waren sogar sehr okay, aber es war eben nichts Amanda-Marshall-mäßig Besonderes dabei. Am Sonntag beim Konzert von Gonjasufi in Stuttgart standen die Chancen nun seit langem mal wieder sehr gut, dass ich die Vorband besser als den Hauptact finden würde. Sun Glitters war nämlich als Support angekündigt, und dessen verträumten Lo-Fi-Electro mag ich sehr gerne. Laut der iTunes-Wiedergabestatistik sogar doppelt so gerne wie Gonjasufis psychedelischen Lo-Fi-Electro-Dub, zumindest wenn man nach den beiden meistgespielten Songs der Künstler geht. Kein fairer Kampf also, sollte man meinen.

Das Set von Victor Ferreira alias Sun Glitters (der mit 39 Jahren der Vater der meisten aktuellen Bedroom-Lo-Fi-Dream-Electro-Produzenten sein könnte) war schließlich auch so gut, wie man sich das vorgestellt hatte. Verträumte Soundlandschaften, verhuschte Vocal-Samples, drückende Bässe und jede Menge kleine Frickeleien, zu einem einstündigen Set zusammengeschmolzen, das der Luxemburger nur für zwei kurze Ansagen unterbrach. Zugegeben, einige Songs ließen sich nicht unbedingt voneinander unterscheiden, aber im Speakeasy herrschte trotz noch geringer Zuschauerzahl eine sehr glückselige Atmosphäre, an der auch die großartige und übertrieben riesige LED-Wand des kleinen Clubs seinen Anteil hatte, auf die entspannte, bunte Visuals projiziert wurden. Nach Sun Glitters ging man also erst mal sehr zufrieden aus dem Club, frische Luft schnappen und sich nebenan ein bisschen Italien gegen England anschauen, schließlich ist trotz der Führung des Kollegen Marc Beham bei der ByteFM-EM-Tipprunde das letzte Wort noch nicht gesprochen.

Als man aus dem Speakeasy kurze Zeit später tiefe Bässe hörte, konnte man sich recht einfach vom wenig packenden Fußballspiel losreißen, aber als man die Treppen des Clubs nach unten kam, bot sich erst mal ein unerwartetes Bild. Auf der Bühne standen an zwei Laptops, zwei Turntables, einem Mixer und einem Drum Pad drei Männer, die HipHop auflegten. Ob tatsächlich nur einer auflegte und die anderen zwei ihre Mails checkten, wie von einigen spekuliert wurde, wird wohl ein Geheimnis bleiben, aber es fühlte sich an wie ein ganz gewöhnlicher Samstagabend im Speakeasy – nur dass niemand tanzte oder sich Sachen ins Ohr schrie, sondern alle (wie man das beim Konzert halt macht) nach vorne auf die Bühne schauten. Einer der drei, der, wie sich später herausstellte, Dave hieß, hatte ein Gonjasufi-Shirt an und betätigte sich als Shouter. Was er shoutete, war nicht so einfach zu verstehen, aber egal: Das Publikum gab sich angeheizt. Und als die drei (die zwei? der eine?) dann den Song „Kobwebz“ anspielten und ein langbärtiger Mann mit dicken Dreads auf die Bühne kam, war klar, dass die drei Männer so etwas wie das Gonjasufi-Soundsystem waren. Kurz nachdem Gonjasufi die Bühne betreten hatte, war das Speakeasy von einem sehr süßlichen Geruch erfüllt. Und ein wenig roch es auch nach Bratwürsten. Woher letzterer Geruch kam, war nicht so ganz klar, aber es gibt sicher Schlimmeres. Die Hände des Publikums gingen jedenfalls sofort in die Höhe und wippten, die Köpfe nickten heftig, und erst da wurde bei genauerer Betrachtung der Konzertgänger klar: Die Röhrenjeans-Träger, die noch bei Sun Glitters in der Überzahl waren, waren in der Umbaupause durch Baggyjeans-Träger ersetzt worden. Und Gonjasufi gab auf die Songs, die live noch eine ganze Spur energetischer und drückender klangen als auf Platte, eine aggressive Rap-Performance, die Methodman zu seinen besten Zeiten hätte schlecht aussehen lassen. Von dem Ganzen war ich persönlich ein wenig verwirrt, denn ich hatte Gonjasufi nie so extrem als HipHop-Act wahrgenommen.

Ich habe mir seit dem Konzert mehrfach Gonjasufis Alben „A Sufi And A Killer“ und „MU.ZZ.LE“ angehört, weil ich mich gefragt habe, wie ich mich da so hatte täuschen können, wieso ich ihn nie ganz in die HipHop-Ecke gesteckt habe. Klar, die HipHop-Anleihen sind zweifelsohne da, die Beats, die Samples, aber ich bleibe dabei: Gonjasufi live und Gonjasufi auf Platte sind zwei verschiedene Dinge. Mittlerweile hat Gonjasufi Sun Glitters in meiner iTunes-Wiedergabestatistik klar überholt. Und das nicht nur, weil ich sie ein paar Mal auf ihre HipHop-Haftigkeit überprüft habe, sondern weil es ein großartiges Konzert war, nachdem sich meine Verwirrung langsam gelegt hatte, und ich seitdem einfach unglaublich Lust auf Gonjasufis Songs habe. Gonjasufi hatte auf der Bühne eine extreme Präsenz, sprang, tanzte und zuckte wie wild und hatte nach wenigen Minuten schon sein erstes Shirt durchgeschwitzt. Und obwohl seine Stimme wie gewöhnlich klang, als stünde er mit einem Megafon im Nebenzimmer, spürte man, wie viel Leidenschaft der Teilzeit-Yoga-Lehrer aus Las Vegas in seinen Vortrag packte – egal ob er sich bei „She Gone“ die Seele aus dem Leib schrie oder bei „Sheep“ zart ins Mikrofon hauchte. Die beiden DJs, die unter dem Namen Skrapez selbst ziemlich irre Musik machen, tobten sich an den Turntables und am Drum Pad aus und machten Gonjasufis Songs mit wilden Breaks noch ein Stück dynamischer. Und Dave? Der filmte mit seinem Handy hauptsächlich die riesige bunte LED-Wand hinter der Band.

Als nach der vierten Zugabe schließlich das Licht anging, fühlte man sich ein wenig, als hätte einem jemand ein Brett um die Ohren gehauen, aber auf eine gute Art und Weise. Und Amanda Marshall sitzt immer noch auf dem Thron der besten Vorband.

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