Neue Platten: Dieter Meier – „Out Of Chaos“

Dieter Meier - Out Of Chaos (Staatsakt)Dieter Meier – „Out Of Chaos“ (Staatsakt)

8,2

Hat Friedrich Liechtenstein nach dem sehr geilen Dorsch gleich ein ganzes Album veröffentlicht? Mitnichten. Zum Verwechseln ähnlich klingt hier singend, allerdings auf Englisch und ein bisschen auch auf Schwyzerdütsch, auf seinem neuen Album „Out Of Chaos“: Dieter Meier.

Wer Dieter Meier bisher nicht kannte (allerdings: Jeder kennt Dieter Meier, denn jeder kennt zumindest sein ominös-pornöses Löwengebrüll „Oh Yeah“), der wird aus dem Staunen nicht mehr herauskommen, denn: Dieter Meier hat nicht nur einen Namen, der wie Harald Töpfer klingt, er ist auch sonst – und das betrifft alles in seinem Leben – ein Magier im allgemeinhin kläglichen, alltäglichen Dasein des Menschengeschlechts.

Und das erklärt sich so: Meier wurde am 4. März 1945 in Zürich in eine Bankiersfamilie hineingeboren. Er studierte Jura, spielte dann aber lieber Poker. Alsbald kaufte er in New York jedem Passanten und jeder Passantin für einen Dollar „Jas“ und „Neins“ ab. 1971 war das. Kunstprojekt. 1972 ließ er während der documenta 5 in Kassel eine Metalltafel in den Boden am Kasseler Hauptbahnhof einbetonieren. Darauf stand geschrieben: „Am 23. März 1994 von 15.00 – 16.00 Uhr wird Dieter Meier auf dieser Platte stehen“. Das machte er dann auch. Kunstprojekt. Mit seinem Späte-70er-Musikprojekt Yello wird er international bekannt. Das ganz alltägliche Rat Race, so könnte man sagen, verarbeitete Dieter Meier da mit „The Race“. Kunstprojekt.

Wenn es das aber schon gewesen wäre, dann wäre es nicht magisch. Und das war es auch noch nicht. Denn von seinem Leben als Künstler abgesehen, besitzt Dieter Meier z. B. eine 10 000 Rinder umfassende Farm in Argentinien. Warum? Weil er Biorindfleisch produzieren wollte. Außerdem baut er Wein an. Biowein. Auf seinem eigenen Weingut. Kann man machen, könnte man meinen. Schließlich muss der Künstler auch essen und trinken. Und wer beides liebt, der bringt dann auch nebenbei ein Zürcher Nobelrestaurant wieder auf Vordermann, das alle anderen längst abgeschrieben hatten. Denn irgendwo will man sein boeuf argentin mit Wein schließlich zu sich nehmen.

Des Weiteren ist Dieter Meier Anteilseigner an Euphonix, einem Unternehmen, das mittlerweile Avid gehört und das Mischpulte und digitale Audio-Workstations herstellt. Außerdem ist er an zwei Holdings beteiligt. Mindestens 50 Millionen Franken sind es wohl, die da für Dieter Meier vor sich hinwerkeln, während er derweil im privaten Studio seiner Villa in Los Angeles, die er einst einem Stummfilmstar abkaufte, Musik produziert oder im Poncho über seine argentinische Ranch reitet oder ein neues Kunstprojekt plant …

Und dies war recht viel Vorrede dafür, dass es in dieser Albumbesprechung doch eigentlich um sein neues Album gehen sollte. Das hat aber seinen Grund. Denn so wie der Titel seines Kunstwerks „Le Rien En Or“ – das „Nichts in Gold“ – ist auch sein Leben zu verstehen. Auf seinem Album gibt es das schöne Zitat: „Got no reason why I do what I do“. Gesungen von einer Stimme, die von (nicht: „vom“) vielen Weinen und noch mehr Zigarren geformt worden sein muss, weiß man, dass hier ein Mann spricht, dessen Lebenserfahrung ihm längst die Antwort auf die alles entscheidende Frage auf die singenden Lippen geschrieben hat:

Gerade weil es nämlich keinen Grund gibt, gibt es alle Gründe bzw. ist jeder Grund so viel wert wie jeder andere. Solch’ Kneipenweisheit später Stunde kennt, wer sich selbst schon vom Klaren den Verstand hat vernebeln lassen. Und all jene, die die Morgen, die sie mit verbrummten Gedanken aufgewacht sind, nicht mehr zählen können, wissen um die tiefe Wahrheit dieses bei Tageslicht als nur scheinbar banales Pseudo-Wissen entlarvtes Gebrabbel eines nur scheinbar auszulachenden Betrunkenen.

Und ist es ein Widerspruch, dass ein gemachter Mann, ein Schweizer Multimillionär, darüber singt, dass das alles überhaupt keinen Sinn hat, außer – wenn man Glück hat – falls sich der Sinn als ein Sinn an sich, also als ein quasi ultimativer Sinn, aus der absoluten Sinnlosigkeit geboren, offenbart? Nein, es ist kein Widerspruch. Im Gegenteil, es ist genau das, was den Charme von „Out Of Chaos“ ausmacht. Ein Mann, der bereits in den 1980ern aufgrund der reinen Schönheit des Mondes (und erst recht der Sonne!) „Oh Yeah“ ins Mikro basste, der darf nicht nur, der muss sich in der kapitalistischen Apokalypse, in der wir heute leben, diese Frage stellen: „What the hell am I doing here?“

Und dieses „What the hell am I doing here?“ ist ganz nett anzuhören. Es macht Lust auf eine Kneipe, wo man Rummelsnuff-Matrosen antrifft und wo der Klare zur Fischbulette gereicht wird. Es erinnert aber auch an die Talking Heads, deren David Byrne mit dem grandiosen Song „Once In A Lifetime“ dasselbe Sujet auf eine ähnliche Weise zur Sprache bzw. zur Musik bringt. Ähnlich, aber, nun ja, intellektuell eindrücklicher. „Out Of Chaos“ ist ein Album wie ein Besuch der Stammkneipe. Da, wo der Klare noch angeschrieben werden darf. Rau und ehrlich.

Dieter Meier ist bald auf Tour – präsentiert von ByteFM:

06.05.14 Leipzig – UT Connewitz
07.05.14 Berlin – Berghain
23.05.14 Hamburg – Mojo Club
28.05.14 München – Freiheiz
29.05.14 Wien (A) – WUK
05.06.14 Frankfurt – Batschkapp
06.06.14 Köln – Gloria

Label: Staatsakt

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