20 Jahre „OK Computer“: Es ist okay, aber …

Foto der LP Am 21. Mai 1997 wurde Radioheads drittes Album „OK Computer“ erstmals veröffentlicht

Vor 20 Jahren erschien mit „OK Computer“ das dritte Album von Radiohead – seitdem tauchte es in zahlreichen Ratings und All-Time-Favourite-Listen immer wieder als einer der musikalischen Meilensteine der 90er auf und wurde in der Retrospektive mit jedem Jahr größer und legendärer. Doch ist „OK Computer“ wirklich das einzigartige, unverzichtbare Art-Pop-Monster, als das es aktuell gehandelt wird?

Reichlich Obskures ereignete sich bereits im Vorfeld des anstehenden Jubiläums. So posteten die stets für eigenwillige Promotion bekannten Radiohead unter anderem ein ominöses Video, auf dem lediglich ein Bildschirm im Stil eines Homecomputers zu sehen war. Dazu wurde der Text zu „Climbing Up The Walls“ vorgetragen – sonst nichts. Zudem tauchten weltweit in einigen Großstädten Plakate auf, die stark an das Artwork von „OK Computer“ angelehnt waren. Wie sich bald herausstellte, sollte dies die Veröffentlichung einer Jubiläums-Edition des Albums ankündigen. Unabhängig davon benannten Ameisenforscher in Washington D.C. eine bislang unbekannte Ameisenart aus dem venezolanischen Regenwald nach ihrer Lieblingsband „Sericomyrmex radioheadi“. Das hatte mit dem Jubiläum zwar nichts zu tun, passierte aber zu einem sehr passenden Zeitpunkt.

Ein ebenso passender Zeitpunkt war vielleicht auch das Frühjahr 1997. Mitte der 90er-Jahre wirkte gitarrenorientierter Britpop nämlich durch die starke mediale Fokussierung auf Oasis und deren Epigonen recht festgefahren, was sich stellvertretend auf dem kommerziell erfolgreichen, musikalisch aber vergleichsweise durchschnittlichen „Be Here Now“ manifestierte. Ermüdende Rockstargesten, Streitereien und traditionelles Songwriting waren bei den „Lads“ in den Vordergrund getreten. Trotzdem – oder auch gerade deswegen – standen die Gallagher-Brüder nicht nur bei der durch jahrelangen Sozialabbau gebeutelten Working Class hoch im Kurs.

Im Gegensatz dazu hoben sich die eher studentisch geprägten Radiohead mit ihren nachdenklichen, komplexen Songs auf „OK Computer“ sowohl vom zeitgenössischen Britpop als auch von ihrem eigenen Frühwerk ab und stellten für viele eine willkommene Alternative dar. Dies zeigt sich auch an der neuen Ästhetik ihrer Musikvideos, die im Gegensatz zu den typischen Band-spielt-vor-laufender-Kamera-Clips der Anfangstage eher anspruchsvollere Kurzfilme waren, wie etwa das düstere Roadmovie zu „Karma Police“.

Damit hier aber kein falscher Eindruck entsteht: Langweilig war es 1997 auch ohne Radiohead nicht. Das Jahr brachte auch viel Neues und Innovatives – z. B. Alben von Mogwai, Bis, Blur, Spiritualized, Sleater-Kinney, Björk, Cornershop, Primal Scream oder Daft Punk – um nur mal einige der Bekannteren zu nennen. Warum ist also ausgerechnet „OK Computer“ bis heute als ein so wichtiges Album in Erinnerung geblieben, das immer wieder von zahlreichen Bands und Musiker*innen als Einfluss genannt wurde?

Einer der Gründe mag darin liegen, dass Radiohead hier ein nicht alltäglicher Spagat zwischen kommerziellem Erfolg und künstlerischem Anspruch gelungen ist. Einerseits gab es sperrige, verschachtelte Stücke wie „Paranoid Android“, die sich erst bei mehrmaligem Hören erschließen, andererseits waren mit „Karma Police“ oder „No Surprises“ auch recht klassische Singles dabei. Aufgenommen in einer südenglischen Villa – mit Nigel Godrich und eigens dafür gekauftem Equipment – wurde das Album gern in die Tradition von Konzeptalben wie „Sgt. Pepper“ von den Beatles oder Pink Floyds „Dark Side Of The Moon“ gestellt. Gleichzeitig entdeckten viele aber auch einen starken Bruch mit eben dieser (analogen) Tradition, der auch durch den Albumtitel unterstrichen wurde: Die Band ist im digitalen Zeitalter angekommen. Oder anders gesagt: Von nun an übernimmt der Computer, und das müssen wir wohl akzeptieren – was sich ja auch bald in der Hinwendung zu digitalen Medien und dem Siegeszug der mp3 widerspiegelte.

Bei heutigem Anhören wirkt „OK Computer“ fast schon unspektakulär, denn abgesehen vom computergenerierten Monolog bei „Fitter Happier“, diversen Samples, Effekten und Rauschen ist es bei weitem nicht so elektronisch und experimentell wie Radioheads nachfolgende Alben. Die Hörgewohnheiten haben sich in den vergangenen 20 Jahren doch ein wenig geändert. Am wichtigsten war das Album aus heutiger Sicht vielleicht sogar für die Band selbst: Es öffnete Tür und Tor für neue Sounds, abstrakte Texte und eine Fülle von technischen Möglichkeiten, mit denen sie sich dann auf „Kid A“ weiter aus dem Fenster lehnen konnten.

Davon abgesehen gilt: Wer sich viel Zeit nimmt, kann „OK Computer“ auch heute noch als postmodernes Werk mit mannigfaltigen Referenzen, Anspielungen und Einflüssen von Miles Davis bis Sonic Youth oder DJ Shadow interpretieren und zelebrieren. Oder in den Texten von Thom Yorke prophetische Aussagen entdecken, die angeblich schon vor 20 Jahren das Phänomen Donald Trump vorhersagten. Wahrscheinlich ist es aber auch ok, die Kirche im Dorf und „OK Computer“ ein vielseitiges Album sein zu lassen – ohne gleich Superlative ins Spiel zu bringen. Vielleicht haben Radiohead die wichtigeren Akzente auch eher mit ihrer späteren Pionierarbeit auf den Gebieten des umweltfreundlichen Tourens oder des recht fairen „Pay-What-You-Want“-Download-Modells gesetzt?!

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