Tycho – „Weather“ (Album der Woche)

Cover des Albums „Weather“ von Tycho

Tycho – „Weather“ (Ninja Tune)

Zu Beginn hopst ein Synth-Arpeggio durchs Ohr. Dann synthetisierten Flöten, die mit ihrer Hallfahne eine riesige Weite suggerieren. Ein Bass kommt hinzu, deutet eine Himmelsrichtung an und schließlich gibt ein treibendes Schlagzeug der schwelgenden, warmen Synth-Wolke einen freundschaftlichen Schubs nach vorne. Schon ist man mittendrin in „Easy“, dem Opener von Tychos nunmehr fünften Studioalbum „Weather“. Es fühlt sich vertraut an, wie eine Heimkehr in bekannte Gefilde.

Eingestellt auf instrumentales Kopfkino schreckt man aber spätestens nach anderthalb Minuten hoch. Moment mal – da hat doch jemand ins Mikrofon gehaucht! Tatsächlich flirrt plötzlich eine menschliche Stimme durch die Klangwelt von Tycho. Genauer gesagt: die Stimme von Hannah Cottrell, einer noch relativ unbekannten Sängerin, die unter dem Moniker Saint Sinner unterwegs ist. Die hat sich Scott Hansen, der Kopf hinter Tycho, nämlich zur Erweiterung seines Sounds mit ins Traumschiff geholt. Und das, obwohl man sich nach dem größten Erfolg der bisherigen Karriere nicht unbedingt um neue Crewmitglieder bemüht. Den landete der Kalifornier nämlich mit seinem vierten Album „Epoch“, das 2017 für den Grammy in der Kategorie „Best Dance/Electronic Album“ nominiert wurde.

Eine Stimme wie ein Kompass

Für diejenigen, die sich mit der ungewohnten Abkehr von der Instrumentalmusik schwertun, bietet sich der – bis auf ein Sample – instrumentale Track „Into The Woods“ zum Reinkommen an. Der Drone zu Beginn knistert, als ob er Boards Of Canada grüßen möchte. Wärme strömt durch die heranziehende Synth-Fläche, dazu ein Shuffle mit viel Flow. Hansen spielt hier mit dem Klangraum, indem er mal ganz nah an eine Lagerfeuergitarre heranzoomt, um dann nur ein paar Takte später im Google-Earth-Modus mit Pirouetten drehenden Synths durch die Milchstraße zu jagen.

Apropos Milchstraße: „Japan“ könnte der Song sein, der auf einer Space-Yacht-Party läuft, auf der die Gäste entspannt tanzend durch die Galaxie gleiten. Passend dazu die ätherisch gehauchten Vocals von Cottrell, die von einem IDM-Beat à la Bonobo und pointierten, kristallklaren Gitarren begleitet werden. Und nach all den eskapistisch-heilsamen Instrumental-Tracks der bisherigen Tycho-Diskografie bringt „No Stress“ sogar einen Rat mit sich: „‘Cause we’re too young / some of us already gone / feel the rain and the sunshine / no stress, no stress.“

Daran zeigt sich, dass die Hinzunahme von Vocals in Tychos Open-World-Sound durchaus Sinn ergibt. Cottrells Stimme sitzt zwar zentral im Mix, findet aber durch ihren filigranen Charakter den richtigen Weg, die stilvollen Spannungsbögen von „Weather“ zu untermalen. Und sorgt letztendlich auch dafür, dass die Poppigkeit, die Hansens Musik auszeichnet, besser verankert wird. Quasi der Kompass, der den Gästen auf der interstellaren Chillwave-Kreuzfahrt bisher noch gefehlt hat.

Veröffentlichung: 12. Juli 2019
Label: Ninja Tune

Das könnte Dich auch interessieren:

  • Klez.e – „Desintegration“ (Album der Woche)
    Mit "Desintegration" schauen Klez.e zurück ins Jahr 1989. Das Album ist eine Hommage an ihre Jugend und an damals wie heute vergötterte Wave-Bands wie The Cure, die Schwermut so schön in Musik verpackten....
  • Yard Act – „Where’s My Utopia?“ (Album der Woche)
    Slacker-Hop, Highlife-Gitarren und Disco-Punk: Auf ihrer zweiten LP „Where's My Utopia?“ streifen Yard Act das Post-Punk-Korsett ab – und klingen so befreit wie noch nie. Unser Album der Woche!...
  • Cover des Albums Somersault von Beach Fossils
    Die Songs von Beach Fossils klingen wie das Ende eines langen Tages am Meer: sanfte Erschöpfung, Sand im Haar, der Kopf angenehm weich. Auch auf „Somersault“ fängt die Band aus New York diese Stimmung wieder wunderbar ein....


Deine Meinung

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.