Why? – „Aokohio“ (Album der Woche)

Cover des Albums „Aokohio“ von Why?

Why? – „Aokohio“ (Joyful Noise)

„I‘m not a ladiesman, I‘m a landmine / Filming my own fake death“, lautete die Zeile, mit der Yoni Wolf vor elf Jahren sein Opus Magnum „Alopecia“ eröffnete. Ich bin kein Schürzenjäger, ich bin eine Landmine. Der Rapper, Sänger und Bandleader schreibt mit seinem Projekt Why? Zeilen, die nach ihrer ganz eigenen Logik funktionieren. Er malt Bilder, die in sich selbst zusammenfallen und fragende Gesichter zurücklassen. Und trotzdem hängenbleiben. Zeilen, die sich ständig im eigenen Kopf wiederholen, bis sie irgendwann Sinn ergeben – und dann schon lange Teil von einem geworden sind.

Auf dem sechsten Why?-Album hat Wolf mit dem Filmen des eigenen vorgetäuschten Todes ernst gemacht. Es ist eine audiovisuelle LP geworden, unterteilt in sechs Abschnitte, sogenannte Movements, die allesamt mit aufwändigen Musikvideos begleitet werden. Neu ist dieser Ansatz nicht. Die letzten beiden Beyoncé-Platten kamen als „Visual Albums“ daher, parallel zu Thom Yorkes letzter Solo-LP „Anima“ erschien ein gleichnamiger Performance-Film. Erst vor wenigen Wochen enthüllte Country-Musiker Sturgill Simpson, dass sein neues Album „Sound & Fury“ auch als einstündiger Anime (!) erscheinen wird. Das audiovisuelle Album scheint das letzte Spektakel zu sein, mit dem man im schier endlosen Streaming-Angebot herausstechen kann.

Audiovisuelle Traum-Logik

Doch „Aokohio“ ist kein Spektakel geworden. Mit Tatiana Maslany („Orphan Black“) haben Why? zwar eine preisgekrönte Hauptdarstellerin gewonnen, doch die Bilder sind intim, verhalten und seltsam. Das erste Movement „I May Come Out A Broken Yolk, I May Come Out On Saddle“ beginnt mit Wolf, alleine in einem Raum, seinen Schädel rasierend. Eine Frau (Maslany) gebärt ein Kind. Zwischendurch flimmern alte VHS-Aufnahmen aus Wolfs Jugend über den Bildschirm. Die Kamera fixiert sich auf Details, gefaltete Hände, ein schweißgebadetes Knie, ein Kinderlächeln.

Die ersten drei Abschnitte zeigen Geburt und Jugend. Ab Abschnitt IV „The Surgeon Nervously Goes On, He Never Claimed To Be God“ wird es wild. Wir sehen Wolf beim Waterboarding. Gesichter, die beunruhigend in neue Formen mutieren. Wirkten die VHS-Aufnahmen am Anfang wie wohlige Kindheitsanekdoten werden sie langsam zu Erinnerungen an die Vergänglichkeit von Allem. Und dann ein alter Mann, der verzweifelt versucht, eine Videokamera anzuschalten. Und scheitert.

Diese auf den ersten Blick sehr unterschiedlichen Bilder setzen sich tief im Unterbewusstsein fest. Genau wie die Musik, die Why? hier erklingen lassen: sphärische Alternative-HipHop-Beats, plätschernde Ambient-Sounds und klimpernde Saiteninstrumente gehen in bester Traum-Logik fließend ineinander über. „Aokohio“ ist ein einziger Strom, bei dem man nicht immer weiß, wie man gerade am aktuellen Aufenthaltsort angekommen ist. Wolfs sich selber überschlagende Textzeilen helfen nicht wirklich bei der Orientierung, sind aber wie gewohnt kleine Meisterwerke: „I was born inflamed / Shot face-first out the cocked eye of a hurricane / And today, still some of that storm surrounds me.“ Diese Bilder, Zeilen und Töne bleiben hängen. Und sind am Ende dieses audiovisuellen „Circle Of Life“ Teil von einem großen Ganzen geworden.

Veröffentlichung: 9. August 2019
Label: Joyful Noise

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