David Berman (Silver Jews, Purple Mountains) in sechs Songs

Von ByteFM Redaktion, 8. August 2019

Foto der US-Musikers David Berman, der im Alter von 52 Jahren gestorben ist

David Berman (Foto: Drag City)

„The dead know what they are doing when they leave this world behind“, singt David Berman auf seinem jüngsten Album. Der US-amerikanische Singer-Songwriter, Dichter und Cartoonist kehrte im Juli mit seinem neuen Projekt Purple Mountains aus einem zehnjährigen selbstauferlegten Exil zurück. Bis 2009 war er noch der Kopf von The Silver Jews, der Americana-Rock-Band, zu der zeitweise auch die Pavement-Mitglieder Stephen Malkmus und Bob Nastanovich gehörten. Mit dieser Band schrieb er Zeilen, die sich tief im Unterbewusstsein festkrallen konnten. Lakonisch. Selbstironisch. Und immer von einer dunklen Aura umgeben.

Mit Purple Mountains knüpfte er genau dort an. Als wäre kein Jahrzehnt vergangen. Der notorisch öffentlichkeitsscheue Berman gab plötzlich Interviews. Eine ausgiebige Tour war in Planung. Doch nun hat Berman diese Welt hinter sich gelassen. Am 7. August 2019 ist er gestorben. Er wurde nur 52 Jahre alt. Das hier ist David Berman in sechs Songs.

„It’s Been Evening All Day Long“

David Craig Berman wurde am 4. Januar 1967 in Williamsburg, Virginia geboren. An der University Of Virginia lernte er Malkmus und Nastanovich kennen. Gemeinsam nahmen sie unter dem Namen Silver Jews krude Lo-Fi-Tapes auf. Wenig später gründeten Malkmus und Nastanovich ihre eigene Band Pavement. Als diese mit ihrem Debüt „Slanted And Enchanted“ (betitelt nach einem von Berman gezeichneten Cartoon) zu Indie-Helden wurden, nahm auch Bermans Karriere Fahrt auf. Drag City Records interessierte sich für seine alten Aufnahmen mit Malkmus und Nastanovich und bot ihm einen Vertrag an. 1994 nahm er gemeinsam mit seinen beiden alten Freunden das Debütalbum „Starlite Walker“ auf.

Im Vergleich zu den ultra-schranzigen Lo-Fi-Tapes (die 2012 in der Kompilation „Early Times“ veröffentlicht wurden) klang „Starlite Walker“ wie hochpolierter Pop. Was nicht viel heißt: Das Schlagzeug rumpelt, die Gitarren klimpern angetrunken, das Klavier wurde auch bestimmt länger nicht gestimmt. Viele der Stücke sind mehr Skizzen als Songs, verpeilte Genre-Experimente erklingen neben verpeiltem Honky Tonk. Zwischendrin versteckt offenbart Berman seine literarische Größe. In „Trains Across The Sea“ zittert seine Stimme immer ein bisschen neben der Spur – doch seine Texte schimmern wie ein Lichtstrahl durch den düsteren Country-Rock. „In 27 years, I drank 50.000 beers / And they wash against me, like a sea into a pier.“

„Robot Walks Into A Bar“

Genau wie sein Kollege Malkmus hatte auch Berman sehr viel Humor. Immer wieder blitzt durch seine apokalyptischen Verlierer-Geschichten ein gelbzähniges Grinsen durch, das die Dunkelheit ein bisschen lichtet – bis die Pointe wieder das Licht ausmacht. So auch in „The Frontier Index“, dem vorletzten Song des zweiten Silver-Jews-Albums „The Natural Bridge“. Auf dem Papier liest sich das Stück wie eine Aneinanderreihung von Witzen: Ein Roboter kommt in eine Bar und bestellt einen Drink. „Bartender says ‚We don’t serve robots‘ / And the robot says ‚No, but someday you will‘.“ Ein Sohn will von seinem Vater ein Auto geschenkt bekommen, der Vater will, dass der Sohn sich erst die Haare schneidet. „Boy says ‚Hey dad, Jesus had long hair‘ / And dad says „That’s right son, Jesus walked everywhere‘.“

Doch Berman singt diese Vignetten nicht wie Jokes. Sondern todernst. Die Musik kriecht bedrohlich Richtung Abgrund. Seine Stimme hat das Timbre eines warnenden Priesters. Denn der größte Witz ist schließlich das Leben an sich: „Time, cum, sand and surf / These are the building building blocks of life.“

„Hospitalized For Approaching Perfection“

„The Natural Bridge“ war eigentlich erneut mit Malkmus und Nastanovich geplant, doch Berman brach die Session nach nur zwei Tagen ab – und führte sie später mit rekrutierten Studio-Musikern fort (Ryan H. Walshs Essay „The Untold Story Of Silver Jews’ The Natural Bridge“ ist Pflichtlektüre über die chaotischen Aufnahme-Sessions für dieses chaotische Album). Der Nachfolger „American Water“ vereinte ihn wieder mit Malkmus. Dessen wie auf Zehenspitzen gespielte Lead-Gitarre ist eines der Highlights dieser LP – genau wie Bermans Texte, die hier so fokussiert wie noch nie erklingen. Der Opener „Random Rules“ demonstriert eines seiner größten Talente: Mit einem einzigen Satz eine ganze Geschichte zu erzählen. „In 1984 I was hospitalized for approaching perfection.“

„I’ve Killed You In my Mind So Many Times Before“

2001 erschien das vierte Silver-Jews-Album „Bright Flight“ – und man hört, dass irgendetwas mit diesem Menschen passiert ist. Dunkelheit war schon immer ein Teil von Bermans Poesie, doch hier gewinnt sie die Oberhand. Seine Stimme klingt noch kaputter als sonst, aus dem bekannten Zittern wird ein bedrohliches Oszillieren. „Time Will Break The World“ singt er mit einer fast schon manischen Dringlichkeit. Wie ein Mann, der das Ende der Welt gesehen hat. Über verzerrte Country-Noir-Gitarren malt er Bilder, die sich einbrennen: Die Eiszapfen an der Regenrinne schmelzen, das ganze Haus weint. Die Beine des Pferdes sehen aus wie vier braune Schrotflinten. „Tanning beds explode with rich women inside.“

„If We’d Known What It’d Take To Get Here“

Die Jahre zwischen „Bright Flight“ und dem 2005 erschienenen Nachfolger waren für Berman extrem. Crack-Sucht. Hochzeit. Depression. Ein gescheiterter Selbstmordversuch. Und dann wieder für kurze Zeit ein cleanes Leben. Aus diesem Chaos entstand „Tanglewood Numbers“, die vitalste, energetischste Platte des David Berman. Der Opener „Punks In The Beerlight“ prescht mit jugendlicher Leichtigkeit nach vorne, Fuzz-Gitarren explodieren und Berman singt eine euphorische Hookline: „I love you to the max.“ Seine damalige Ehefrau Cassie Berman leistet mit Background-Gesang und Bassgezupfe Unterstützung. So lebendig klang Berman noch nie.

„I Spent A Decade Playing Chicken With Oblivion“

Die Euphorie von „Tanglewood Numbers“ sollte nicht lange anhalten. 2008 erschien das letzte Silver-Jews-Album „Lookout Mountain, Lookout Sea“. Wenige Monate später verkündete Berman auf seinem Blog nicht nur das Ende der Band, sondern auch die Identität seines Vaters: Richard Berman, ein mächtiger Lobbyist, der unter anderem in der Waffen- und Tabak-Lobby aktiv ist. David sah keinen Sinn in der Musik und wollte sich lieber darauf konzentrieren, „den Schaden, den [mein Vater] der Welt zugefügt hat, wieder gutzumachen.“ Er plante ein Buch, arbeitete kurz an einer Enthüllungsserie in Zusammenarbeit mit dem Sender HBO. Doch die Pläne verliefen im Sand. Bis auf zwei kleine Gastauftritte mit The Avalanches zog er sich aus dem Musikbusiness zurück.

Zehn Jahre später kündigte Berman urplötzlich ein neues Album an. „I spent a decade playing chicken with oblivion“, singt er in „That’s Just The Way That I Feel“, dem Opener von „Purple Mountains“. Als dieses Album im Juli 2019 erschien, fühlte es sich wie ein lang erwartetes Lebenszeichen eines großen Poeten an. Nun lauert hinter jeder Zeile der Tod. Was erst wie eine Rückkehr wirkte, klingt nun wie ein Abschied. Allen voran „Nights That Won’t Happen“. „When the dying’s finally done and the suffering subsides / All the suffering gets done by the ones we leave behind“, singt Berman hier, kurz nach der Zeile, die diesen Artikel einleitet. „Ich hoffe dass Tod und Frieden das Gleiche sind, denn den könnte er gut gebrauchen“, schrieb Stephen Malkmus kurz nach Bermans Tod. Oder in seinen eigenen Worten: „The dead know what they are doing when they leave this world behind“

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