Rocko Schamoni – „Musik für Jugendliche“ (Rezension)

Cover des Albums „Musik fuer Jugendliche“ von Rocko Schamoni

Rocko Schamoni – „Musik für Jugendliche“ (Tapete Records)

8,1

Mit „Musik für Jugendliche“ schwingt sich Rocko Schamoni endgültig zum Grandseigneur der Hamburger Musiklandschaft auf. Das erste Album mit eigenen Songs seit zwölf Jahren versammelt zehn Stücke voll von großen Gesten im Stile großer US-amerikanischer Entertainer wie Frank Sinatra. Streicher und Bläser ergänzen den Sound der Band, musikalisch variiert das Album zwischen Swing und Jazz auf klassischen Pop-Strukturen.

2015 erschien „Die Vergessenen“, eine Sammlung von Cover-Versionen. Seit dem letzten selbst geschriebenen Album aus dem Jahr 2007 trat der Hamburger vor allem als Autor in Erscheinung, er tourte mit Lesungen zu seinen Büchern oder Solo-Programmen – und dann war da natürlich noch Fraktus, das fiktive (und dann nicht mehr so fiktive) Bandprojekt mit seinen ehemaligen Studio-Braun-Mitstreitern Jacques Palminger und Heinz Strunk.

Jugendmusik mit Perspektivwechseln

Schon die erste Vorab-Single „Als hätte es uns nie gegeben“, die zugleich Opener von „Musik für Jugendliche“ ist, zeigt die Richtung an: Es wird ernst. Der Untergang der Menschheit wird in all seiner Unvermeidbarkeit prophezeit, dabei bleibt Schamonis Gesang aber abgeklärt, denn seine Perspektive macht er deutlich: „Es gibt keine Menschen mehr / Auch das ist nicht weiter schlimm / Denn wir waren ohne Frage / Für das Weltall kein Gewinn.“ Auf kognitiver Ebene mag das stimmen, aber im weiteren Verlauf des Album wird erkennbar, dass es emotional doch nicht ganz so einfach ist mit der Vergänglichkeit – vor allem, wenn es nicht um die eigene, sondern die eines geliebten Menschen geht. Auf die ganz große globale Frage unserer Zeit, die nach dem Klimawandel, folgt mit „Dein Gesicht“ die ganz große persönliche. Es ist ein verträumtes Liebeslied, gesungen mit naiver Ernsthaftigkeit über schwelgerische Streicher und Bläser: „Ob das Liebe oder Wahnsinn ist / Ich weiß es nicht.“

Auch im weiteren Verlauf des Albums wechselt die Stimmung der Songs. Gerade in „Loch in der Welt“ wird hör- und spürbar, dass Rocko Schamoni auf „Musik für Jugendliche“ den Tod seines Vaters verarbeitet hat, der in die Zeit der Aufnahmen fiel. Der Schlagzeugbeat ist reduziert, die Instrumente halten sich zurück – und Zeilen wie „Was von Euch bleibt / Ist nur ein Loch in der Welt“ sind nicht aus einer distanzierten Perspektive gesungen wie der Opener, sondern aus einer unmittelbaren Trauer heraus. Dazu passt, dass Rocko Schamoni den Albumtitel wählte, weil man sich durch den Abschied von den Eltern wieder in die Jugend zurückversetzt fühle – und aus diesem Gefühl heraus ist die erwachsene Erfahrung plötzlich nur noch eine schwache Stütze.

Den größten Ausreißer markiert „Ich und mein Pudel“. Nicht nur ein Cover des Harry-Nilsson-Klassikers „Me And My Arrow“, sondern bei Schamoni eine Hymne auf den Golden Pudel Club in Hamburg, den Schamoni mitbegründete und betrieb, ehe er im vergangenen Jahr an eine gemeinnützige Stiftung übergegangen ist. Der Song ist sowohl textlich als auch musikalisch ohne Schwermut – als einziger auf dem gesamten Album.

„Musik für Jugendliche“ widmet sich der Vergänglichkeit: der Welt, der Menschen und des Ruhms („Der Weg hinab“), malt dabei aber nur selten wirkliche Schreckensszenarien an die Wand. Gerade dieser souveräne Umgang mit diesen Themen macht dieses Album so schön, denn „Loch in der Welt“ kann im Kontrast seine gewaltige Wirkung entfalten. Es ist Jugendmusik, ja, aber die Perspektiven wechseln: Mal tröstet der erwachsene Schamoni den jungen, mal darf letzterer ohne Filter trauern und lieben.

Veröffentlichung: 6. September 2019
Label: Tapete Records

Bild mit Text: „Ja ich will Radiokultur unterstützen“ / „Freunde von ByteFM“

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Diskussionen

1 Kommentar
  1. posted by
    Carl
    Jan 18, 2020 Reply

    Schamoni hat völlig recht. Die Athmosphäre, die jetzt in der Gesellschaft herrscht, ist horribel.Grauenhaft. Ich glaube, es ist noch nie so schlimm geewesen. Deshalb ist einer, der heutezutage depressiv wird, in Wahrheit einer der wenigen Nomalen. Weil er seine eigenen Gefühle nicht bescheissen kann. Die Frage wäre für einen Künstlerl eher, (der zB keien Ironie verwendet,) ob er das auf Dauer aushalten kann, ohne innerlich zusammenzubrechen. Auf jeden Fall drücke ich ihm die Daumen, das er auch diese Zeit übersteht, ohne verrückt zu werden.

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