Nubya Garcia in Berlin (Konzertbericht)

Von Johann Wiede, 23. Oktober 2019

Foto der britischen Musikerin Nubya Garcia

Die britische Jazz-Musikerin Nubya Garcia

Was haben der Latin-Jazz-Pionier João Donato, das in New Yorker Clubs zockende Brass-Funk-Kollektiv Lucky Chops und The Souljazz Orchestra gemeinsam? Sie alle traten oder treten dieses Jahr noch im Kreuzberger Club Gretchen auf. Die wunderbare Akustik hat bereits viele hochkarätige Jazz-Acts an den Rand des Dragonerareals geführt. So auch Jazz-Hoffnung Nubya Garcia aus London, der ihr Ruf als junge Bandleaderin, Crossover-Musikerin und Komponistin vorauseilt. Nachdem ihr Konzert im April abgesagt werden musste, hat sich am Abend des 21. Oktobers ein vermutlich noch größeres, meist junges und diverses Publikum in der Gewölbehalle mit seinen Säulengängen eingefunden.

Garcias Musik ist eine Inkarnation der jungen, ganz im Jetzt verankerten und auch politisch wachen Londoner Jazz-Szene, die Verbindungen zwischen klassischem, an John Coltrane geschultem Fusion Jazz und neuen Zugängen ausloten. Saxofon und Drums stellen hier tanzbare Wiederholungstäter dar, die wie im Fall von The Comet Is Coming bis in elektronische Gefilde abdriften. Andere nehmen sich aus dem Londoner Untergrund, was sie gerade vorfinden: Rap, R&B, Afrobeat, Punk. Gegenseitige Gastauftritte und genreübergreifende Kollaborationen sind zwangsläufiges Ergebnis dieser radikalen Offenheit. So ist Nubya Garcia Teil der Bands Nérija und Maisha und hat bereits Konzerte mit Sons Of Kemet und dem Ezra Collective gespielt.

Kontrolliertes Chaos

Entsprechender Londoner Dub-Beat vermengt sich im ersten Song „Source“ mit dem virtuosen Schlagzeug. Drummer Sam Jones versteht es, sich jederzeit auf die einzelnen Anforderungen der Band einzulassen und quasi nebenbei im Verbund mit dem an diesem Abend prächtig aufgelegten Pianisten Charlie Stacey noch einen sperrigen, dissonanten, aber immer kreativen Dialog zu führen – ein von sensibler Dynamik geprägtes Zusammenspiel, das auf Überwältigung setzt und die Gehörgänge für die Muster, Zitate und druckvollen Soli der Bandleaderin durchspült. Einzig der Kontrabass von Daniel Casimir hält sich manchmal zu vornehm zurück. Nubya Garcia dagegen jodelt, gluckst und ereifert sich mit kristallinen Oktavsprüngen (dem Octavizer sei Dank), setzt toughe High Notes und wirkt auch sonst, als hätte sie beinahe das komplette Jazz-Repertoire ausgecheckt.

Prunkstück des Sets wird der neue Song „Pace“, der sich mit den Anforderungen der modernen, unübersichtlichen Welt auseinandersetzt. Mit einem „Hallo“ an alle freiberuflich arbeitenden Menschen da draußen setzt die Bandleaderin zu einer viertelstündigen Tour de Force ein: Da wird Coltranes „Equinox“ zitiert, drei Harmonien durchdekliniert und zirkular geatmet, während Wiederholungen und Pausen die klassische Jazzstruktur durch Bass und Druck brechen und neu zusammengesetzt aufschichten. Was als ruhiges Klaviersolo im Scheinwerferlicht beginnt, endet im kontrollierten Chaos.

In den Applaus hinein tritt Garcia noch einmal für die Zugabe nach vorn. Sie haucht fast, leichter Nebel setzt ein. Als es gerade zu Ende geht, huscht die Band herauf und fasst das Gehörte noch einmal zusammen: rhythmische Zungentechnik trifft auf Longtimes, gemischt mit Licks aus den vorherigen Soli. Das auf „Grand Piano“ eingestellte, nun wie ein leiser Flügel klingende Keyboard rollt die Arpeggien, Tonleitern und Akkorde bis hin zur Klassik auf. Wo früher Widersprüche waren, ist es heute nur noch kompliziert.

London Jazz bei ByteFM

Mit der aktuellen britischen Jazz-Szene hat sich auch ByteFM Moderator Henning Kasbohm eingehend in seinem ByteFM Container vom 29. Mai 2019 befasst. Mitglieder des Fördervereins „Freunde von ByteFM“ können die Sendung im ByteFM Archiv nachhören.

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