Dusty Springfield – „Dusty In Memphis“ (Album der Woche)

Cover des Albums „Dusty In Memphis“ von Dusty Springfield

Dusty Springfield – „Dusty In Memphis“ (Atlantic Records)

Während sich das Jahr 2019 dem Ende entgegen neigt und traditionell wenig neue Musik veröffentlicht wird, nutzen wir die Chance, den Blick nach hinten zu richten: Statt neuer Langspieler stellen wir wegweisende Alben vor, die 2019 ein Jubiläum feiern. Den Anfang macht „Dusty In Memphis“ von Dusty Springfield, das am 18. Januar 2019 50 Jahre alt geworden ist.

Mary Isobel Catherine Bernadette O’Brien wünschte sich manchmal, als Afroamerikanerin geboren zu sein. Dies erzählte sie 1964 dem Melody Maker, als sie schon vier Jahre unter dem Namen Dusty Springfield auftrat. 1960 gründete sie gemeinsam mit ihrem Bruder die Folk-Band The Springfields, wenige Zeit später begann sie als Solokünstlerin die Art von Songs zu singen, die später unter der Bezeichnung Blue-Eyed-Soul firmieren sollten. Denn: Springfield war keine Afroamerikanerin. Sie war die weiße Tochter eines Londoner Steuerberaters.

Springfield zog schon als Kind die Pop-Songs von US-amerikanischen KünstlerInnen wie George Gershwin, Duke Ellington oder Peggy Lee ihren britischen Pendants vor. Während einer Nordamerika-Tour mit The Springfields geriet sie das erste Mal mit Soul in Berührung. Eine Erfahrung, die ihre Solokarriere maßgeblich prägte. Ihre Debütingle „I Only Want To Be With You“ ließ sie in dem Wall-of-Sound-Stil produzieren, den Phil Spector für seine Girlgroups verwendete. Folgende Hits wie „I Just Don‘t Know What To Do With Myself“ oder „What‘s It Gonna Be“ verbanden Motown-Swagger mit opulenten Pop-Arrangements. 1967 startete sie die Musiksendung „It Must Be Dusty“, in der sie afroamerikanische Acts wie Jimi Hendrix oder The Supremes ins britische Fernsehen einlud.

„The White Queen Of Soul“ goes to Memphis

Ende der 60er-Jahre änderte sich die Atmosphäre im Pop. Die Hits wurden psychedelischer, dreckiger. Pop-Stars mussten sich plötzlich mit Faktoren wie „Authentizität“ auseinandersetzen. Keine gute Zeit für Springfield, die weiße Sängerin schwarzer Songs, von Cliff Richard einst als „White Negress“ beschimpft. Springfields Reaktion: Sie unterschrieb bei dem Label Atlantic Records, der Heimat ihrer Heldin Aretha Franklin und zog im Januar 1969 in die Soul-Stadt Memphis, um im American Sound Studio ein Album aufzunehmen, dass sie als „authentische“ Soul-Künstlerin demonstrieren sollte.

Für „Dusty In Memphis“ versammelte Springfield viele Urgesteine der Szene. Produzierte sie ihre vorigen Platten noch zum Teil selber (ohne das in den Credits anzugeben), ließ sie diesmal gleich zwei legendäre Gestalten an die Regler: Atlantic-Records-Hausproduzent Tom Dowd und Jerry Wexler, der in den 60er-Jahren unter anderem Hits von Aretha Franklin produzierte (und in seiner Zeit als Journalist den Begriff „Rhythm ‘n‘ Blues“ etablierte). Die Songs stammten aus der Feder von einigen der renommiertesten SongschreiberInnen ihrer Zeit: Burt Bacharach & Hal David, Gerry Goffin & Carole King, Barry Mann & Cynthia Weil. Als Musiker wurden The Memphis Cats engagiert, deren Mitglieder auf etlichen Erfolgsalben zu hören waren – von der „Queen Of Soul“ Franklin bis zum „King Of Rock ‘n‘ Roll“ Elvis Presley.

Umgeben von all diesen Menschen, die so eng mit ihren HeldInnen zusammenarbeiteten, wurde Springfield nervös. „Dusty In Memphis“ sollte sie als Soul-Größe etablieren, der Druck war groß. Raum für Patzer gab es keine. Doch die Aufnahmesessions waren schwierig: Die auf der Bühne so selbstbewusste Springfield brachte keinen Ton heraus. Zu groß war ihre Ehrfurcht vor dem Ort, vor ihren MitmusikerInnen, vor ihren Idolen. Schlussendlich musste sie den Gesang alleine in einem separaten Studio in New York aufnehmen, nur mit einem Backing-Track im Ohr.

Unaufdringlich sinnlich

Was sie dort ins Mikro sang, war mehr als genug, um die Mission dieses Albums zu erfüllen. „Dusty In Memphis“ war ihre erste ausschließlich aus R&B-Songs zusammengestellte Platte, doch was Springfield mit ihrer Stimme anstellte, hatte nichts (oder nur wenig) mit „cultural appropriation“ zu tun. Sie klingt nicht wie Franklin, nicht wie Fitzgerald, sondern wie Springfield: weich und elegant. Wexlers und Dowds Produktion lässt viel Raum für ihre Stimme, die selbst wenn sich in „Just One Smile“ die Streicher auftürmen oder in „So Much Love“ die Chöre den Himmel aufreißen immer noch ganz nah am Ohr klebt. Ihre Version von Soul und R&B tauscht Drive gegen eine unaufdringliche Sinnlichkeit.

Die Ausnahme: die Single „Son Of A Preacher Man“. Springfield beginnt diesen Wirbelsturm von einem Song im seichten Flüstertonund beendet ihn mit der Grandezza einer Soul-Diva. Mit spielerischer Leichtigkeit, ohne jede spürbare Anspannung bringt sie den koketten Text zum schwingen. „Son Of A Preacher Man“ sollte der einzige Hit von „Dusty In Memphis“ werden. Springfield wurde zwar für einem Grammy-Award nominiert, doch auf kommerzieller Ebene war das Album ein Totalausfall. Springfield hatte einiges auf diese LP gesetzt, ihr ganzes Herzblut in diese Songs gehaucht – und wurde mit einem Flop bestraft. Es sollte einige Zeit vergehen, einige Secondhand-Kopien ihre BesitzerInnen wechseln, bis „Dusty In Memphis“ die angemessene Wertschätzung erhalten sollte. Doch nach und nach schlich sich das Album in die Pop-Kultur ein. Heute ist „Dusty In Memphis“ ein wahrer Pop-Standard. Seine Spuren finden sich vielerorts, bis in den nostalgischen Mainstream-Pop von Lana Del Rey oder Adele.

„Son Of A Preacher Man“ wurde übrigens ursprünglich für Aretha Franklin geschrieben. Die Queen Of Soul lehnte ihn ab. Dann hörte sie Springfields Version – und nahm prompt eine eigene auf. Einen größeren Ritterschlag hätte Springfield sich wahrscheinlich nicht wünschen können.

Veröffentlichung: 18. Januar 1969
Label: Atlantic Records

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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