Tocotronics „Digital ist besser“ wird 25 Jahre alt

Von Marius Magaard, 6. März 2020

Cover des Albums „Digital ist besser“ von Tocotronic

Tocotronic – „Digital ist besser“ (L’Age d’Or)

Es gibt wahrscheinlich keinen Text über die frühen Jahre der Gruppe Tocotronic, in dem nicht das Wort „parolenhaft“ vorkommt. Das kommt natürlich nicht von ungefähr. Die Hamburger Band konnte schließlich sogar einen altbackenen AC/DC-Songtitel in einen Schlachtruf verwandeln. Ihre Wörter waren schon immer griffiger als ihre Töne. Ein Tocotronic-Ohrwurm manifestiert sich oft nicht in einer Melodie, sondern in einem Satz, der einen nicht loslässt.

Sänger und Gitarrist Dirk von Lowtzow, Bassist Jan Müller und Schlagzeuger Arne Zank wussten schon früh um die Macht ihrer Worte. 1994, nur ein Jahr nach Bandgründung, druckten sie bereits T-Shirts mit dem Aufdruck „Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein“. Diese sechs sind nur einige von vielen auf ihrem Debütalbum versammelten Wörtern, die innerhalb von kürzester Zeit zu besagten Parolen wurden. Weitere unsterbliche Kandidaten: „Samstag ist Selbstmord“. „Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit“. „Gitarrenhändler, Ihr seid Schweine“. „Wir sind hier nicht in Seattle, Dirk“. Die Liste ist lang.

Songtexte mit Ohrwurmpotential

Doch diese LP nur auf ihre catchy Slogans zu reduzieren, wird ihr nicht gerecht. Die sind nur die Spitze des Eisbergs. Auch fernab der Parolen fanden von Lowtzow, Müller und Zank eine in der deutschen Gitarrenwelt einzigartige Sprache. Gemeinsam mit „Digital ist besser“ werden heute, am 6. März 2020, einige der schönsten Sätze der Pop-Musik ein Vierteljahrhundert alt.

Diese Sprache beschränkt sich nicht nur auf die Worte, sondern auch auf die Musik. Auch nach 25 Jahren klingt dieses Album noch immer wunderbar roh. Die drei Musiker spielten es live und in kürzester Zeit ein – und diese Dringlichkeit spürt man. Die Gitarre ist oft bis zum Anschlag verzerrt, wie im Opener „Freiburg“ oder in „Drüben auf dem Hügel“, an die Lärmwalzen US-amerikanischer Noise-Rock-Bands wie Sonic Youth oder Dinosaur Jr. erinnernd. Doch von Lowtzow spielt sie ohne den akademisch-künstlerischen Ansatz von ersteren oder die technische Finesse von letzteren. Stattdessen reduzierte man sich auf drei bis vier Akkorde. Keine Tricks, keine Stunts, immer ein bisschen verstimmt. Von Lowtzow spielt sein Instrument mit dem Enthusiasmus eines Hobbygitarristen, der zum ersten Mal eine Fuzzbox ausprobiert.

Die ewig unterschätzte Müller-Zank-Rhythmusgruppe trägt diesen Lärm mit Bravour. In „Meine Freundin und ihr Freund“ oder „Jungs hier kommt der Masterplan“ merkt man, dass sich die beiden vorher in Punk-Bands (Meine Eltern, Punkarsch) ihre Finger blutig spielten. In „Freiburg“ kriechen sie besiegt und triumphal zugleich. Und „Wir sind hier nicht in Seattle, Dirk“ wäre nicht halb so charmant ohne das immer ein paar Mikrosekunden versetzte Schlagzeug und den stoisch schlurfenden Bass.

Jenseits der Parolen

So erfrischend wie die Musik sind von Lowtzows Texte nicht. Der ehemalige Germanistik-Student übte sich im Namedropping: darunter etwa Nouvelle-Vague-Regisseure („Und im Leben geht’s oft her / Wie in einem Film von Rohmer“) und rumänische Philosophen („Jetzt kommt É. M. Cioran / Was man daraus lernen kann“). Einer der besten Slogans des Albums („Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit“) ist eine Variation auf Victor Hugo („Nichts auf der Welt ist so mächtig, wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist“). Wer gerne die vielen unter dem Sammelbegriff „Hamburger Schule“ versammelten Bands wegen ihrer scheinbaren Verkopftheit verschmäht, findet hier viel Beweismaterial.

Und vergisst dabei das Beste an diesem Album. Genau wie in ihrer Musik verwenden Tocotronic eine Sprache, die an Unmittelbarkeit kaum zu toppen ist. Die besten Sätze von „Digital ist besser“ sind so ziemlich alles außer verkopft. Sie gehen so: „Ich weiß nicht, wieso ich Euch so hasse / Tanztheater dieser Stadt.“ Oder so: „Alle Leute tun mir leid / Vielleicht bin ich’s auch einfach leid.“ Oder so: „Es ist klar, es geht nichts von heute auf morgen doch / Irgendwann hatte ich mal weniger Sorgen.“ Es sind Worte, die sofort hängen bleiben, sofort ein Eigenleben entwickeln. Es sind nicht die Parolen, sondern die universellen Geschichten, Situationen, Beobachtungen, die auch jetzt noch eine Projektionsfläche für unzählige unzufriedene Hörer*innen bieten. Mittlerweile schreiben Tocotronic keine Slogans mehr – doch diese, beste Qualität haben sie nie verlernt.

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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