Benny Sings – „Music“ (Stones Throw)
Die Behauptung, dass Musik Leben retten kann, ist ein sentimentales Klischee, wie beispielsweise die über 91.000 unter dem Hashtag „#musicsavedmylife“ versammelten Instagram-Posts belegen können. Die unschönsten Facetten dieser Floskel offenbarte Popstar Sia im Februar unfreiwillig mit ihrem Debüt-Spielfilm „Music“, in dem das Innenleben einer autistischen Teenagerin (ihr Name: Music) mit farbenfrohen Tanz-Sequenzen und biederem Bubblegum-Pop visualisiert wird. Der von einer nicht-autistischen Regisseurin gedrehte und mit einer nicht-autistischen Hauptdarstellerin besetzte Film wurde sowohl vom Publikum als auch von der Kritik verrissen. Nicht zuletzt wegen seiner hochgradig problematischen Überzeichnung des autistischen Alltags und seiner kitschig-käsigen Ästhetik.
Auch Tim van Berkestijn hat dieser Tage ein Projekt namens „Music“ veröffentlicht. Auch dieser Künstler, besser bekannt unter dem Namen Benny Sings, zelebriert mit diesem Werk die Kraft der Töne, unter anderem mit der potentiell hochsentimentalen Zeile „Music help me through this / Whenever I’m down on the floor“. Doch seine „Music“ unterscheidet sich grundlegend von Sias unangenehm überdrehter „Music“: Alles was Benny Sings anfasst, ist tiefenentspannt. Man könnte den Niederländer als einen Meister des Tiefstapelns bezeichnen: Van Berkestijn spielt den möglicherweise unaufdringlichsten R&B dieser Tage – und erreicht mit dieser Zurückhaltung ein maximal pointierteres Ergebnis.
Unaufdringliche Musik-Zauberei
Auf einem Benny-Sings-Album klingt jeder Ton weich. „Music“, seine siebte LP, ist da keine Ausnahme. Sie beginnt mit „Nobody‘s Fault“, das mit glänzenden Pianos und federleichtem Groove an den West-Coast-Sunshine-Pop der 70er-Jahre erinnert. Van Berkestijns Stimme klingt vorsichtig, mehr geflüstert als gesungen. Selbst das verzerrte, von Gastmusiker Tom Misch beigesteuerte Gitarrensolo ist unfassbar sanft. In „Rolled Up“ schaut Mac DeMarco für ein gemütliches Duett vorbei. Ein passender Partner für Sings, seine Musik wird schließlich gerne Slacker-R&B genannt. Bei so glänzenden Songs wie „Sunny Afternoon“ oder „Lost Again“ wäre Slacker-Yacht-Pop vielleicht sogar passender.
Diese Musik strahlt wie Katzengold, nicht teuer oder glamourös, sondern einfach schön. Mit seinen Songs will Van Berkerstijn niemanden von irgendeiner sentimentalen Kraft überzeugen. Stattdessen demonstriert er, wie mächtig das schlichte Handwerk des Songwritings sein kann. In der unaufdringlichen Schönheit von Songs wie „Break Away“ kann man sich lange verlieren, ohne dass sie das von einem verlangen. Wenn Benny Sings im Titelsong davon singt, dass Musik ihn gerettet hat, passiert etwas Unglaubliches: Man glaubt ihm.
Veröffentlichung: 9. April 2021
Label: Stones Throw