Cults – „To The Ghosts“ (Virgin)
Wer mit Geistern sprechen will, hat in der Regel zwei Motivationen: Entweder es handelt sich um Schwarze Magie, also das böswillige Heraufbeschwören gruseliger Kreaturen – oder um einen Versuch, mit Tragödien abzuschließen. Es gibt aber noch einen dritten Grund, wie Cults auf ihrem neuen Album „To The Ghosts“ demonstrieren. Das New Yorker Dreampop-Duo nimmt auf seiner fünften LP Kontakt mit den Geistern seiner Vergangenheit auf. Nicht zum Zwecke der Nekromantie oder um Vergebung zu bitten, sondern aus nostalgischen Gründen: Auf „To The Ghosts“ befinden sich Madeline Follin und Brian Oblivion im liebevollen Austausch mit ihren jüngeren Ichs.
Diese musikalische Séance ist das Ergebnis harter Arbeit. Anstatt nach dem Release ihres 2020er-Albums „Host“ in pandemische Schockstarre zu verfallen, fokussierten sich Follin und Oblivion auf eine feste Arbeitsroutine: Jeden Werktag arbeiteten sie von 10 bis 17 Uhr. Was nach strengen Regeln klingt, ermöglichte dem Duo aber eine neue kreative Freude. Follin begann zum ersten Mal, ohne vorgeschriebene Texte ihre Gesangsparts zu improvisieren, einfach aus dem Moment heraus.
Die Geister, die sie riefen
Und in eben diesen freien Momenten meldeten sich direkt die Geister der Vergangenheit zu Wort. „In the place where you met me, there’s nothing left to see“, singt Follin in „Left My Keys“. „Those old lots are all skyscrapers now.“ In „Leave Home“ beschreibt sie ein anderes adoleszentes Gefühl, den Aufbruch aus der Heimat im Zug in Richtung Osten, „and then follow down the track“. „Honey“ ist eine melancholisches Lied über die erste Liebe, mit dem jauchzenden Refrain „You’re sweet like honey / And your taste never sours“. Im Kontrast dazu fühlt sich die Single „Crybaby“ wie eine Abrechnung mit den kindlichen Aspekten des Geliebten an: „So caught up in your misery / Crybaby / You waste a lot of time, it seems.“
Auch musikalisch ist „To The Ghosts“ ein überaus nostalgisches Album. Follin und Oblivion versuchen gar nicht erst, ihrem seit 2011 etablierten Dreampop-Sound, der sie in den vergangenen Jahren unerwartet zu TikTok-Stars machte, ein großes Update zu verpassen. Stattdessen zielen sie auf maximale Emotionalität, wie mit den glitzernden Glocken in „You’re In Love With Yourself“ oder den dramatischen Synth-Streichern in „Onions“. Damit das nicht langweilig wird, haben Cults ein paar Überraschungen auf diesem Album versteckt: ein kurz aufblitzendes Stoner-Riff in „Knots“ beispielsweise. Oder, im Fall von „Open Water“, Blechbläser-Fanfaren, die nahtlos in kriechenden Doom-Noise übergehen – nur um sich zur letzten Hookline wieder in strahlenden Pop zu verwandeln. So endet selbst das das düsterste Stück in zarter Reflexion.
Veröffentlichung: 26. Juli 2024
Label: Virgin