Dry Cleaning – „New Long Leg“ (4AD)
Die britische Band Dry Cleaning spielt Post-Punk für Tee-Trinker*innen. Das ist kein müdes Vorurteil gegenüber ihrem Herkunftsland. Die Musik von Sängerin und Texterin Florence Shaw, Bassist Lewis Maynard, Gitarrist Tom Drowse und Schlagzeuger Nick Buxton animiert nicht zum Pöbeln mit Bierflasche in der Hand, oder zum wütenden Faust-in-die-Luft-Recken. Es handelt sich hier auch nicht um den von Depressionen und Selbstzweifeln zerfressenen Post-Punk, den Genre-Ikonen wie Joy Division oder The Cure produzierten. Dry Cleaning rasten nicht aus und brechen auch nicht zusammen. Sie beobachten. Und lehnen sich zurück.
Das klingt jetzt erst einmal wenig aufregend. „Aufregend“ wollen Dry Cleaning aber auch gar nicht sein. Sowohl auf ihren bisherigen zwei EPs als auch auf dem jetzt erscheinenden Debütalbum „New Long Leg“ demonstriert Shaw mit ihrem Sprechgesang pure Lakonie, immer ein bisschen distanziert. Auch wenn sie bizarre Situationen aus der Ich-Perspektive beschreibt, wirkt sie, als würde sie Monate später davon berichten – und nicht mitten im Geschehen sein, wie beispielsweise die Spoken-Word-Paranoia von ihren Landsleuten Black Country, New Road suggeriert. Buxton ist ein hochkonzentrierter Schlagzeuger, der genau weiß, dass manchmal ein einziger Beat für einen Song ausreicht. Maynards Bass wechselt elegant zwischen stoischem Gepumpe und melodischem Getänzel, ohne sich offensiv in den Vordergrund zu spielen. Drowses Gitarre ist das dissonanteste Element ihres Sounds, mit verzerrten Hallfahnen und kantigen Rhythmusriffs, doch auch die sind mehr klirrend als explosiv.
Lakonischer Post-Punk
Und dennoch, trotz all der lakonischen Distanz, fesselt „New Long Leg“ von der ersten Sekunde. Das liegt einerseits an Shaws wundervollen Texten. Im Opener „Scratchcard Lanyard“ beschreibt sie präzise und witzig zugleich jugendliche Seltsamkeit:„I’ve come here to make a ceramic shoe / And I’ve come to smash what you made.“ In „Strong Feelings“ haut sie ein betörend seltsame Sätze über menschliche Zweisamkeit heraus: „My only ambition in life is to grip the roots of your hair / You just want to be liked.“ So meisterhaft subtil vergiftete Zeilen wie diese lauern in jedem der zehn Songs von „New Long Leg“, egal ob Shaw über Actionhelden („John Wick“) oder ermüdende Sozialevents („Leafy“) singt. Genauso meisterhaft subtil ist die von PJ-Harvey-Stammproduzent John Parish aufgenommene Instrumentalarbeit, die in jedem Track für feine Überraschungen gut ist. Ein verschluckter Snare-Schlag in „John Wick“. Eine kurze Ambient-Noise-Exkursion in „Every Day Carry“. „New Long Leg“ zeigt eine Band, die auch, wenn sie sich zurücklehnt und beobachtet, messerscharf und faszinierend ist.
Veröffentlichung: 2. April 2021
Label: 4AD