Jehnny Beth – „To Love Is To Live“ (Album der Woche)

Bild des Albumcovers „To Love Is To Live“ von Jehnny Beth

Jehnny Beth – „To Love Is To Live“ (Caroline International)

Wenn Jehnny Beth über Liebe singt, wirkt das oft so, als würde sie eine Urgewalt beschreiben. „If you don‘t love me / You don‘t love anybody“, sang die französische Künstlerin 2016 auf „Adore“, dem letzten Album ihrer Band Savages. Die spezialisierten sich auf ihren bisher zwei LPs darauf, diese Urgewalt spürbar zu machen. Und zwar mit brachialem Post-Punk. Beths Liebe zeugt von einer fast schon fatalistischen Leidenschaft: Wenn Du mich nicht liebst, dann liebst Du niemanden.

Seit „Adore“ sind vier lange Jahre ins Land gezogen. Die Band liegt mittlerweile auf Eis, während die Mitglieder neue Projekte verfolgen: Gitarristin Gemma Thompson spielt in dem neuen Trio Unmoor Diva, Bassistin Ayse Hassan und Schlagzeugerin Fay Milton gründeten die Band 180dB – und Jehnny Beth, die mit bürgerlichem Namen Camille Berthomier heißt, stürzte sich mit voller Kraft in ihre Solokarriere. Ihr nun erscheinendes Debütalbum trägt den Titel „To Love Is To Live“ – und demonstriert mit Nachdruck, dass Beth auch ohne ihre Bandmitstreiterinnen Urgewalten kanalisieren kann.

Urgewalt Liebe

Viele dieser Songs lassen sich wirklich als gewaltig bezeichnen: Nach dem sich stetig aufbauenden Einstieg „I Am“ eröffnet „Innocence“ die Platte mit pulsierendem Darkwave-Chaos. Produziert wurde das Album von Beths langjährigem musikalischen Partner Johnny Hostile, dem Elektronik-und-Rock-Verschmelzungsexperten Flood sowie dem Soundtrack-Künstler und Nine-Inch-Nails-Produzenten Atticus Ross. Speziell der Einfluss von Letzterem ist spürbar: Die Snare peitscht, der Bass drückt in die Magengrube. Ein paar Klaviertupfer täuschen Ruhe an, nur um danach wieder im Lärm zu ersticken.

„Flower“ mutet zwar entspannter an, Beths Flüsterton lässt die Spannung jedoch für keine Sekunde verebben. „I‘m The Man“ erinnert am ehesten an den unaufhaltsamen Swagger von Savages, während „How Could You“ als elektronische Punk-Nummer daherkommt – inklusive Background-Shouts von Idles-Sänger Joe Talbot. Genau wie die Musik sind auch Beths Texte ein Rundumschlag: elf Songs über das Leben, den Tod, das Menschsein und – alles zusammenhaltend – die Liebe.

Wo Liebe ist, ist auch Verletzlichkeit. Gerade die ist es, die Beths Solowerk von den Savages-Alben hervorhebt. Die größten Highlights von „To Love Is To Live“ sind nämlich die Balladen. „The French Countryside“ ist eine melancholische Erinnerung an die Jugend, geschrieben während einer Panikattacke im Flugzeug. Direkt nach „I‘m The Man“ öffnet „The Rooms“ eine ganz neue Welt, mit bis in die Ewigkeit nachhallenden Pianos und dem bis dato beeindruckendsten Gesang der Künstlerin. Ihre Stimme schwebt mitten im Klangraum, unaufgeregt, ohne Reverb, ohne Schnörkel. Weghören kann man nicht. Jehnny Beth muss sich nicht einmal anstrengen, um die Hörer*innen in ihren Bann zu ziehen. Ihre Stimme ist die wahre Urgewalt.

Veröffentlichung: 12. Juni 2020
Label: Caroline International

Bild mit Text: „Ja ich will Radiokultur unterstützen“ / „Freunde von ByteFM“

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