La Femme – „Rock Machine“ (Disque Pointu)
Ein kruder Wave-Beat, ein triolisch schunkelnder Synth-Bass, Saxofon-Schnipsel, Glitches und gleich zwei Schweinerock-Gitarrensoli: Die französische Band La Femme eröffnet ihr sechstes Album „Rock Machine“ mit einer ziemlichen Ansage. Denn hier klingt so rein gar nichts nach ihrem letzten Album „Paris-Hawaï“ (2023). Das besaß nämlich mit „Aloha Baby“ gerade einmal einen einzigen Uptempo-Song, dessen Sounds aber mit aller Kraft der Entschleunigung den Beat im Happy-Hardcore-Tempo auskonterten. Ansonsten war die LP atmosphärisch, manchmal auch einfach nur sphärisch und löste sich zuweilen sogar in einem ambientösen Nebelschleier auf. Insofern ist eine Kernaussage des Openers „Clover Paradise“: Bei La Femme ist alles beim Alten. Dem Projekt aus Biarritz liegt nämlich nichts ferner, als sich zu wiederholen.
Als das Projekt um den Gitarristen Sacha Got und den Keyboarder Marlon Magnée 2013 mit „Psycho Tropical Berlin“ debütierte, waren die Kernzutaten Surf-Rock, Synth-Punk, dargeboten mit einem verspielten Hang zu psychedelischer Uferlosigkeit. Drei Jahre später kehrten sie auf „Mystère“ aber nicht mit einer perfektionierten, polierten Variante der Erstlingsformel zurück. Zwar brachen sie noch nicht mit derselben, erweiterten sie aber substanziell, vor allem um 60s-French-Pop-Einflüsse. Allgemein schien man im Hause La Femme weniger mit dem Pop-Song-Format zu fremdeln. Fünf Jahre später markierte das stärker an New Wave und Clubmusik orientierte „Paradigmes“ den bisherigen kommerziellen Höhepunkt. Schon ein Jahr später dann der ganz radikale Bruch: Immer noch experimentell, folgte unerwarteterweise mit „Teatro Lúcido“ ein Latin-Pop-Album. Selbst die Texte waren nicht mehr in der Muttersprache, sondern auf Spanisch.
Keine naive L.A.-Hommage
La Femme bleiben also erfreulich unberechenbar. Im zweiten Song „Venus“ kehren die Surf-Gitarren zurück, bevor „Ciao Paris!“ als aufbruchsgestimmte, frohgemute Suicide-Hommage anschließt. Daneben ist der Song auch eine Hymne des erneuten Sprachwechsels, den die Band auf unserem Album der Woche vollzieht. Denn „Rock Machine“ ist die erste englischsprachige LP der Gruppe. Mit ihm einher geht auch eine erneute musikalische Umorientierung, denn auch das Songwriting scheint sich stärker an US-Rock zu orientieren. Erfrischenderweise ist das jedoch meist alles andere als offensichtlich und immer mit dem einen oder anderen Twist versehen. So ähnelt die Komposition von „Goodbye Tonight“ etwa einer Bubblegum-Pop-Nummer inklusive Handclaps. Doch neben einer kaputten textlichen Wendung verabschiedet sich auch das Arrangement von 60s-Musik, deren Gitarren es durch Psych-Synths ersetzt.
Auch „I Believe In Rock ’n‘ Roll“ funktioniert zwar wie eine 80s-Hardrock-Hymne, aber ohne die dafür typische technologiefeindliche Authentizitätshuberei. Stattdessen unterlegen La Femme das gniedelige Gitarrensolo mit den rockendsten Synths, die man auftreiben kann. Ob es nun Surf- oder Heavy-Rock ist, was die Band gerade kickt, oder auch 80s-Mainstream-Pop – die Grundlage für „Rock Machine“ ist sehr kalifornisch. Doch das Album ist keine naive Hommage. Nicht nur musikalisch zerdeppern La Femme nicht nur die Musik ihrer Vorbilder genüsslich. Auch die Texte höhlen die Los-Angeles-Klischees, mit denen sie spielen, immer weiter aus. „Sweet Babe“ etwa collagiert auf einem panikattackenherzschlagschnellen Beat Lovesong-Phrasen zur düster-beklemmenden Karikatur.
Rock-Maschinerie vs. menschliche Wärme
Andernorts konstatiert man gleich „Love Is Over“, während man in „Waiting In The Dark“ jeden Abend betet, dass man die Beziehung nicht zerstört. Auch in der „White Night“ geht es nicht unbedingt gemütlicher zu: „It’s so terrible tonight / Like pulling out glass from the back off your eyes.“ Häufig kontrastieren die Songs Glam-Klischees mit unerfüllten menschlichen Bedürfnissen. Unterhaltsam, wenn auch mit etwas holzhammerhaft-unsubtiler Ironie, persiflieren das nihilistische „I Believe In Rock ’n‘ Roll“ und das an späte The Clash gemahnende „I’m Gonna Make A Hit“ Klischees der Rock-Maschinerie. Stärker ist „Rock Machine“ allerdings in den nahbareren Momenten wie in „Yeah Baby“. Das klingt nämlich wie eine Persiflage, offenbart aber den Kernwiderspruch: L.A. ist toll, aber nur dann, wenn man Menschen hat, die Geborgenheit spenden.
Doch unser Album der Woche ist keine Kalifornien-Konzept-LP; vielmehr fungiert L.A. meist als Chiffre einer glamourösen Illusion, die Got und Magnée geprägt hat. Denn laut letzterem haben La Femme neben dem New- und Cold-Wave ihrer Teenager-Jahre „auch unsere Rockseite mitgenommen … wir waren etwas traurig, als wir sahen, dass unsere Rockseite verkümmert war. Wir hatten immer weniger große Rocksoli.“ Nun gehen sie diesbezüglich in die Vollen und umarmen Marshall-Verstärker und Ibanez-Gitarren, die ihnen einst als Insignien der Uncoolen galten: „Uns war alles scheißegal. Wir haben die Synthesizer angeschlossen. Wir haben die Drumcomputer angeschlossen. Und dann funktioniert es ohne großes Nachdenken.“
Veröffentlichung: 11. Oktober 2024
Label: Disque Pointu