Louis Cole – „Nothing“ (Brainfeeder)
Weniger ist mehr, sagt der vornehme Volksmund. Und stinkt dabei irgendwie nach falscher Bescheidenheit. Gerade in der Kunst ist Subtilität eine wertvolle Tugend, doch es gibt auch andere Ansätze. Einen davon zeigt der Protagonist der britischen Comedy-Serie „Garth Marenghi’s Darkplace“ in einem anderen berühmten Bonmot: „I know writers who use subtext and they’re all cowards.“ Ein solcher Feigling ist Louis Cole definitiv nicht. Der kalifornische Schlagzeuger, Produzent, Songwriter und Sänger hat sowohl als Teil des Avant-Pop-Duos Knower als auch mit seiner Solokarriere seine Abenteuerlust ausgiebig bewiesen, zuletzt mit der 2022 mit dem Grammy in der Kategorie „Best Alternative Jazz Album“ nominierten Soloplatte „Quality Over Opinion“. Doch auf seinem neuesten Werk „Nothing“ verabschiedet er sich von aller Subtilität.
Für diesen Maximalismus gibt es einen Grund: das Metropole Orkest, ein 1945 gegründetes niederländisches Orchester, das bereits mit Künstler*innen wie Ella Fitzgerald oder Herbie Hancock konzertierte. Cole tourte 2023 mit diesem Ensemble und seinem Chefdirigenten Jules Buckley, eigentlich mit altem Song-Material. Doch schnell stellte sich heraus: Hier entsteht etwas Neues. Die 17 Songs von „Nothing“ wurden allesamt live auf dieser Tour aufgenommen und nur mit wenigen Overdubs im Studio ergänzt. Zwei von ihnen sind Variationen auf Tracks von „Quality Over Opinion“.
Subtilität ist für Feiglinge
Die Zusammenarbeit mit einem Orchester bietet mit seinen verschiedenen Klangfarben für Songwriter*innen viele Möglichkeiten. Cole schöpft jede einzelne voll aus. „Nothing“ beginnt mit dem streicherlastigen Instrumental „Ludovici Cole Est Frigus“, das mit seiner sich in komplexen Bahnen schlängelnden Akkordfolge nur wenig mit dem titelgebenden Minimalisten Ludovico Einaudi zu tun hat. Die Geigen lamentieren in verwobener Harmonie mit dem wortlosen Sopran-Gesang. Nach diesem Drama zeigt „Things Will Fall Apart“ eine andere Seite des Albums: Avant-Funk, der komplett ausrastet. Die tiefen Blechbläser ballern eine kolossale Bassline heraus, begleitet vom funky Clavinet, verspielten Streichern und Coles gewohnt groovy Schlagzeugspiel. Alles mündet in einem Posaunen-Breakdown für die Geschichtsbücher. Hier ergänzen sich Orchester und Band perfekt, wie auch in „Life“, wo ein Funk-Groove von „Psycho“-Geigen zerschnitten wird.
„Nothing“ oszilliert zum Großteil zwischen diesen beiden Polen: abgefahrener, in alle Richtungen gleichzeitig austeilender Jazz-Funk und melancholische Spätromantik. Die wenigen Ausreißer erweitern den Horizont noch mehr, wie die Bigband-Exkursion „Cruisin For P“ oder das zweiteilige „Who Cares“, wo ein seichter R&B-Groove von einem fast schon an Stoner-Rock erinnernden Breakdown gesprengt wird, nur um in Ligeti-esker Dissonanz zu enden. Nicht alles auf diesem Album funktioniert zu 100 Prozent: Gerade die ruhigeren Orchester-Momente kommen öfter eher kitschig als romantisch daher, klingen mehr nach 90er-Jahre-Romanzen-Soundtrack als Debussy. Cole holt weit aus und kann dabei nicht immer alles zusammenhalten. Doch nicht nur Subtilität, sondern auch Stringenz ist was für Feiglinge. In seinen größten Momenten erinnert „Nothing“ nämlich an orchestrale Jazz-Klassiker, wie Charles Mingus’ „Let My Children Hear Music“ oder die Zusammenarbeiten von Miles Davis und Gil Evans. Ein größeres Kompliment könnte man Louis Cole wahrscheinlich nicht machen.
Veröffentlichung: 9. August 2024
Label: Brainfeeder
Diskussionen
1 KommentareMartin
Okt 27, 2024Ähm:
„Ludovici“ heißt „Luis“ auf lateinisch, und die Gesamtübersetzung ist demnach: „Luis Cole ist cool“.
Hat nix mit Ludovici Einaudi zu tun, „titelgebend“ ist dieser schon gar nicht…
Außerdem ist dieses eher an Mozarts „Kyrie“ erinnernde Intro kein „Instrumental“, sondern es wird gesungen. Mit Text.