School Of Zuversicht – „An allem ist zu zweifeln“ (Misitunes)
Gute elektronische Musik kann mehr, als nur zum Tanzen animieren. Sie kann das Gefühl eines freien Falls vermitteln. Man denke an einen gut ausgeführten Drop: der lange sich hinziehende Spannungsaufbau. Immer schneller werdende Hi-Hats. Stetig nach oben anziehende Synthesizer. Kurz vorm Höhepunkt eine Sekunde perfekter Stille. Und dann kommt der Fall, in Form eines plötzlich kickenden Basses.
Patricia Wedler beherrscht genau diese Musik. Und noch so viel mehr. Schließlich ist die Hamburger Künstlerin, besser bekannt unter dem Namen DJ Patex, mit „Freuden ein Opfer der Gravitation“. Das singt sie selbst in den ersten Minuten von „An allem ist zu zweifeln“, dem zweiten Album ihres Projekts School Of Zuversicht. Zehn lange Jahre sind seit dem Debüt „Randnotizen From Idiot Town“ ins Land gezogen – und der Nachfolger „An allem ist zu zweifeln“ beginnt direkt mit einer Meisterleistung in Sachen freier Fall. Wedlers Musik zuckt, reißt und rüttelt an ihrem Publikum, im Opener sogar mit einer Intensität, die an ekstatischen Footwork erinnert. Der passende Titel dieses Songs: „Ich falle mit Freuden“.
Im freien Fall in der Diskurs-Disco
Auch die anderen Songs von „An allem ist zu zweifeln“ sind in intensiver Bewegung. „Im Swimmingpool der Empathie“ ist präzise stampfender Four-To-The-Floor-House, „Salon der Idioten“ eine sich über sieben Minuten erstreckende Tropicália-Disco-Exkursion. Die Percussions im Finale von „Urbanes Molekül“ scheinen sich in alle Richtungen gleichzeitig auszudehnen. Und auch die deutlich gemütlichere B-Seite verliert nicht den treibenden Grundcharakter. Insbesondere die zwei Coverversionen begeistern: DJ Patex schiebt Sister Sledges Disco-Hit „Lost In Music“ sanft in Richtung New-Wave und Post-Punk, während Lana Del Reys Baldrian-Ballade „Video Games“ als überraschend triumphaler Electro-Pop endet. Die Genregrenzen ignorierende Buntheit dieser LP ist der grundlegenden Struktur von School Of Zuversicht geschuldet: Wie auch schon beim Vorgänger agiert Wedler als Angelpunkt für zahlreiche Gastauftritte. An diesem Gesamtkunstwerk sind unter anderem Carsten „Erobique“ Meier, Plemo, Pantha Du Prince und Knarf Rellöm (dessen Killer-Falsett „Salon der Idioten“ veredelt) involviert.
Und dann sind da noch die Worte, die DJ Patex über diese Musik verteilt. Beim Titel des Albums dürften schnell die Diskurs-Pop-Alarmglocken läuten – nicht zu unrecht, schließlich hat Patex keine Angst vor verkopften Zeilen, wie allein schon ein Songtitel wie „Nur weil Du mir Deine Wunden zeigst, bist Du noch lange nicht mein Heiland“ zeigt. Im Kontrast der unmittelbaren Musik und der Wörter entsteht jedoch eine wunderbare Wechselwirkung: Der Kopf hält sich an großen Sätzen wie „Ich möchte auf den Knien meines Schmerzens gehen und auch die Zungen Deines Herzens will ich spüren“ fest, der Körper lässt sich vom Subbass ziehen. Das Ergebnis klingt auf ganzer Ebene faszinierend – und fühlt sich an wie ein angenehmer freier Fall.
Veröffentlichung: 20. August 2021
Label: Misitunes