Spacemoth – „No Past No Future“ (Wax Nine)
Dass ein Studio mehr als nur ein zweckmäßiger Ort zum Aufnehmen von Tonträgern sein kann, ist keine neue Erkenntnis. Der Satz „das Studio wie ein Instrument benutzen“ ist schon lange eine beliebte Phrase der Pop-Musik, spätestens seit 60er-Jahre-Psych-Pop-Meilensteinen wie „Pet Sounds“ oder „Sgt. Pepper“. Heutzutage, im Zeitalter des allgemein verfügbaren Homerecordings, ist der Satz aber ein bisschen außer Mode gekommen – denn es ist auch für viele Acts ein ziemlicher Luxus, endlos im teuer gemieteten Studio an Kompressoren, Bandmaschinen und Federhall-Boxen zu schrauben. Das muss man sich erst einmal leisten können!
An dieser Stelle hat Maryam Qudus einen klaren Heimvorteil. Schließlich ist die afghanisch-US-amerikanische Künstlerin schon seit ein paar Jahren etablierte Produzentin und Sound-Ingenieurin. Qudus saß bereits bei einigen der schönsten und exzentrischsten Art-Pop-LPs der vergangenen Jahre mit am Mischpult, von Tune-Yards‘ „I Can Fell You Creep Into My Private Life“ bis zu Spelllings letztjährigem Avant-Pop-Wunderwerk „The Turning Wheel“. Nun legt sie mit „No Past No Future“ das Debütalbum ihres Soloprojekts Spacemoth vor – und demonstriert, wie viel Musikalität sie aus ihrem Studio zaubern kann.
Verknotete Synths und betrunkene Delays
Diese Detailverliebtheit ist von der ersten Sekunde an spürbar: „No Past No Future“ beginnt mit der kurzen Noise-Collage „Mind Modulation“, die sich nach 20 Sekunden in die rauschende Synth-Pop-Wundertüte „This Shit“ verwandelt. Qudus arbeitet mit einem Arsenal aus diversem Oldschool-Equipment – und dieser und die folgenden Songs zeigen, dass sie es zu bedienen weiß. Synth-Arpeggios verknoten sich zu verspielten Schleifen. Eine defekte Eventide-H969-Effektmaschine sorgt für betrunken oszillierende Delay-Echos. Qudus tiefenentspannte Stimme schwebt elegant durch dieses wabernde Kraut-Pop-Nebelmeer. Und das auch wenn die Musik weniger entspannt ist, wie im von weißem Rauschen und anderen Störgeräuschen zerfressenen Instrumental „Waves Come Crashing“. Das Ergebnis ist gleichermaßen abenteuerliche wie verspielte Pop-Musik, wie man sie seit Stereolab nicht mehr gehört hat – kein Zufall, schließlich benannte Qudus ihr Projekt nach einem Stereolab-Song. Die wussten schließlich ebenso wie Spacemoth, wie toll das Instrument „Studio“ klingen kann.
Veröffentlichung: 22. Juli 2022
Label: Wax Nine