Thala – „Adolescence“ (Album der Woche)

Bild des Albumcovers von „Adolescence“ von Thala, das unser ByteFM Album der Woche ist.

Thala – „Adolescence“ (Born Losers Records)

Achtung, es folgt eine kleine Generalisierung: Im Bereich der Popkultur gibt es nie etwas wirklich „Neues“. Immer wenn irgendetwas als „revolutionär“ oder „innovativ“ gefeiert wird, handelt es sich in der Regel nur um eine frische Zusammensetzung von bereits bekannten Elementen. Das war wahrscheinlich schon so, seitdem Elvis Presley schwarze Untergrund-Kultur in ein weißes Mainstream-Spektakel verwandelte. In der Medien- und Kultur-Kritik ist diese Tendenz schon lange bekannt, von Adornos „Kulturindustrie“ bis zu Reynolds’ „Retromania“. Doch der Popmusik-PR-Maschine scheint das egal zu sein. Noch immer werden Neuerscheinungen regelmäßig als „wegweisend“ bezeichnet. Klar, ein „neues“ Auto lässt sich schließlich auch leichter verkaufen als ein „altes“.

Für Kultur-Pessimist*innen, die diese Theorie bedingungslos unterschreiben, muss „Adolescence“ von Thala wie ein Albtraum anmuten. Die Berliner Dreampop-Musikerin hat seit ihrer im vergangenen Jahr erschienenen Debütsingle eine Menge Hype im Rücken, vom ersten Airplay auf BBC Radio 1 bis zu Auftrittsslots auf Festivals wie dem c/o Pop und dem Reeperbahn Festival. Ihr nun erscheinendes Debütalbum fühlt sich beim ersten Hören jedoch wie eine pure Checkliste der größten Genre-Referenzen an. Die reizüberflutenden Arrangements von Cocteau Twins? Check. Schwelgerische Beach-House-Harmonien? Check. Verhallte Gitarren und Engtanz-Vibes à la Cigarettes After Sex? Check. Nostalgische Mazzy-Star-Melancholie? Check, check und abermals check.

Die Schönheit des Vertrauten

All die erwähnten Kritikpunkte sind ziemlich kopflastig, das Ergebnis von sehr erwachsener Auseinandersetzung mit dem sehr ernsthaften und wichtigen Themenkomplex „Popmusik“. Doch wenn man das innere Monokel ablegt und die chronisch gerümpfte Nase ein bisschen entspannt, dann kann Thalas Musik etwas ganz anderes erreichen. Die Adoleszenz, die ihrem Album den Titel gibt, ist der Schlüssel. Die Songs von „Adolescence“ zielen genau dorthin: in das jugendliche Gefühl, zum ersten Mal ein Beach-House-Album oder eine Mazzy-Star-Single zu hören. Songs wie „Takemeanywhere“ oder „Bad Blood“ kommen bekannt vor, gerade das macht sie so emotional. Wie die besten Pop-Musiker*innen arbeitet Thala mit bekannten Werkzeugen – und kreiert damit berührende Songs.

In dem Pixar-Animationsfilm „Ratatouille“ gibt einen sich sehr wichtig nehmenden Restaurant-Kritiker, der Tag um Tag vernichtende Rezensionen schreibt. Als er am Ende des Films die titelgebende Hausmannskost probiert, ist er plötzlich berührt. Der Gemüseeintopf wirft ihn in seine eigene Kindheit zurück, zeigt ihm seine Verletzlichkeit und seine Menschlichkeit. Und genau das schafft auch „Adolescence“. Es ist egal, dass die Musik auf diesem Album nicht revolutionär ist. Denn sie ist einfach sehr, sehr schön.

Veröffentlichung: 17. September 2021
Label: Born Losers Records

Bild mit Text: „Ja ich will Radiokultur unterstützen“ / „Freunde von ByteFM“

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