Blood Orange – „Negro Swan“ (Album der Woche)

Blood Orange – „Negro Swan“ (Album der Woche)

Blood Orange – „Negro Swan“ (Domino)

„Meine Lieblingsbilder sind die, auf denen jemand ist, der dort nicht sein sollte. In einem Ort, der ihn niemals willkommen heißen würde.“ Diese Worte spricht die US-amerikanische Transgender-Aktivistin Janet Mock ziemlich genau zur Mitte von „Negro Swan“, dem neuen Album von Dev Hynes, besser bekannt unter dem Namen Blood Orange.

Seitdem er sowohl den Dance-Punk seiner alten Band Test Icicles als auch den opulenten Kammer-Folk seines ersten Soloprojekts Lightspeed Champion hinter sich gelassen hat, malt Hynes genau solche Bilder. Vor zwei Jahren veröffentlichte der britische Künstler „Freetown Sound“, sein drittes Album unter dem Namen Blood Orange, auf dem er sich intensiv mit der Diskriminierung auseinandersetzte, die schwarzen, queeren Männern im Alltag begegnet. Sein Leben mit der konstanten „Otherness“ ist fest in die Blood-Orange-DNA eingraviert.

Was Hynes zu einem ungemein besonderen Künstler macht, ist, dass er angesichts von Hass nie mit Wut kontert, sondern mit Empathie. Er ist kein Punk, sondern Pop-Künstler, der sowohl den Hass der anderen als auch den eigenen Selbsthass in warme, offenherzige R&B-Songs verwandelt. Und „Negro Swan“ ist da keine Ausnahme.

Kuss mit dem Asphalt

Was nicht heißt, dass diese Songs frei von Schmerzen sind. Im Gegenteil: Gleich der erste Song versetzt einen nach Orlando, dem Ort, in dem im Jahr 2016 ein Sicherheitsmann 49 Menschen in einem Nachtclub tötete. Und trotzdem ist die Musik, die Hynes dazu spielt, betörend leichtfüßiger Funk. Fernab vom Titel deutet nur ein sirenenartiger Synthesizer an, um was es hier wirklich geht.

Ob im hohen Falsett oder im tiefen Sprechgesang: Auch wenn Hynes tief in seine eigene Depression eintaucht, verliert seine Stimme nie ihr umarmendes Mitgefühl. Er weiß, wie es ist, wenn dein erster Kuss ein Kuss mit dem Asphalt war, wie er zu Beginn des Albums beschreibt. Er weiß auch, dass es danach leichter ist, liegen zu bleiben als aufzustehen. Doch die warmen Vibes seiner Songs sprechen eine andere Sprache: Eine E-Gitarre klimpert gut gelaunt durch „Charcoal Baby“, eine jazzige Querflöte lässt in „Take Your Time“ die Sonne aufgehen und die butterweichen R&B-Grooves in „Saint“ und „Out Of Your League“ schießen direkt in Bein und Herz. In letzterem umarmen sich die Kopfstimmen von Hynes und The-Internet-Mitglied Steve Lacy in astralen Höhen – das Ergebnis ist pure Schönheit.

In „Smoke“ findet Hynes dann kurz vorm Ende des Albums die Selbstermächtigung nicht nur in der Musik, sondern auch im Text: „I‘m pretty as fuck“, heißt es zuerst, später dann „The sun comes in / My heart fulfills within.“ So beendet auch Janet Mock das eingangs erwähnte Zitat auf hoffnungsvolle Art und Weise: „Und trotzdem gehen wir in diesen Ort – und wir sind ganz da.“

Veröffentlichung: 24. August 2018
Label: Domino

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