Das Universum des MF DOOM: Daniel Dumile in zehn Songs

Von ByteFM Redaktion, 4. Januar 2021

Bild von Daniel Dumile aka MF DOOM, der im vergangenen Oktober gestorben ist.

Daniel Dumile aka MF DOOM (Foto: Possan, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons)

Daniel Dumile hatte viele Namen. Viktor Vaughn war einer von ihnen. Oder King Geedorah. Ebenso Metal Fingers, oder Metal Face, bezogen auf die Metallmaske, hinter der er sein Gesicht verbarg. Vor etwas längerer Zeit hieß er Zev Love X. Doch der bekannteste Name, der im Underground-HipHop schon lange mit einer Ehrfurcht ausgesprochen wird, die sonst nur König*innen oder Schreckensherrscher*innen vorbehalten ist, war MF DOOM. Großgeschrieben, wie er in seinen eigenen Worten einforderte: „Remember ALL CAPS when you spell the man name!“

Dumile bekam das „Doom“ quasi in die Wiege gelegt, als erste Silbe seines Nachnamens. Geboren wurde er am 9. Januar 1971. Seine Mutter stammte aus Trinidad und Tobago, sein Vater aus Zimbabwe. Da sich seine Geburt in London ereignete (seine Mutter war zu Besuch bei Freunden), war er britischer Staatsbürger, obwohl er den Großteil seines Lebens in den USA verbrachte. 1988 startete er gemeinsam mit seinem Bruder Dingilizwe, bekannt unter dem Künstlernamen DJ Subroc, die HipHop-Gruppe KMD. Die Band feierte schnell Underground-Erfolge, fand 1993 nach dem Unfalltod von DJ Subroc ein jähes Ende. 1999 erschien Dumile wieder auf der Bildfläche, maskiert, mit neuem Namen: MF DOOM.

Der Rest ist HipHop-Geschichte. Dumile produzierte seit der Jahrtausendwende Dutzende LPs, viele von ihnen unantastbare Genre-Klassiker. Bis zuletzt war er umtriebiger Feature-Gast. Jedes unerwartete Auftreten, jede aus dem Schatten geborene Zeile war ein Geschenk.

Am 31. Dezember 2020 verkündete seine Ehefrau Jasmine in den sozialen Medien, dass Daniel Dumile am 31. Oktober 2020 gestorben ist. Eine Todesursache ist nicht bekannt. Er wurde 49 Jahre alt. Fakt ist, dass ein selbsternannter Bösewicht wie MF DOOM sich keinen perfekteren Todestag als Halloween hätte aussuchen können. Wir arbeiten uns hier nun durch seine erstaunliche Diskografie: Das hier ist Daniel Dumile in zehn Songs.

„Who Me? (With An Answer From Dr. Bert)“ (1991)

„Mr. Hood“, das Debütalbum von KMD, fügt sich nahtlos in die New Yorker HipHop-Szene der frühen 90er-Jahre ein. Dumile rappte hier unter dem Namen Zev Love X gemeinsam mit seinem Bruder und dem MC Onyx über sonnigen Boombap, wie er auch aus dem Native-Tongues-Kollektiv stammen könnte. Die Beats swingen wie bei De La Soul, die Jazz- und Funk-Samples knarzen wie bei A Tribe Called Quest. Dumiles Stimme klingt – im Vergleich zu seinem späteren Hauptwerk – überraschend hoch, doch sein Flow ist pointiert. Die Single „Who Me? (With An Answer From Dr. Bert)“ ist Conscious-Rap in Reinform: Zev Love X nimmt mit leichtfüßigen Reimen die rassistische Cartoon-Figur „Sambo“ auseinander und fragt immer wieder, wen sie darstellen soll – und wer mit ihr identifiziert wird. „They always try to say that coon is me for some reason.“

„Contact Blitz“ (1995)

„Black Bastards“, der Nachfolger von „Mr. Hood“, markierte für KMD den Anfang vom Ende. Vor der Fertigstellung wurde DJ Subroc von einem Auto überfahren. Dann ließ ihr Label Electra Records die Veröffentlichung einstampfen, da ihr Cover (eine Cartoondarstellung eines gelynchten Blackface-Komikers) zu kontrovers – und damit einhergehend nicht kommerziell genug – war. Das Album erblickte erst im Jahr 2001 das Licht der Welt – und wäre, wenn es 1995 veröffentlicht worden wäre, wahrscheinlich ein Klassiker geworden. KMD zeigten sich hier deutlich weniger sonnig, die Themen sind ernster, die Beats feuriger. Dumile erhaschte hier auch seinen ersten Credit als alleiniger Produzent eines Tracks: „Contact Blitz“ zeigt ihn als talentierten Beatzauberer, der mit Leichtigkeit ein Sample des Jazz-Trompeters Lee Morgan in eine musikalische Handgranate verwandeln konnte. Kurz nach dem Einstampfen von „Black Bastards“ lösten sich KMD auf. Der vom Tod seines Bruders in Schockstarre versetzte Dumile verzog sich in die Dunkelheit – und plante seine Rache.

„Doomsday“ (1999)

Der Zeitraum zwischen 1995 und 1999 ist der mysteriöseste im Schaffen von Dumile. In Interviews gab er widersprüchliche Auskünfte. Einmal erzählte er von einer Zeit am Rande des Existenzminimums, während der er öfter als seltener auf New Yorker Parkbänken übernachten musste. Andererseits sagte er, dass die Zeit nichts besonderes war, er einfach nur seinen Sohn aufzog und vor sich hinlebte. Der Mythos ist auf jeden Fall größer als die Realität. 1999 war MF DOOM geboren, eine maskierte Figur, geboren in der Dunkelheit. Ab hier wurde Dumile im öffentlichen Leben endgültig zur mystischen Schattengestalt, erfüllt mit nur wenigen Wünschen: Blunts rauchen, Beats schmieden, Helden zerstören und die absurdesten Bars im HipHop rappen. Speziell in Letzterem war er schnell besser als so ziemlich jeder andere. Das war seine Rache.

Diese Skills demonstrierte er auf seinem Solodebüt „Operation: Doomsday“. Dumile lieferte Zungenbrecher, versteckt in Zungenbrechern „Stop and stick around, come through and dig the sound / Of the fly brown 6-0 sicko psycho who throws his dick around“, rappt er in „Doomsday“. Seine Stimme ist tief, gefüllt mit einer zurückgelehnten Autorität. Seine Beats sind exzentrisch, gespickt mit Cartoon-Samples und Comic-Verweisen. Eins ist schnell klar: Hier wurde ein Superbösewicht geboren, der seinesgleichen sucht.

„The Fine Print“ (2003)

Im Juni 2003 startete die imperiale Phase des Daniel Dumile: Innerhalb von nur 18 Monaten veröffentlichte er mehr großartige LPs, als andere MCs in ihrem Leben. Die erste von ihnen ist „Take Me To Your Leader“. Dumile arbeitete hier unter dem Decknamen King Geedorah, entliehen von einem dreiköpfigen Gegenspieler Godzillas. Diese HipHop-Hydra spielt auf diesem Album hauptsächlich die Rolle des Produzenten und lässt zahlreiche Gast-Rapper über psychedelisch stampfende Beats flowen. Auf dem letzten Track „The Fine Print“ stept DOOM selbst ans Mic, wie um all diesen Narren zu zeigen, wer der König ist: „It’s no escape, just in case / All the kings‘ mens and ‚em decides to go apes / The most slick-talking of burly guys / Get caught early and boiled in oil like curly fries.“

„A Dead Mouse“ (2003)

„Vaudeville Villain“, nur drei Monate später veröffentlicht, ist das genaue Gegenteil von „Take Me To Your Leader“. Dumile, hier unter dem Namen Viktor Vaughn auftretend, gibt die Produzentenrolle komplett ab und konzentriert sich ausschließlich aufs Rappen. Dies macht er mit einer tödlichen Kombination aus Präzision und Humor, der sich nie für eine nerdige Pop-Kultur-Referenz zu schade ist. In „A Dead Mouse“ legt er sich mit der Star-Trek-Voyager-Figur Neelix an: „Twelve strands from double helix / No I haven’t seen Kes, Neelix / ‚Oh, yeah? Why don’t you stay away from her with those lyrics’.“ Dumile glättet die Wogen und reist wie Doc Brown im Delorian zurück in die Zukunft: „Please, ain’t nobody fuckin‘ after her / I’m out of here as soon as I fix the flux capacitor.“ So ausgesprochen nerdig und lässig zugleich war HipHop seit der Hochphase des Wu-Tang Clans nicht mehr.

„Accordion“ (2004)

Das nächste Projekt von Daniel Dumile ist das möglicherweise ambitionierteste Album seiner Karriere. Im Produzenten Otis Jackson Jr. alias Madlib fand er einen perfekten Partner-in-Crime für seine um die eigene Achse routierenden Zeilen. Madlibs Beats agieren außerhalb der Regeln von Raum und Zeit, verwandeln sich binnen Sekunden. Ein Kaleidoskop aus obskuren Samples aus aller Welt. Auf ihrem einzigen gemeinsamen Album liefert dieses match made in heaven namens Madvillain keine einzige Hookline. Stattdessen folgt ein bewusstseinserweiternder Reim, ein kopfverdrehender Beat auf den nächsten. In „Accordion“ baut Jackson Jr. Aus dem titelgebenden Instrument ein fast schon meditatives Mantra, über das Dumile Zeilen für die Ewigkeit rappt: „Living off borrowed time, the clock tick faster.“ „It’s like they know what’s ‚bout to happen / Just keep ya eye out, like ‚Aye, aye, captain.‘.“ „Got more lyrics than the church got ‚Ooh, Lord’s / And he hold the mic and your attention like two swords.“

„Vomitspit“ (2004)

Dumile beendete seine imperiale Phase im November 2004 mit „Mm… Food“, seinem vierten Album in 18 Monaten. Wie auch „Take Me To Your Leader“, „Vaudeville Villain“ und „Madvillainy“ ist es ein Klassiker. Auf „Mm… Food“ (ein Anagramm von MF DOOM) beweist Dumile, dass selbst, wenn er ein Konzeptalbum über Essen und Trinken rappt, besser ist als viele andere. Im wieder von ihm selbst produzierten „Vomitspit“ benutzt er Nahrungsmittelmetaphern, um die fade Konkurrenz zu zerstören: „He’d rather eat a sand sandwich salad / It might need salt like your man’s bland ballad.“ „Mm… Food“ mag weder die Ambitionen von „Madvillainy“ oder die kühle Präzision von „Vaudeville Villain“ beinhalten, dafür zeigt es einfach einen Beat- und Reimmeister auf der Höhe seines Schaffens. Der einfach nur Musik macht und dabei spürbar Spaß hat.

„Benzi Box“ (2005)

Wenig später folgte das nächste bizarre Team-up in der Geschichte des Daniel Dumile. Damals war Brian Burton aka Danger Mouse noch nicht der U2 unterstützende Blockbuster-Produzent, der er heute ist. Sondern ein HipHop-Weirdo, der wenige Jahre zuvor mit dem Jay-Z und The Beatles verschwurbelnden „Grey Album“ Sampling-Geschichte schrieb. 2005 fusionierten die beiden Freaks Dumile und Burton zu Dangerdoom, um ein Album namens „The Mouse And The Mask“ zu veröffentlichen. Es zählt nicht zu den essentiellsten Momenten beider Karrieren, enthält dennoch das kleine Glanzstück „Benzi Box“, in dem Feature-Gast Cee-Lo Green einen den DOOM-Mythos zementierenden Refrain singt: „His name’s DOOM / They wonder just who is he / But don’t worry / Believe me, he’ll get busy.“

„Between Friends & Enemies“ (2012)

Seit „Mm… Food“ veröffentlichte Dumile leider nie wieder einen transzendentalen Klassiker. An großartigen Singles mangelte es dennoch nicht. 2012 lud der Brainfeeder-Gründer Flying Lotus ihn zu einer kleinen Session ein. Das Ergebnis kann sich hören lassen: Auf „Between Friends & Enemies“ rappt das hungrige Wunderkind Earl Sweatshirt um sein Leben, auch Lotus persönlich schaut mit seinem MC-Alter-Ego Captain Murphy vorbei. Doch das Highlight ist MF DOOMs eleganter Auftritt zum Ende, in dem der Altmeister die jungen Wilden in die Schranken weist.

„The Chocolate Conquistadors“ (2020)

Als im vergangenen Dezember eine fantastische Zusammenarbeit der gemeinsamen Versalien-Fans BADBADNOTGOOD und MF DOOM erschien, war noch nicht bekannt, dass es sich hier um eine posthume Veröffentlichung handelte. Ein letztes Erscheinen des Superbösewichts. BADBADNOTGOOD starteten ihre Karriere als DOOM-Beats covernde Jazz-Band, nun orchestrierten sie einen seiner letzten Auftritte. „The Chocolate Conquistadors“ ist ein aberwitziges Stück Jazz-Fusion, über das Daniel Dumile mit der Grazie eines Balletttänzers flowt. „Legitimize living lies, channel the cosmos / These God flows here to civilize.“ Seine komplex ineinander geschachtelten Silben können mühelos mit den frenetisch groovenden Rhodes-Pianos und Snare-Wirbeln mithalten. „Nervous system, serve as wisdom / Flow superior, determine rhythm / Electricity, eccentricity / Afrocentric synchronicity.“ Eine letzte Chance, diesem Bösewicht bei seinem Werk zuzuhören.

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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Diskussionen

1 Kommentar
  1. posted by
    Marty
    Jan 8, 2021 Reply

    Sehr traurig. Morgen wäre er 50 Jahre geworden. Vielleicht spielt ihr den ganzen Tag DOOM?

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