Die 25 besten Post-Rock-Alben aller Zeiten

Foto einer Felsformation im Nebel als Symbolbild für das Genre Post_Rock

Was kommt nach dem Rock? Der Post-Rock!

In der letzten Ausgabe unserer Best-Of-Genre-Listen haben wir über die Schwammigkeit des Begriffes „Freak-Folk“ sinniert – doch in puncto Ungriffigkeit kommen wenige Schirmbegriffe an den Post-Rock heran. Simon Reynolds brachte diese Wort-Monstrosität zum ersten Mal in die Welt, 1994 in einer Rezension des Albums „Hex“ von der Band Bark Psychosis (mehr zu der LP unten in der Liste). Kurze Zeit später lieferte der britische Journalist und „Retromania“-Autor freundlicherweise eine Definition hinterher: Musik, in der Rock-Instrumente für Nicht-Rock-Zwecke eingesetzt werden. In der „Gitarren zur Erzeugung von Klangfarben und Texturen benutzt werden und nicht für Riffs und Power-Chords“.

Nach dem Rock

So weit, so klar. In der Praxis wurde und wird der Begriff Post-Rock gerne für die Art von Musik verwendet, die Bands wie Mogwai, Godspeed You! Black Emperor und Explosions In The Sky zur Jahrtausendwende etablierten – sprich: gesanglose Gitarrenmusik in oftmals epischer Länge, mit einem Fokus auf ausgedehnte Laut-Leise-Dynamik anstatt der in der Pop-Musik sonst dominanten Strophe-Refrain-Strophe-Struktur. Diese Spielart kommt übrigens entgegen der Reynold’schen Definition nicht ohne Riffs und Power-Chords aus – und kratzt auch nur die Spitze des Post-Rock-Eisbergs an. Melancholische Ambient-Meditationen? Abstrakte Collagen-Kunst? Neoklassische Streicherexkursionen? All solche Musik wurde irgendwann einmal als Post-Rock bezeichnet.

Was zeichnet nun dieses Genre aus? Formlosigkeit? Strukturlosigkeit? Abenteuerlust? Ein bisschen von allem. Am Ende verhält es sich mit dem Post-Rock so, wie mit allen schwammigen Sammelbegriffen: Wenn man sich ein bisschen in dieser Welt bewegt hat, weiß man ziemlich schnell was Post-Rock ist und was nicht. Es folgt ein kleiner Versuch, einen Einblick in diese seltsame Logik zu verschaffen – und zwar mit einer Liste der 25 besten Post-Rock-Alben.

Can – „Future Days“ (1973)

Albumcover von Cans „Future Days“, eines der besten Post-Rock-Alben aller Zeiten

Wie bereits erwähnt wurde, entstand der Begriff „Post-Rock“ erst in den 90er-Jahren. Die Wurzeln dieser ungreifbaren Musik finden sich aber natürlich noch viel früher, zum Beispiel in Deutschland. Die ersten Can-LPs wie „Tago Mago“ oder „Ege Bamyasi“ hatten bereits mehrere über zehn Minuten andauernde Song-Exkursionen, doch auf ihrem vierten Studioalbum „Future Days“ begannen die fünf Musiker, die Zeit aus den Angeln zu heben. Speziell der abschließende Track „Bel Air“ bietet eine musikalische Eigensinnigkeit, die selbst in der generell extrem eigensinnigen Krautrock-Welt der 70er-Jahre heraussticht. Ein 19-minütiger Trip, der sich dynamisch in die Höhe schraubt, wieder abfällt und von vorne bis hinten unvorhersehbar bleibt. Und das (öfter als seltener) ohne Studio-Tricks, sondern mit der puren Musikalität der fünf Protagonisten. Zu groovy für Ambient, zu minimalistisch für Prog, zu entspannt für Punk, kurzum: eines der ersten und besten Post-Rock-Alben.

This Heat – „Deceit“ (1981)

Albumcover von This Heats „Deceat“, eines der besten Post-Rock-Alben aller Zeiten

This Heat werden gerne, wahrscheinlich ihrer Zeit und ihres Orts geschuldet, in die Post-Punk-Schublade gesteckt, gemeinsam mit Bands wie Joy Division oder Pere Ubu. Hört man die Musik dieses Londoner Trios, dann klingt das aber ganz anders. Gerade „Deceit“, ihr zweites und letztes Album, ist eine bizarre Collage aus Dub, Tape-Loops und dem hypnotischen Zusammenspiel dreier Musiker, die wie telepathisch verbunden scheinen. Da sind Songs wie das unheimliche Wiegenlied „Sleep“, das bizarr um sich selbst kreisende „Cenotaph“, oder das Sekunde um Sekunde intensiver werdende „New Kind Of Water“, das auch über 40 Jahre später immer noch die Nackenhaare aufstellen lässt. Rock-Konventionen waren für This Heat nur eine von vielen popmusikalischen Altlasten, die sie bewusst zerstörten – um einen Proto-Post-Rock-Klassiker zu schaffen.

Talk Talk – „Laughing Stock“ (1991)

Albumcover von Talk Talks „Laughing Stock“, eines der besten Post-Rock-Alben aller Zeiten

Der moderne Post-Rock beginnt bei Talk Talk. Bei vier Hitmakern aus London, die nach drei zwar künstlerisch interessanten aber vor allem finanziell sehr erfolgreichen Synth-Pop-LPs beschlossen, alle kommerziellen Ambitionen über Bord zu werfen. Stattdessen sprangen sie kopfüber in ein Meer aus abstrakten Akkorden, von allen Regeln der Pop-Kunst losgelösten Kunst-Musik-Meditationen und sich meilenweit auftürmende Noise-Wellen. Diese neuen, zauberhaften Töne erkundeten sie zuerst auf ihrem vierten Album „Spirit Of Eden“. Auf dem Nachfolger „Laughing Stock“ perfektionierten sie sie. Ein Titan von einem Album, irgendwo zwischen Miles Davis, Arvo Pärt und Can.

Slint – „Spiderland“ (1991)

Albumcover von Slints „Spiderland“, eines der besten Post-Rock-Alben aller Zeiten

Der andere Genre-Meilenstein des Jahres 1991 stammte nicht von Pop-Genies aus dem schicken London. Sondern von vier schluffigen Fast-noch-Teenagern aus Louisville, Kentucky, eines der Epizentren des US-amerikanischen Indie-Rock der frühen 90er-Jahre. Die Band hieß Slint. Das erste Album dieser Gruppe war ein adoleszentes Durcheinander, das so nur von vier sehr jungen, überambitionierten Menschen geschaffen werden konnte. Doch ihr zweites – und letztes – Album „Spiderland“ war eine ganz andere Angelegenheit. Sechs konstant zwischen den extremen Polen „Laut“ und „Leise“ flimmernde Songs, aufgebaut aus dissonanten Harmonien, die bei genauer Betrachtung so gar nichts mit den sonst im Rock so beliebten Power-Chords und Lagerfeuer-Akkorden zu tun haben. Doch „Spiderland“ ist nicht nur seltsam der Seltsamkeit wegen: Diese nervöse Angstschweiß-Musik entfacht einen solchen Sog, der so ziemlich alle Bands, die sich „Post-Rock“ auf die Fahnen schrieben oder schreiben, beeinflusst hat.

Stereolab – „Transient Random-Noise Bursts With Announcements“ (1993)

Albumcover von Stereolabs „Transient Random-Noise Bursts With Announcements“, eines der besten Post-Rock-Alben aller Zeiten

Stereolab waren und sind in ihrer Art des Post-Rock nicht so radikal wie Slint oder die späten Talk Talk. Stattdessen ist die Musik der französisch-britischen Band ein postmodernes, Genre-Grenzen transzendierendes Kaleidoskop der (Art-)Pop-Musik des 20. Jahrhunderts – wie eines ihrer Meisterstücke „Transient Random-Noise Bursts With Announcements“ beweist. Krautrock-Grooves treffen auf Fuzz-Gitarren. Liebevolle Lounge-Pop-Träumereien wechseln sich mit Tape-Collagen ab. Und das Bizarrste ist: In vielen Momenten ist dieser überaus seltsame Strudel nichts anderes als perfekte Pop-Musik.

Bark Psychosis – „Hex“ (1994)

Albumcover von Bark Psychosis’ „Hex“, eines der besten Post-Rock-Alben aller Zeiten

Und hier ist es: „Hex“, Das Album, das (wie bereits erwähnt) zum ersten Mal mit dem Begriff „Post-Rock“ gesegnet wurde. Aus heutiger Sicht ergibt das nach wie vor Sinn: Die jazzig-meditativen Vibes von „Laughing Stock“ bilden das Fundament vom Debütalbum von Bark Psychosis (so sehr, dass die Gruppe für ihr zweites Album „///Codename: Dustsucker“ gleich Talk-Talk-Drummer Lee Harris rekrutierte). Die britische Band strich die lauten Gitarrenwände aus der Formel und ergänzte sie um Trip-Hop-Beats und surrealen (Alb-)Traum-Jazz, der auch aus Angelo Badalamentis „Fire-Walk-With-Me“-Soundtrack stammen könnten. Pechschwarze Astralmusik, perfekt für die Out-Of-Body-Experience beim nächtlichen Spaziergang.

Disco Inferno – „D. I. Go Pop“ (1994)

Albumcover von Disco Infernos „D. I. Go Pop“, eines der besten Post-Rock-Alben aller Zeiten

Fun Fact: Bevor er als Mitglied von Bark Psychosis Post-Rock-Geschichte schrieb, war Keyboarder Daniel Gish für kurze Zeit Mitglied einer anderen wichtigen Band des Genres. Die Rede ist von der Londoner Gruppe Disco Inferno. Nach dem Ausstieg von Gish begann die verbleibende, eigentlich mal als Post-Punk-Act gestartete Band exzessiv mit digitalen Samplern und abenteurlichen Produktionstechniken zu experimentieren, sowohl von My Bloody Valentine als auch von Public Enemy beeinflusst. Diese Abenteuerlust kulminierte in ihrem zweiten und besten Album „D. I. Go Pop“. Acht bizarre Songs, die unter dem Gewicht von verzerrten Bässen und zischenden Field-Recording-Samples ächzen – und in ihrer unsicheren Stabilität eine unglaubliche Spannung erzeugen. Die perfekte Musique concrète für die 90er-Jahre!

Laika – „Silver Apples Of The Moon“ (1994)

Albumcover von Laikas „Silver Apples Of The Moon“, eines der besten Post-Rock-Alben aller Zeiten

Ähnlich wie Disco Inferno arbeiten auch Laika an der Schnittstelle zwischen analoger Musikalität und digitalem Sampling. Nur ist die Musik dieser Londoner Band deutlich motorischerer Natur. Ihr Debüt „Silver Apples Of The Moon“ könnte gut als Trip-Hop-LP durchgehen, mit all den teils gesampelten, teils von Menschenhand gespielten Groove-Schichten und Margaret Fiedlers melancholischem Gesang. Doch der Geist des Post-Rock ist in der Musik von Laika deutlich spürbar: in den seltsam verknoteten Gitarren-Parts und in der verspielten Strukturlosigkeit ihrer genussvoll ausgedehnten Songs. Und mit „44 Robbers“ schrieben Laika sogar einen der wenigen Post-Rock-Tracks, zu denen man tatsächlich tanzen kann!

Rodan – „Rusty“ (1994)

Albumcover von Rodans „Rusty“, eines der besten Post-Rock-Alben aller Zeiten

Zu etwa 50 Prozent handelt es sich bei „Rusty“, dem zweiten Album der genau wie Slint aus Louisville stammenden Band Rodan, um eine der besten Post-Hardcore-Platten der 90er-Jahre. Die andere Hälfte umfasst einige der schönsten Post-Rock-Momente des Jahrzehnts. Für Freund*innen von schwammigen Post-Genrebegriffen ist das eine klassische Win-Win-Lösung! Und für Freund*innen von guter Musik sowieso: Die Songs von Rodan schlagen wilde U-Turns, verwandeln sich innerhalb weniger Sekunden von Gitarren-Meditationen in ultrahektische Math-Rock-Lawinen. Die lauten Momente sind Adrenalin in Musikform, die ruhigen schönste Post-Rock-Kunst.

Tortoise – „Millions Now Living Will Never Die“ (1996)

Albumcover von Tortoises „Millions Now Living Will Never Die“, eines der besten Post-Rock-Alben aller Zeiten

In der gesanglosen Musik von Tortoise laufen viele Stränge zusammen. Der meditativ-repetitive Krautrock von Neu. Die jazzigen Soundwellen von Talk Talk. Der verspielte Pop-als-Collage-Ansatz von Stereolab. Die seltsamen Gitarrenharmonien von Slint (kein Wunder, schließlich war Slint-Gitarrist Dave Pajo für die ersten beiden LPs Mitglied der Band). Doch weniger als die Schatten von vorigen Bands klingt ihr Debüt „Millions Now Living Will Never Die“ vor allem wie eins: Tortoise. Mit Metallophon, Motor-Drumming und Jazz-Gitarren baute die Chicagoer Band ihre ganz eigene Klangwelt, in der Zeit keine Rolle spielt und ein Moment atemberaubender Schönheit auf den nächsten folgt.

Swans – „Soundtracks For The Blind“ (1996)

Albumcover von Swans’ „Soundtracks For The Blind“, eines der besten Post-Rock-Alben aller Zeiten

Strenggenommen handelt es sich bei „Soundtracks For The Blind“ um schlichte Resteverwertung. Kurz vor ihrer Auflösung brachte die New Yorker No-Wave-Formation Swans auf diesen zwei CDs einen großen Haufen nur lose zusammenhängender Songs heraus, die in den vorigen 15 Jahren ihrer Band-Karriere kein Zuhause gefunden hatten. Ob wissentlich oder nicht schuf die Gruppe um Michael Gira dabei einen wahren Klassiker des Genres. In sich majestätisch auftürmenden Epen wie „The Sound“ oder „Helpless Child“ schichten Swans Morricone-Gitarren über Feedback-Wände, bis die Spannung nicht mehr zu ertragen ist. Solch kolossale Songs erklingen Seite an Seite mit Genre-Experimenten wie dem Trance-Pop-Ungetüm „Volcano“ oder den avantgardistischen Tape-Collagen wie „I Was A Prisoner In Your Skull“, in dem eine Stimme von Drones begleitet über den Verlust des Augenlichts sinniert. Post-Rock in seinem klassistischen Sinne: Die Instrumente kommen aus der Rock-Musik, doch das Ergebnis klingt komplett anders.

Mogwai – „Young Team“ (1997)

Albumcover von Mogwais „Young Team“, eines der besten Post-Rock-Alben aller Zeiten

„If the stars had a sound, it would sound like this“, sagt eine gesampelte Stimme zum Beginn. Das ist einer der wenigen Sätze, die auf dem Debütalbum von Mogwai zu hören sind – und generell eine quintessentielle Beschreibung der Musik dieser Band. Auf ihrem Debüt „Young Team“ erschufen die Schotten wahre Supernoven aus Gitarrenlärm, kontrastiert mit dem leisesten Gezupfe des Universums. Als wichtige Inspiration nannten Mogwai stets die Laut-Leise-Talfahrten von Slint, doch die ultranervöse Beklommenheit ihrer Vorbilder ist hier nicht zu finden. Stattdessen klingt ihre Musik in den vielen großartigen Momenten von „Young Team“ einfach wie pure, ohrenbetäubende Ekstase. Kein Stück zeigt das besser als ihr das Album abschließendes Opus magnum „Mogwai Fear Satan“.

Labradford – „Mi Media Naranja“ (1997)

Albumcover von Labradfords „Mi Media Naranja“, eines der besten Post-Rock-Alben aller Zeiten

Im Kontrast zur Sonnenmusik von Mogwai steht die ultimative Nachtmusik von Labradford. „Mi Media Naranja“, das vierte Studioalbum des Trios aus Richmond, Virginia, ist ein vom Mondlicht beschienener Erkundungstrip durch leere Gassen – und das in Zeitlupe. Die zu großen Teilen schlagzeuglosen Instrumentals breiten sich in aller Gemütlichkeit aus, ohne klare Richtung. Nur ein paar gesampelte Radiostimmen zeigen einen groben Weg. Ohne großes rhythmisches Fundament (ausgenommen von einigen abstrakten Beats) erschaffen Labradford mit Gitarre, Orgeln, Geigen und Bass eine betörend meditative Welt. Ihre Musik hat keinen Raum für Licht, da müssen sich die Hörer*innen auf ihren anderen Sinne verlassen. Bis im abschließenden Track „P“ die Klavierakkorde die Sonne endlich aufgehen lassen.

Gastr Del Sol – „Camoufleur“ (1998)

Albumcover von Gastr Del Sols „Camoufleur“, eines der besten Post-Rock-Alben aller Zeiten

Plätschernde Steel-Drums, heulende Trompeten, hypnotische Gitarren und ein unnachgiebiger Breakbeat: Alleine die ersten fünf Minuten von „Camoufleur“, der fünften und letzten LP von Gastr Del Sol demonstrieren eindrucksvoll, warum die Gruppe um Jim O’ Rourke zu der Speerspitze der Chicagoer Post-Rock-Szene gehörte. Die Band benutzt Elemente aus Jazz, Folk und Indie-Rock, um mit der Freude eines mit Lego spielenden Kleinkinds ihre ganz eigenen Klangkonstrukte zusammenzufügen. Da werden Folk-Balladen von sirenenartigen Samples zerschnitten und ein Harmonium im Meer aus Hallfiltern und Störgeräuschen ertränkt.

Sigur Rós – „Ágætis Byrjun“ (1999)

Albumcover von Sigur Rós’ „Ágætis Byrjun“, eines der besten Post-Rock-Alben aller Zeiten

Ein sanfter Puls. Eine Stimme, die Du nicht verstehst. Und dann die pure Reizüberflutung. Eine Welle aus verzerrten Sounds und gleißendem Licht. Herzlichen Glückwunsch, Du bist geboren. So in etwa fühlen sich die ersten Minuten von „Ágætis Byrjun“ an, dem zweiten Album von Sigur Rós. Die Musik der Isländer verlangt förmlich solche ursprünglichen Bilder. Die mit einem Cellobogen erzeugten Soundskulpturen von Gitarrist und Sänger Jonsi, gepaart mit den wolkigen Fundamenten seiner Band, erzeugen Klänge, die Sprache transzendieren. Wie passend, das ein Großteil dieser Songs in einer von Sigur Rós ausgedachten Sprache gesungen werden, Hopelandic.

Contriva – „Tell Me When“ (2000)

Albumcover von Contrivas „Tell Me When“, eines der besten Post-Rock-Alben aller Zeiten

Im Kontrast zur übersinnlichen Leben-und-Tod-Musik von Sigur Rós handelt es sich bei Contriva um eine etwas niedriger gestapelte Angelegenheit. Die Songs von der Berliner Band um Masha Qrella sind betont Low-Key. Ein stoisches, freundliches Plätschern, das tiefer ist, als es anmutet: Auf ihrem zweiten Album „Tell Me When“ vergehen vier Songs ohne Gesang, wie kleine, verspielte Etüden, bis in „Next Time“ Qrella plötzlich eine Hookline auspackt. Und die kommt nicht einfach so, sondern mit Fuzz-Gitarren, schiefen Orgeln und seltsam tanzenden Akkorden ausgeschmückt. Einer von vielen kleinen Zaubermomenten auf einer der definitiv entspanntesten Post-Rock-LPs.

Pram – „The Museum Of Imaginary Animals“ (2000)

Albumcover von Prams „The Museum Of Imaginary Animals“, eines der besten Post-Rock-Alben aller Zeiten

Von allen hier aufgelisteten Post-Rock-Platten ist „The Museum Of Imaginary Animals“, das fünfte Werk von Pram, sicherlich die bunteste. Die Band aus Birmingham packt hier so ziemlich alle Instrumente aus, um ihre experimentelle Rock-Musik noch farbenfroher zu machen. Geisterhafte Theremine. Knarzende Kontrabässe. Glitzernde Glockenspiele. Schwelgende Trompeten. Melancholische Akkordeons. Nostalgische E-Piano-Sounds. Ein jazzig-dubbiges Kaleidoskop, das sich auf keinen gemeinsamen Nenner herunterbrechen lässt. In der Mitte von allem: Rosie Cuckstons hohe, leicht entrückt wirkende Stimme, die ähnlich wie Stereloabs Lætitia Sadier dem verspielten Chaos eine lose Ordnung gibt.

Godspeed You! Black Emperor – „Lift Your Skinny Fists Like Antennas To Heaven!“ (2000)

Albumcover von Godspeed You! Black Emperors „Lift Your Skinny Fists Like Antennas To Heaven!“, eines der besten Post-Rock-Alben aller Zeiten

„… You will believe you are mad, you will believe you are insane“, spricht ein gesampelter Prediger in „Static“, dem zweiten Stück von „Lift Your Skinny Fists Like Antennas To Heaven“. Besagter Kleriker spricht von transzendentalem Glaubenserlebnissen, vom Aufeinandertreffen mit der höchsten Ebene Gottes – doch er könnte genauso gut über die Musik dieser Band sprechen, die nur wenige Minuten nach diesem Monolog zu einem der schier atemberaubendsten Crescendos der Musikgeschichte ausholt. Doch Godspeed You! Black Emperor können mehr als nur Höllenschlünde öffnen. Auf ihrer zweiten Studio-LP zeigt das kanadische Kollektiv die volle Bandbreite seines Schaffen: sanfte Anfänge, triumphale Aufstiege, befremdliche, aus bizarren Samples zusammengenähte Zwischenspiele. Jede der vier Kompositionen ist über 15 Minuten lang, doch kein Augenblick davon wirkt verschwendet. Jede Sekunde im Dienst der Hoffnungslosigkeit und Wunderschönheit des Menschseins.

Stars Of The Lid – „The Tired Sounds Of Stars Of The Lid“ (2001)

Albumcover von Stars Of The Lids „The Tired Sounds Of Stars Of The Lid“, eines der besten Post-Rock-Alben aller Zeiten

Während Godspeed You! Black Emperor in ihren Höhepunkten maximalen Lärm heraufbeschwören, sind die intensivsten Momente von „The Tired Sounds Of Stars Of The Lid“ nahezu ohrenbetäubend still. Die Grenzen zum Ambient sind in der Musik des Duos aus Austin, Texas fließend. Seine Songs sind aus Drones, Gitarren-Fades, einsamen Streicherklängen und ein paar seltenen Sample-Fetzen konstruiert. Das sechste, ungemein meditative Album erstreckt sich über zwei Stunden Spielzeit, ohne Hooks, ohne Crescendos, ohne Drums. Was diese LP aber immer wieder im Post-Rock-Diskurs auftauchen lässt, ist die schiere Emotionalität, die dieser Musik gewordenen Nebellandschaft Gewicht verleiht. Wie die besten Post-Rock-Acts beherrschen Stars Of The Lid die Kunst, ohne Worte, ohne konventionelle Rock-Methoden große Pop-Momente zu schaffen. Durch das Meer aus Loops und endlos gestreckten E-Gitarren zieht sich eine omnipräsente Traurigkeit, in der man lange versinken kann, nur um am Ende gereinigt wieder aufzutauchen.

The Silver Mt. Zion Memorial Orchestra & Tra-La-La Band – „Born Into Trouble As The Sparks Fly Upward“ (2001)

Albumcover von The Silver Mt. Zion Memorial Orchestra & Tra-La-La Bands „Born Into Trouble As The Sparks Fly Upward“, eines der besten Post-Rock-Alben aller Zeiten

Apropos Traurigkeit: „Born Into Trouble As The Sparks Fly Upward“, das zweite Album von A Silver Mt. Zion kann zweifelsohne als eines der schwermütigsten Alben des bisherigen Jahrtausends gezählt werden. Das mit jedem Werk den eigenen Namen erweiternde Projekt, zusammengestellt aus drei Mitgliedern von Godspeed You! Black Emperor, erweitert den maximalistischen Post-Rock seiner Hauptband um Neoklassik-Streicher, die im Opener „Sister! Brother!…“ so lange ihre Kreise ziehen, bis jeder Mensch im Publikum zum Weinen gebracht wurde. Die Celli, Geigen und Kontrabässe ergänzen sich mit Ephrim Menucks mit dem Schraubenzieher gespielter, metallisch heulenden E-Gitarre zu einem hoffnungslos melancholischen Klangbild. Auf späteren LPs experimentierten Silver Mt. Zion mit Folk und Punk, doch emotionaler als hier warensie nie.

Amiina – „Kurr“ (2007)

Albumcover von Amiinas „Kurr“, eines der besten Post-Rock-Alben aller Zeiten

Ein großer Einfluss für das Genre waren von Anfang an die Werke von Minimalismus-Komponisten wie Steve Reich oder Philip Glass. Wenige Acts zeigen das so explizit wie Amiina. Auf ihrem Debütalbum „Kurr“ vermischen die vier Isländerinnen verträumte Post-Rock-Gitarren mit polyrhythmisch verzahnten Xylophonen und eng übereinander geschichteten Streicher-Phrasen. Stücke wie „Glámur“ sind virtuos arrangierte, aber nicht ansatzweise verkopfte Konstruktionen, die mit jeder Wiederholung, Schicht um Schicht größer, komplexer und wunderschöner werden.

Do Make Say Think – „You, You’re A History In Rust“ (2007)

Albumcover von Do Make Say Thinks „You, You're A History In Rust“, eines der besten Post-Rock-Alben aller Zeiten

Seit ihrer Gründung im Jahr 1995 waren Do Make Say Think eine verlässliche Band für etwas generischen, aber dennoch grundsoliden Post-Rock, im Schatten ihrer kanadischen Landsmänner und -frauen von Godspeed You! Black Emperor. Bis zur Veröffentlichung von „You, You’re A History In Rust“, ihrem bis dato besten Album, auf dem die Band zum ersten Mal das volle Potential ihrer ungewöhnlichen Besetzung (zwei Drummer + drei ständig zwischen Gitarre, Bass und Bläsern wechselnde Multitalente) ausspielten. Eine wahre Post-Rock-Wundertüte von einem Album: polyrhythmischer Jazz-Rock („Bound To Be That Way“), mit Field-Recordings und Drones verklärte Folk-Meditationen („A Tender History In Rust“), überlebensgroße Fuzz-Wellen („Exekutioner Blues“) – alles, was dieses Genre großartig macht, ist da.

Mono – „Hymn To The Immortal Wind“ (2009)

Albumcover von Monos „Hymn To The Immortal Wind“, eines der besten Post-Rock-Alben aller Zeiten

Die klischeehafte Post-Rock-Struktur ist (trotz der hier auf dieser Liste dargestellten stilistischen Bandbreite) nach wie vor diese: Leiser Start, langsamer Aufbau und höllisches Finale. Viele Songs und Alben von Mono folgen genau dieser Formel, mit mitunter etwas vorhersehbaren Ergebnissen. Doch auf ihrem fünften Album verwandelte das japanische Quartett das Klischee in eine ganz eigene Kunstform. Begleitet von einem ganzen Sinfonie-Orchester treiben Mono die vielen Höhepunkte von „Hymn To The Immortal Wind“ in fast schon unerträgliche Dimensionen. Ist das kitschig? Und wie! Doch wer diesem epochalen Kitsch so gar nichts abgewinnen kann, hat vermutlich kein Herz.

These New Puritans – „Field Of Reeds“ (2013)

Albumcover von These New Puritans’ „Field Of Reeds“, eines der besten Post-Rock-Alben aller Zeiten

Bräche man die Songs von „Field Of Reeds“, dem dritten Album von These New Puritans, auf ihre absoluten Basiselemente herunter, auf Klavier und Gesang, dann wären sie dramatische Kabarett-Balladen. Dieses Fundament nutzte das britische Duo als Absprungpunkt in tiefste Post-Rock-Gewässer: Jeder Song ist ein eigenes Klanguniversum, das jede Minute neue, unvorhersehbare Elemente offenbart. In einem Stück türmen sich Streicher und Bläser auf, im nächsten ballert ein Breakbeat alles um, was ihm in den Weg kommt. Dann wieder Synthesizer-Geblubber, kurz vorm Drum and Bass. Nichts ist sicher auf „Field Of Reeds“. Sogar die an und für sich sehr schönen Gesangsmelodien von Jack Barnett werden von ihrer seltsamen Monotonie untergraben. Das Fact Magazine nannte dieses Album 2016 eine „der wenigen Platten, die mit dem majestätischen Post-Rock von Talk Talk mithalten können“. Recht haben sie.

Black Country, New Road – „Ants From Up Here“ (2022)

Albumcover von Black Country, New Roads „Ants From Up Here“, eines der besten Post-Rock-Alben aller Zeiten

Ein Jahr nach der Veröffentlichung ihres Jazz-Noise-Post-Rock-Hybriden „For The First Time“ schoben Black Country, New Road 2022 direkt das nächste Album hinterher. Ein ziemlich anstrengender Schaffensprozess mit Burnout-Potential, wie der vor Kurzem bekanntgegebene Ausstieg von Sänger und Gitarrist Isaac Wood belegt. Was das Fehlen ihres Anführers für die Zukunft dieser Band bedeutet, wird sich zeigen. Mit „Ants From Up Here“ kann man sie nun ein letztes Mal in ihrer siebenköpfigen Glorie erleben. Das Album ist deutlich sanfter und emotionaler als der Vorgänger, mehr Emo als Noise-Rock. Und auch noch deutlich besser: Woods frenetische Spoken-Word-Tiraden werden diesmal von Kaskaden aus Philip-Glass-Streichern und hypnotischen Bläser-Schleifen umrahmt. Der Höhepunkt heißt „Snow Globes“, eine sich langsam entfaltende Ballade, die immer wieder von einem leicht neben dem Takt rumpelnden Schlagzeug aufgerüttelt wird. Einer der intensivsten Songs des bisherigen Jahres – und ein großer Moment in der jüngeren Geschichte des Post-Rock.

Bild mit Text: „Ja ich will Radiokultur unterstützen“ / „Freunde von ByteFM“

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