Interpol, ganz schnell erklärt: Gründung 1997, Heimat New York, Startbesetzung zu viert, alle in Anzügen. 2002 kommt das dunkel-düstere Meilenstein-Debüt „Turn On The Bright Lights“, direkt damit auch die Fans. Die Band bringt 2004 mit „Antics“ ein Album randvoll mit Indie-Hits raus – danach folgen zwei weitere Kritiker-Lieblinge-Platten, Bassist Carlos D verlässt im Anschluss die Band, und im letzten September kommt „El Pintor“ auf den Markt. Und seitdem sind sie auf Tour, und ich gierte nach einem Interview-Termin.
„Hi Matthes, es kam die Info, dass Paul Lust hätte.“ Genau so stand es zwei Tage vor dem Interview in der Mail des Promoters, mit dem ich seit knapp drei Monaten fleißig E-Mails hin und her geschrieben hatte. Ein leichtes Zittern durchfährt mich, als ich diesen Satz lese – nicht, weil Mr. Paul Banks der Sänger einer meiner Lieblingsbands ist, sondern vielmehr, weil dieser als ziemlicher Interview-Muffel gilt.
Trotzdem: Am Interview-Tag, Stunden vor der Interpol-Show in der Columbiaaalle in Berlin, bin ich zwar nervös, aber doch guter Dinge. Bewaffnet mit Aufnahmegerät, Interviewfragen, dem Musikexpress vom September 2014 und einer Kamera warte ich im Catering-Bereich. Und eben die Kamera ist der Grund, dass sich das Date ein wenig hinauszögert. Der Tour-Manager rennt hin und her. Schließlich sagt er mir, was los ist: „Paul möchte nur von links fotografiert werden.“ Soso, aha, mhm. Vielleicht macht man das so, wenn man Indie-Gott ist oder der Boyfriend von Helena Christensen. Jedenfalls schleiche ich mich in den Backstage-Raum und werde von Banks empfangen. Der Interpol-Ausgehanzug hängt noch im Schrank, noch macht sich der Herr locker und trägt sehr legere Mütze, Schal und Sneakers. Wir nehmen auf Ledersesseln Platz, und los geht’s.
Haben sich gut vertragen: Interpol-Sänger Paul Banks (rechts) und Matthes Köppinghoff
Wie es einen Tag zuvor in Kopenhagen war, frage ich, und Paul freut sich und schwärmt (für seine Verhältnisse) von der schönen Stadt und zwei tollen Shows. Erfreut darüber, dass er mich nicht beschimpft oder verprügelt, ziehe ich den Joker: Ebenjenen Musikexpress, den ich dabei habe. Auf dem Cover sind die drei verbliebenen Mitglieder von Interpol nach dem Ausstieg ihres Bassisten Carlos D, und die Bildunterschrift: „… besten Rockband Amerikas.“ (Den Anfang „Im schizophrenen Kosmos der …“ verschweige ich bewusst.). Damit ist er ganz zufrieden, sagt er, auch der Begriff „Rock“ ist für ihn nicht zu einengend: „Genau das ist es, was wir eigentlich sein wollen. Eine Rock-Band. (…)“
Es folgen viele weitere Fragen, bis mir, als er erklärt, dass er sehr gern im Hotel im Fitnessstudio rumhängt, klar wird, was Paul Banks eigentlich ist: Er ist ein Boxer. Banks schätzt seinen Gegner erst mal ab, nach ein paar Runden zeigt er, wer er ist und geht aus sich raus – und eigentlich ist er doch ganz umgänglich. Auch, wenn ihm Lächeln oder gar Lachen erst nach ein paar Anläufen gelingt.
Die Fakten des Hobby-Boxers, Kopenhagen und das mit „Fotos nur von links bitte“, da gibt es tatsächlich einen Zusammenhang. „Ja, ich hatte da irgendwas im Gesicht, und das war der Grund, warum es gestern einen kleinen Schlagwechsel gab.“
– „Jetzt echt?“ (Schlägereien mit Interpol? Das ist mir dann doch neu.)
– „Ja, aber Gott sei Dank gab’s nichts auf die Nase.“
– „Willst du drüber sprechen?“
– „Hm, eigentlich nicht.“ Und er lacht. Kein Witz.
Zwar nicht lange und mit zusammengebissenen Zähnen, aber immerhin. Auch so scheint der Mann von Interpol nicht die trübe, schlecht gelaunte Tasse zu sein, für den ihn viele halten. Auf das Buch „Torture The Artist“ angesprochen, in dem es darum geht, dass Künstler immer leiden müssen, um perfekte Kunst zu erschaffen, grübelt Paul nach. „Och, viele Songs habe ich auch an sehr schönen Tagen geschrieben, mit Strand und Surfen.“ Aber dann: „I don’t really think you have to be sad to. I mean: I’m tortured all the time …“ Geht doch.
Erst mal schauen, ob der Frontmann gut drauf ist, dann ist auch ein Fan-Foto drin: Interpol-Gitarrist Daniel Kessler (links)
Zusammengefasst: Ein gutes Interview. Interpol sind auch ein halbes Jahr nach Erscheinen von „El Pintor“ noch sehr glücklich mit dem Album; Banks gefällt „First Light“ (von Big Noble, das Soloprojekt von Kessler); Reviews liest er sich nicht mehr wirklich durch (weil sie ihn möglicherweise aufregen); dass er zwar schon manchmal ein wenig müde vom Tourleben sei, aber dass das eben auch schon viel Spaß macht. Und in der Band Interpol zu spielen ein ziemlich großes Privileg sei. Das letzte Konzert, auf dem er privat war, das war Kraftwerk – und er war begeistert: „You know what I’m talking about, right?“
Fragen nach dem Weggang des Bassisten nerven ihn nicht mehr – und Joy-Division-Vergleiche, da wisse er einfach mittlerweile, dass man ihn nur ärgern wolle. Worüber er sich tatsächlich aufregt, das ist sein Handy – wenn er neue Musik hören will, schmiert regelmäßig seine Mobile-Verbindung ab. Auch seine Bandkollegen raten ihm schon zum technischen Schritt zurück – kauf dir doch einen iPod, Paul.
Viele Fragen später, die Mr. Banks brav beantwortet, ist das Interview vorbei, und wir schauen uns noch mal den Musikexpress an. Ob er die Ausgabe behalten könne, fragt Banks, ich überlasse ihm die Zeitschrift gern. Zwar versteht der Mann kein Deutsch, aber trotzdem blättert er sehr interessiert durch das Magazin. Ich verabschiede mich, tatsächlich bedankt er sich für das Interview, ich gehe hinaus – und laufe Gitarrist Daniel Kessler in die Arme.
Der wiederum scheint ein wenig knatschig/besorgt, schaut kurz bei Banks rein – ob alles gut gelaufen sei, fragt er, und als er feststellt, dass sein Sänger keine weiteren Verletzungen oder schlechte Laune hat, macht er noch brav mit mir ein Foto. Ihm ist’s egal, von welcher Seite. Geht doch.
Mit ziemlich starkem Aquaplaning unter den Armen, aber sehr erleichtert, verlasse ich die Columbiahalle – der Interviewpartner hat nicht wie befürchtet nur mit „ja“ oder „nein“ geantwortet, es kam ein nettes Gespräch zustande, und Fotos waren auch drin. Wenn auch nur von links.
Einige Stunden später: Die Vorband Health, die Paul Banks selbst „fucking awesome“ findet, sie macht auf jeden Fall amtlich Krach. Einige zahlende Fans sehen das auch so, der Großteil findet das aber, wenn überhaupt, witzig bis furchtbar. Doch bald kommen auch schon Interpol auf die Bühne. Auch im Fotograben gilt: Keine Fotos von rechts. Bei diesem roten Foto-Faden muss ich schmunzeln.
Fotos ja – aber bitte nur von links. Interpol live in der Columbiahalle in Berlin
Wie dem auch sei: Wo sonst bei den Perfektionisten aus New York wirklich alles stimmt; heute ist im majestätischen Sound der Band ein wenig der Wurm drin. Wenn Kessler nicht wie ein Derwisch über die Bühne wirbelt, dann schaut er fragend, später auch genervt zum Bühnenrand; auch am Bass stimmt irgendwas nicht. Der Fluch der Technik. Die Akustik ist heute Abend auch nicht so dolle – was aber nicht von der großartigen Songauswahl ablenken soll. Bis auf das namenlose Album von 2010 spielen sich Interpol durch ihr komplettes Repertoire.
Alles in allem war das Konzert – okay. Nicht perfekt, aber das darf man sich ja auch mal erlauben. Und dieser Band kann man nicht wirklich böse sein.
Das ausführliche Interview hört Ihr am 13. Februar 2015 um 18 Uhr in der Sendung Champagne Supernova im Exil: Interpol (für Anfänger und Fortgeschrittene).
Diskussionen
1 KommentareAkizuki
Mrz 30, 2016Aus Liebe zu Interpol habe ich das Interview zum Schluss gelesen, allerdings – dank dieser tollen Balkenfotos, sind nun meine Augen dahin. Müssen die echt im Fließtext sein? 🙂
Torture the Reader.