Girlpool – „What Chaos Is Imaginary“ (Rezension)

Von Marius Magaard, 30. Januar 2019

Cover von „What Chaos Is Imaginary“ von Girlpool (ANTI-)

Girlpool – „What Chaos Is Imaginary“ (ANTI-)

7,8

Zwei wütende Stimmen, verschmolzen zu einer unverwüstlichen Einheit. So klangen Girlpool auf ihrem Debüt „When The World Was Big“. 2015 schrien sich Cleo Tucker und Harmony Tividad noch unisono ihre Teenage Angst aus dem Leib, nur von einer skelettalen Gitarre und einem trockenen Bass begleitet. Ein entwaffnend rohes Debüt, angesiedelt im Spannungsfeld zwischen 90er-Emo-Punk und Anti-Folk aus der Kimya-Dawson-Schule. Musik, so verletzlich und pulsierend wie ein offener Nerv.

2017 erschien der Nachfolger „Powerplant“, auf dem die beiden KalifornierInnen begannen, ihre Rohdiamanten zu polieren. Plötzlich erklang ein wuchtiges Schlagzeug, während Tuckers E-Gitarre zu einer dichten Wall-of-Sound aufgetürmt wurde. Aus durch ihre Unperfektheit faszinierenden Skizzen wurden Hymnen. Der nächste logische Schritt wäre das Stadion, oder zumindest große Festival-Bühnen. Nun erscheint das dritte Girlpool-Album – und es ist wieder alles ganz anders.

Weit entfernt und eng verschlungen

„What Chaos Is Imaginary“ hat weder viel mit dem minimalistischen Riot-Punk von „When The World Was Big“ noch mit dem Alternative-Rock von „Powerplant“ zu tun. Diese 14 neuen Songs sind zwar viel zugänglicher als die kratzige Girlpool-Frühphase, aber dennoch zu sperrig und zu schlau für das Stadion: Im Titeltrack schmiegen sich Streicher, Synthesizer und verhallte Drummaschinen an Tividads himmelhohe Stimme, Dream-Pop in Reinform. Mit seinem Mix aus Beatles-Akkorden und Selbsthass wirkt „Hire“ wie aus der Feder von Elliott Smith. Und die brutzelnden Drone-Gitarren von „Roses“ klingen wie der überwältigende Höhepunkt eines My-Blood-Valentine-Songs.

Bei all dieser neuen musikalischen Vielfalt kann man fast vergessen, dass sich etwas ganz Essentielles bei Girlpool geändert hat: die Stimmen. Auf „What Chaos Is Imaginary“ ist die vor wenigen Jahren noch unzertrennlich wirkende vokale Einheit von Tividad und Tucker auseinandergedriftet. Letzterer outete sich 2017 als transgender, eine Hormontherapie ließ seine Stimme eine ganze Oktave tiefer sinken.

Doch obwohl die Gesänge nun weiter voneinander entfernt sind als je zuvor, klingt das Duo auf diesen Songs auf eine ganz eigene Art und Weise verschlungen: In „Where You Sink“ bildet Tuckers Bariton ein festes Fundament für Tividads Kopfstimme, während Tividad in „Chemical Freeze“ Tuckers tiefes Organ mit sanften Harmonien umstreichelt. Die vielen verschiedenen Genre-Exkursionen auf „What Chaos Is Imaginary“ funktionieren zwar nicht immer – doch die beiden Menschen im Zentrum von Girlpool ergänzen sich so wunderbar, dass man nicht anders kann, als ihnen in jede neue Richtung zu folgen.

Veröffentlichung: 1. Februar 2019
Label: ANTI-

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