John Coltrane – „A Love Supreme“ (Impulse! Records)
Am 9. Dezember 1964 kamen der Tenorsaxofonist John Coltrane, McCoy Tyner am Klavier, Elvin Jones am Schlagzeug und der Bassist Jimmy Garrison zusammen, um in einer einzigen Abend-Session das Album „A Love Supreme“ im legendären Van Gelder Recording Studio in New Jersey einzuspielen. Die Platte erschien im Januar 1965 beim Label Impulse! und gilt nicht nur bei Jazzliebhaber*innen als ein Höhepunkt der Musikgeschichte. Sie verkaufte sich mehr als eine Million Mal, erhielt zwei Grammy-Nominierungen und war Coltranes größter Erfolg.
Dass an jenem Mittwoch etwas Magisches entstehen könnte, hatte sich vielleicht schon angedeutet. Coltrane war mit seiner Frau Alice und der Familie 1964 aus New York in den Vorort Dix Hills gezogen und hatte sich im September mit Stift, Papier und Saxofon zum Arbeiten zurückgezogen. Nach wenigen Tagen kam er die Treppe hinunter. Alice Coltrane erinnerte sich: „Es war, als wäre Moses vom Berg gekommen. Er kam herunter und hatte diesen freudigen, friedlichen Ausdruck, diese Ausgeglichenheit im Gesicht.“ Coltrane entgegnete: „Dies ist das erste Mal, dass ich die Musik für alles, was ich aufnehmen möchte, in einer Suite erhalten habe. Dies ist das erste Mal, dass ich alles, alles bereit habe.“
Höhepunkt einer künstlerischen und spirituellen Reise
Bei der folgenden Aufnahmesession gab Coltrane seinen Mitmusikern nur sehr wenige Anweisungen. Die Band hatte durch jahrelanges gemeinsames Live-Spielen eine besondere Chemie entwickelt. McCoy Tyner sprach von einer unausgesprochenen Kommunikation und musikalischen Freiheit während der Aufnahme. Auch die gedimmte, nachtclubartige Beleuchtung trug zur Improvisationsfreude der Band bei.
Schon der Auftakt der vierteiligen Suite mit dem Gong, dem fanfarenartigen Saxofon, dem prägnanten Basslauf und später dem mantraartigen Gesang Coltranes, lassen erahnen, dass hier etwas Besonderes entstand. Die folgenden fast 33 Minuten von „A Love Supreme“ sind dann der Höhepunkt einer künstlerischen und spirituellen Reise, die Coltrane sieben Jahre vorher begonnen hatte. Die Sätze „Acknowledgement“, „Resolution“, „Pursuance“ und „Psalm“ sind sein Glaubensbekenntnis und eine tiefe Danksagung an Gott. Auch das von ihm stammende Gebet und der Begleittext an die Hörer*innen zeugten von seiner Gottverbundenheit. Coltrane schrieb: „1957 hatte ich durch die Gnade Gottes ein geistliches Erwachen, das mich zu einem reicheren, volleren, schöpferischeren Leben geführt hat.“
In diesem Jahr schüttelte er seine Heroinabhängigkeit durch kalten Entzug ab. Sie hatte 1951 begonnen und war eine Zwischenstation seines gewundenen Weges.
Coltrane wurde 1926 in North Carolina in ein musikalisches und religiöses Umfeld geboren. Sein Vater spielte Ukulele und Violine, sein Großvater war Pfarrer. Blues und Gospel waren allgegenwärtig. Mit zwölf Jahren bekam er seine erste Klarinette. Ab Dezember 1938 starben binnen weniger Monate sein Vater, Großeltern und eine Tante, was die Familie in finanzielle Nöte brachte. Musik wurde seine Lebensader. 1943 zogen er und seine Mutter nach Philadelphia, die ihm zum 17. Geburtstag ein Alt-Saxofon schenkte. Coltrane nahm Musikunterricht und stürzte sich in die lokale Szene, wo er die Bekanntschaft anderer Bebop-Musiker machte. In den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs war er kurz bei der Marine, um danach ab 1946 in Philadelphia als Profimusiker zu arbeiten. Die Stadt war voller Bars und Clubs, in denen er als Begleitmusiker verschiedener R&B- und Blues-Musiker*innen sein Profil schärfte. Er zeichnete sich durch extremen Fleiß aus und erregte die Aufmerksamkeit anderer Musiker*innen. So spielte er mit Dizzy Gillespie, Earl Bostic und bis 1954 mit Johnny Hodges.
Die Wahrheit selbst hat keinen Namen
1955 nahm ihn Miles Davis in sein Quintett auf, Coltranes Aufstieg zu einer nationalen Berühmtheit begann. Hier entfaltete sein intensives, dichtes Saxofonspiel einen spannungsreichen Kontrast zur oft gedämpften und melancholischen Trompete von Davis. Coltranes Solo bei „Round About Midnight“ machte ihn schlagartig bekannt. Das hielt Davis nicht davon ab, Coltrane im April 1957 wegen dessen Heroinsucht zu feuern. Das war das Jahr, in dem „Coltrane wirklich Coltrane“ wurde, so der Autor Ashley Kahn. Nach dem radikalen Entzug entwickelte er durch die Zusammenarbeit mit dem Pianisten Thelonious Monk die „Sheets-Of-Sound“-Technik: Coltrane spielte Noten so schnell hintereinander, dass der Eindruck einer Klangfläche entstand. 1958 kehrte er zu Miles Davis zurück, die beiden herausragenden Alben „Kind Of Blue“ und „Milestones“ erschienen. Auf dem letzteren lieferte sich Coltrane mit dem Alt-Saxofonisten Cannonball Adderley auf „Straight, No Chaser“ Soli-Duelle.
1960 trennten sich Davis und Coltrane. Coltrane wollte seinen eigenen Weg gehen und experimentierte mit verschiedenen Besetzungen. Nach dem Abschluss eines Exklusiv-Vertrages mit der Plattenfirma Atlantic wandte sich Coltrane klanglich der Melodik zu: lange, fließende Saxofon-Linien, zuweilen fast monoton, wie auf dem Hit-Erfolg „My Favorite Things“ von 1961. Die Notenfolgen erinnerten an arabische und indische Musik, für die sich Coltrane immer stärker interessierte. Der Sinnsucher dehnte sein spirituelles Spektrum aus. Seine christliche Prägung erweitere er durch hinduistische, buddhistische und islamische Elemente. 1965 brachte er sein Denken auf die Formel: „Ich glaube an alle Religionen, die Wahrheit selbst hat für mich keinen Namen, und jeder muss sie für sich selbst finden.“
1962 war Coltrane auf dem Höhepunkt. Er verkaufte viele Platten, übte starken Einfluss auf die Jazzwelt aus und wurde auch von Musiker*innen aus dem R&B- und Rockbereich geschätzt. Der Boden für „A Love Supreme“ war bereitet, dem „großen Gebet von hymnischer Eindringlichkeit“, wie es die Autoren Joachim-Ernst Berendt und Günther Huesmann nannten. Für Coltrane war Musikmachen mit einem höheren Ziel verbunden: „Ich habe demütig darum gebeten, dass mir die Mittel und das Privileg gegeben werden, andere durch Musik glücklich zu machen“, schrieb er in den Liner Notes zu „A Love Supreme“.
Diese Haltung machte er 1966, ein Jahr vor seinem Tod noch einmal deutlich: „Ich weiß, dass es schlechte Kräfte gibt, Kräfte, die anderen Leid zufügen und Elend in die Welt bringen. Ich möchte die entgegengesetzte Kraft sein. Ich möchte die Kraft sein, die wirklich für das Gute ist“.
Diskussionen
1 KommentareStefan „Hering“ Cerin
Dez 10, 2024Super Würdigung! Danke