Joy Division – „Unknown Pleasures“ (1979)
„Unknown Pleasures“, die Debüt-LP von Joy Division, ist mehr als nur ein Album. Mehr als nur die zehn Songs, die die Band aus Manchester vor 40 Jahren auf Schallplatte verewigte. Das ikonische Album-Cover von Peter Saville, Mitbegründer und Teil des Factory-Records-Kreativteams, ist heute von Jutebeuteln, T-Shirts oder Körperteilen nicht mehr wegzudenken. Es markiert zwar nicht die Stunde Null des Post-Punk – diese Ehre gebührt Siouxsie And The Banshees oder Wire –, dennoch definierten Ian Curtis, Bernard Sumner, Peter Hook und Stephen Morris das Genre: So ziemlich jede Band, die seitdem auch nur entfernt irgendetwas mit Post-Punk Verwandtes produzierte, hat sich auf dieses Album bezogen – ob sie es wollte oder nicht. Es ist die möglicherweise einflussreichste Alternative-LP der letzten vier Jahrzehnte.
Tragische Perfektion
Ein Grund für diesen fast schon mythischen Status ist das nahezu perfekte Narrativ dieser Band: Ein Haufen junger Grünschnäbel findet sich bei einem Sex-Pistols-Konzert zusammen. Erst sollte ihre Band Warsaw heißen, später änderte sich der Name zu Joy Division – ein Spitzname für deutsche Wehrmachtsbordelle im zweiten Weltkrieg. 1978 erschien die ungeschliffene Debüt-EP „An Ideal For A Living“, nur ein Jahr später folgte das Debütalbum – und mit ihm der Durchbruch.
Mit Ian Curtis hatte die Band einen tragischen Frontmann in der Tradition von Jim Morrison, der für unzählige Fans eine Projektionsfläche für Mystifizierung bot: Ein leidender Poet mit einem Faible für düstere Texte und einer Faszination für menschliche Abgründe. Gesegnet mit einer tiefen, ins Mark gehenden Stimme und frenetischer Bühnenpräsenz. Geplagt von gesundheitlichen Problemen – in Curtis‘ Fall waren es epileptische Anfälle und Depression. Ein Jahr nach „Unknown Pleasures“ nahmen Joy Division den Nachfolger „Closer“ auf, dessen Titel beunruhigend prophetisch war: Zwei Monate vor Veröffentlichung nahm sich Curtis im Alter von nur 23 Jahren das Leben.
Was bleibt, ist Musik
Die tragischen Umstände und die kultische Verehrung machen es im Fall von „Unknown Pleasures“ schwer, es objektiv, als alleinstehendes Werk zu betrachten. Sie machen es schwer, den melodischen Basslauf und die stoischen Drums von „Disorder“ zu hören und dabei nicht zu denken, wie viele Bands diesen Sound geklaut haben. Sie machen es schwer, in „She‘s Lost Control“ Curtis über eine von Epilepsie geplagte Frau singen zu hören und dabei nicht an sein eigenes Schicksal zu denken. Genauso schwer ist es, das Cover anzuschauen und nicht daran zu denken, wie oft dieses Symbol dieser tieftraurigen Musik als schmückende Grafik missverstanden wurde.
Vielleicht sollte man all diese externen Faktoren ausblenden und einfach mal der Musik zuhören. Diese Mühe lohnt sich. Denn die zehn Songs auf „Unknown Pleasures“ können einem auch nach 40 Jahren noch den Atem rauben. Das sich in epische Höhen hochschaukelnde „New Dawn Fades“. Das boshaft kriechende „Day Of The Lords“. Der eigentlich viel zu hohe und genau deswegen perfekte Basslauf von „She‘s Lost Control“. Das von Curtis‘ durchs Telefon gesungene „Insight“. Der dissonante Abschluss „I Remember Nothing“, in dem Produzent Martin Hannett alle Register zieht und Glasflaschen um die Band zerspringen lässt. Diese Songs leben ewig – auch ohne den Mythos.