Zum 75. Geburtstag von Keith Moon: acht revolutionäre Schlagzeuger*innen

Von ByteFM Redaktion, 23. August 2021

Der Schlagzeuger Keith Moon auf der Bühne.

Keith Moon wäre am 23. August 2021 75 Jahre alt geworden (Foto: Trinifold Archive)

Schlagzeuger*innen hatten für viele Jahrzehnte in der Popularmusik ziemlich genau einen Job: das Tempo halten. Dann kamen die 60er-Jahre – und alles geriet aus den Fugen. Plötzlich konnten auch die hinter dem Drumkit sitzenden oder stehenden Menschen zu Superstars werden. Ein Ringo Starr war genau so berühmt wie ein Keith Richards.

Die frühe Geschichte des Pop-Drummings hat eine wichtige Schlüsselfigur: Keith Moon. Der 1946 in Wembley geborene Musiker ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass das Schlagzeug vom pragmatischen Begleitinstrument zum wichtigen Show-Element geworden ist. So ziemlich jeder Mensch, der seit den frühen Tagen seiner Band The Who dieses Instrument bedient, schuldet „Moon The Loon“ etwas. Heute, am 23. August 2021, wäre Keith Moon 75 Jahre alt geworden. Wir nehmen dies zum Anlass, ein paar der spannendsten Drummer*innen der Pop-Musik zu ehren: Das hier sind acht revolutionäre Schlagzeuger*innen.

Die totale Eskalation: Keith Moon (The Who)

Während Gitarrist*innen und Sänger*innen stehen, tanzen und auf andere Art und Weise auffallen können, lädt die Natur des Schlagzeugspielens, sitzend hinter Toms und Becken, zum Verstecken ein. Keith Moon bediente sein Instrument aber so, dass es unmöglich war, ihn zu übersehen. Maßgeblich dafür verantwortlich waren zwei Dinge. Erstens: Zerstörung. Moon ist nicht nur für das alte Klischee des demolierten Hotelzimmers verantwortlich, er brachte das Feuerwerk auch auf die Bühne. The Who waren eine der ersten Bands, die live ihre Instrumente zerstörten. Doch Moon trieb es auf die Spitze. Was am Anfang nur ein paar umgetretene Tom-Toms waren, wurden später mit Schießpulver oder Dynamit gesprengte Bassdrums. Moon machte aus dem Schlagzeugspiel ein (gefährliches) Spektakel.
Zweitens: sein eskalatives Schlagzeugspiel. Moon war in so ziemlich allen Lebenslagen ein unberechenbarer Mensch, auch als Musiker – frühe The-Who-Produzenten zweifelten stets, ob dieser überdrehte junge Mann überhaupt das Tempo halten kann. Technische Ungeschliffenheit machte er aber mit purer Spielfreude wett. LPs wie „Who’s Next“ oder vor allem das mächtige Live-Statement „Live At Leeds“ demonstrieren eine schier manische Energie. Gefühlt jede Minute prügelt Moon ein neues Fill in die Toms. Die Snare klingt, als würde sie mit einem Baseballschläger gespielt werden. Eine wahre Urgewalt, die sich verweigerte, ignoriert zu werden. Am 7. September 1978 starb Keith Moon im Alter von 32 Jahren, an einer Überdosis Clomethiazol. Seine letzten Worte waren: „If you don’t like it, you can fuck off!“

Minimalismus & Kontrolle: Moe Tucker (The Velvet Underground)

Während Keith Moon sein Schlagzeug auf mehreren Ebenen zum Explodieren brachte, bewirkte Maureen „Moe“ Tucker das genaue Gegenteil. Die US-Amerikanerin wirkte manchmal so, als wäre sie gar nicht da. Dabei spielte sie in einer der einflussreichsten Bands überhaupt: The Velvet Underground. Ihre Kollegen Lou Reed, Sterling Morrison und John Cale arbeiteten dort mit akustischem und lyrischem Wahnsinn. Doch Tucker spielte den absoluten Minimalismus. Während Moon als einer der ersten Drummer mit zwei Bassdrums bewaffnet auf der Bühne erschien, strich sie das Instrument komplett aus ihrem Setup. Floortom und Snare sollten für sie vollkommen ausreichen. Songs wie „Venus In Furs“ oder „White Light / White Heat“ kamen von ihrer Seite aus mit wenigen Anschlägen aus. Dem Konzept „Drumfill“ verweigerte sie sich gänzlich.
Tuckers stille Auslassung ist dabei mindestens genauso revolutionär wie Moons Feuerwerk. Ein Song wie „Heroin“ demonstriert die schier übermenschliche Kontrolle, die Tucker über ihr Instrument hatte. Das Stück wird ausschließlich von ihrer Floor-Tom angetrieben, die in absoluter Synchronizität mit Reeds Gesang an Tempo aufnimmt und wieder abflaut. Versucht da mal mitzutrommeln – und Ihr werdet scheitern!

Halb Mensch, halb Maschine: Jaki Liebezeit (Can)

Apropos übermenschliche Instrumenten-Kontrolle: Im Drumming von Jaki Liebezeit verschwimmt die Grenze zwischen Mensch und Maschine. Der langjährige Drummer der Krautrock-Institution Can spielte stets mit der Präzision eines Uhrwerks. Besonders die sich in zweistelliger Minutenlänge ausdehnenden Can-Epen wie „Mother Sky“, „Halleluwah“ oder „Bel Air“ zeigen einen unantastbar tighten Musiker, der unnachgiebige Motorik-Grooves mit eigentlich Oktopusarme erfordernder Polyrhythmik kombinierte. Und das Verrückteste: Liebezeit ließ das alles wie das Leichteste auf der Welt wirken. Ein unglaublicher Virtuose, der seine Virtuosität nie in den Vordergrund rückte.

„Der beste Schlagzeuger der Welt“: Tony Allen (Fela Kuti & Africa 70 viele mehr)

In einem Interview sagte Tony Allen einst, dass er seine Drums nicht schlägt, sondern streichelt. Auch der nigerianische Schlagzeuger war einer dieser zurückhaltenden Virtuosen. Mit diesem sanften Touch revolutionierte der laut Brian Eno „beste Schlagzeuger der Welt“ nicht nur die Afrobeat-Musik seiner Heimat, sondern die des ganzen Planeten. Mit seinem Stil verheiratete Allen Komplexität und Tanzbarkeit: Seine Fills und Beats waren stets bis zum Rand gefüllt mit komplexen Synkopen und kopfverknotenden Rhythmusschichtungen – doch der große Fokus lag immer auf dem Groove. Diesen Groove behielt er bis zum Ende seines Lebens, in Kooperationen mit so unterschiedlichen Acts wie Damon Albarn, Hugh Masekela und Danny Brown.

Die singende Schlagzeugerin: Karen Carpenter (Carpenters)

Ein Genre, in dem man eigentlich keine großartigen Drumming-Revolutionen erwarten würde, ist Soft-Rock. Umso schockierender ist die Erkenntnis, dass Karen Carpenter – die Königin des Soft-Rock – eine wirklich großartige Schlagzeugerin war. Weltberühmt wurde sie als Sängerin von Hits wie „(They Long To Be) Close To You“ und „Yesterday Once More“, ihre Karriere in ihrer Band begann jedoch als singende Drummerin. Mit steigendem Erfolg wandte sie dem Drumkit den Rücken zu, doch die frühen Carpenters-LPs zeigen ihre Skills in vollem Glanz. In Stücken wie „All I Can Do“ shuffelt sie sich mit Leichtigkeit durch komplexe 5/4-Takt-Strukturen – und singt dann auch noch dazu.

Präzision & Körpereinsatz: John Stanier (Helmet, Battles)

John Stanier ist eine Rampensau. Von allen Künstler*innen dieser Liste hat er wahrscheinlich am meisten mit Keith Moon zu tun. Der US-Drummer jagt sein Drumkit zwar nicht in die Luft, dafür versteht er es extrem gut, sein Spiel in Szene zu setzen. In der Mitte seines Kits steht ein zwei Meter hohes Becken, das nur mit einer großen Ausholbewegung geschlagen werden kann. Am Ende jedes Konzerts bleibt von seinen Sticks nur noch ein Stummel übrig, so sehr fliegen die Späne. Genau wie bei Moon kann er sich dieses Show-Getue aber absolut erlauben. Stanier begann seine Karriere als Drummer der Alternative-Metal-Band Helmet. Sein revolutionäres Potential entfaltete er jedoch erst später in seiner Laufbahn – und zwar als Teil der Band Battles. Gemeinsam mit seinen nicht weniger virtuosen Kollegen verschmilzt er dort elektronische Chaos-Musik mit maximal analogem Schlagzeughandwerk – und schlägt auf die Synapsen seines Publikums genauso hart ein wie auf seine Becken.

Jazz-Synkopik & Abenteuerlust: Sara Lund (Unwound, Corin Tucker Band)

Von den vielen furchtlosen Punk-Bands, die in den 90er-Jahren die Grenzen der antiautoritären Krachmusik ausloteten, waren Unwound die furchtloseste. Das Trio aus Olympia, Washington startete als wüste Hardcore-Formation – und wurde mit jedem Album experimenteller. Auf ihrer letzten LP, „Leaves Turn Inside You“, blieb vom Hardcore nur wenig übrig, stattdessen offenbarten sie ein Meer aus Neoklassik, Noise, Drone und Art-Rock. Maßgeblich für die ständige Weiterentwicklung war Schlagzeugerin Sara Lund, die mit ihrer Jazz-Synkopik und abenteuerlustigen Rhythmik von Anfang an gegen das enge Hardcore-Gerüst rebellierte. In ihren Händen klang selbst der heftigste Lärm höchst musikalisch.

Ein Polyrhythmus in jedem Handgelenk: Morgan Simpson (Black Midi)

Eines Tages waren Black Midi einfach da. Das britische Quartett (inzwischen Trio), das von Fans für jede alberne B-Seite verehrt wird, konnte sich binnen weniger Monate vom absoluten Underground-Act zum Indie-Darling hochspielen. Das lag an vielen Elementen: Am exzentrischen Gesang von Geordie Greep. Am aufregend seltsamen Noise, der aus ihren Gitarren dröhnte. Doch – machen wir uns nichts vor – der eigentliche Grund heißt Morgan Simpson. Black Midi wurden mit Live-Sessions auf YouTube berühmt – und der Star dieser Videos war von Anfang an der Schlagzeuger. Was für viele Drummer*innen das beste Solo ihres Lebens wäre, ist für Simpson nur ein kleiner, aus dem Handgelenk geschüttelter Fill. Der Musiker versteckt Polyrhythmen in Polyrhythmen in Polyrhythmen – und lässt seinem Publikum keine Zeit, die Kinnlade wieder zuzuklappen. Simpson ist mehr als nur einer der vielen Erben von Keith Moon – er ist eines der größten Talente dieser Tage.

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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Diskussionen

2 Kommentare
  1. posted by
    Steve
    Aug 23, 2021 Reply

    Super Beitrag zu den Schlagzeugern. Hab einiges neu entdeckt

  2. posted by
    Herbert Pavian
    Sep 11, 2021 Reply

    Ein abgehobener Spinner, der nicht mal sonderlich gut Getrommelt hat. Seine eigene Scheiße an Hotelwände zu schmeißen war schon damals ziemlich uncool. Spacken…

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