Konzertbericht: Twin Sister in der Berghain Kantine, Berlin, am 29. Oktober

Twin Sister (Domino)

Zwischen massiven Industriegebäuden und weiten Straßen liegt die Berliner Berghain Kantine. Klein, unscheinbar und spärlich beleuchtet, fällt sie dem ein oder anderen Suchenden kaum auf. Wer sie finden will, muss seinem Hörsinn folgen, behutsam dunkle Wege beschreiten, um schließlich im besagten Konzertklub anzukommen.

Es ist der letzte Samstag im Oktober, die böse Halloween-Fratze zeichnet sich auf einigen Gesichtern ab (ruft bei anderen wiederum angewiderte Grimassen hervor) und schummriges Licht erhellt den Raum. Auf der Bühne spielen Holiday Shores – eine Band aus Tallahassee -, deren Sänger Nathan Pemberton rein äußerlich an Buddy Holly erinnert, jedoch viel lässiger, „Indie-poppiger“ wirkt.

Atmosphärische Klänge, ein Hauch von Jazz und Progressive Rock legen sich wie ein seichter Schleier über das entspannte Publikum, das sich nach und nach vergrößert. Man bewegt sich geschmeidig im Takt, nippt hypnotisiert an seinem Bier und die anwesenden Pärchen werden ganz romantisch.

Holiday Shores spielen mit dem Rhythmus, werfen hier und da elektrisierende Gitarrenriffs ein und schaffen damit ein watteweiches Ambiente im Glanz der Diskokugel. Selten stimmt eine Vorband ihr Publikum so gut auf den Hauptact ein. „Twin Sister tonight – Can’t wait“, bemerkt Pemberton nach fast jedem Song und lässt sich dann doch wieder Zeit, um hörenswerte Stücke wie „Spells“ vorzustellen und sanft ausklingen zu lassen.

Als Twin Sister die nur leicht erhöhte Bühne betreten, ist auch der Saal gut gefüllt mit erwartungsvollen Besuchern. Ab und an, ja, da entdeckt man schon den ein oder anderen maskierten Gruselfan oder „Rocky Horror Picture Show“-Verschnitt im schwarz-weiß-gestreiften Damenanzug. Twin-Sister-Sängerin Andrea Estella ist davon ganz begeistert: Halloween sei ihr „favourite holiday“. Ihre lange violette Perücke könnte daher als sympathisierendes Indiz gesehen werden. Viel geredet wird nach diesem Kommentar im Laufe des Konzerts jedoch nicht mehr.

Sachte beginnt der Song „Daniel“, dessen Glockenklänge eine verträumte Stimmung einläuten. Estella zupft an ihrem Kunsthaar und singt mit ihrer zarten Stimme von Ferne und Sehnsucht. Gesanglich unterstützt von Gitarrist Eric Cardona, der überraschend weiblich klingt, bilden die beiden ein schönes Dream Team, das völlig in seinem Disco-Synth-Pop aufgeht. Besonders gut spiegelt sich dieses Zusammenspiel in Songs wie „Stop“ wider.

Wenn Sängerin Estella ihr weißes Mikrofon wie eine Blockflöte hält oder das Gesicht in ihre Hände legt, wirkt sie vielleicht wie eine Engelsgestalt, aber auch leicht neben der Spur. Twin Sisters Debütalbum „In Heaven“ wird mit dieser Attitüde wunderbar dargeboten. Das New Yorker Quintett wiegt sich mit viel Gefühl in jedem der Songs, die daraus gespielt werden. Es wird von Genre zu Genre wie von Wolke zu Wolke gehüpft, und das mit einer Leichtigkeit, die den Hörer schmunzeln lässt. Disco, Shoegaze, Dream- und Synth-Pop – da ist für jeden etwas dabei.

Mit dem älteren Titel „I Want A House“ findet das einzige Deutschland-Konzert von Twin Sister seinen gebührenden Abschluss. Keine Zugabe, keine großen Worte. Für ein paar Sekunden nur bleibt das Publikum in der Schwebe, bevor es dann schlagartig den Raum verlässt.

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