Neue Platten: Dillon – „The Unknown“

Von felixmoniac, 26. März 2014

Dillon - The Unknown (BPitch Control)Dillon – „The Unknown“ (BPitch Control)

7,5

„The Unknown“, das Unbekannte, der erste Song auf Dillons neuem Album gleichen Namens, beginnt mit vier dunklen, bassigen Tönen, die den Tiefen eines Basses entronnen sein könnten, stammten sie nicht aus Dillons Computer. Parallel erklingt eine Art weißes Rauschen, an- und abschwellend im Wechsel. Begleitet von den ruhigen Akkorden des nach den ersten Takten bald von Dillon angeschlagenen Klaviers, setzt auch ihre Stimme ein. Sie erzählt von der Sehnsucht nach Geborgenheit und von der verheißungsvollen Erkenntnis des anderen. Die aber zerschlägt sich, denn: Waschen wir doch das Bekannte desto stärker aus, je tiefer wir graben. Meint Dillon. Dafür – und das singelsagt sie fast aufmüpfig – finden wir Hoffnung.

Schluss. Dumpf grummelnder Bass dreht auf (Erinnerungsblitz: Björks „Army Of Me“), elektronischer Beat kämpft sich frei, angeführt von einem geloopten Jauler (eine Wehklage?) Dillons, die bald daraufhin auch diese Episode wieder auflöst. Das Klavier erhält seine Stimme zurück. Ein metronomartiger Clap rattert parallel mit wie eine Schreibmaschine – eine Schreibmaschine, die das junge Leben dieser aus Brasilien stammenden, mit vier Jahren nach Köln immigrierten und nach dem Abitur nach Neukölln umgesiedelte Künstlerin zu schreiben scheint.

Mit ihrer Musik verhält es sich wie mit ihrem vollständigen Namen. Der lautet Dominique Dillon de Byington und ist irgendwie schön, gleichwohl unaussprechlich und verwirrend.

Das Unbekannte.

Das Lied könnte jetzt zu Ende sein. Ist es aber nicht. Dillon, die einerseits rauchig klingt und andererseits merkwürdig gebrochen – manchmal erscheint das fast gespielt -, fährt die Massivität der Melodie der ersten Songhälfte kurz herunter, nur, um sie im zweiten Teil erneut aufbranden zu lassen.
Das ist, wie auch die anderen Stücke des Albums, schön anzuhören. Ruhig und melodiös, elektronisch und bisweilen geradezu melancholisch anachronistisch. Dillons Stimme ist definitiv ein Highlight, und sie selbst kann sich im Spiegel beglückwünschen, bisher von keiner popkulturellen Verwertungsindustrie kaputtproduziert worden zu sein.

Das ist die eine Sicht auf die Dinge: eine junge Künstlerin, die alles mitbringt, was unterhaltsame und schöne Musik benötigt. Kreativität, eine tolle Stimme, ein gewisses Moment an Attraktivität als Projektionsfläche, sanft zurückgehaltene Rebellion … Und sie vermittelt ein Gefühl zart anklingender Gebrochenheit, das wir selbst aus so manchem Moment unserer gelegentlich ja gar nicht mehr so kurzen Leben kennen.

Andererseits ist Dillon noch ziemlich jung. Dafür kommt sie auf „The Unknown“ textlich etwas arg weltschmerzig daher. Rilke ließ einst seinen Malte Laurids Brigge schreiben: „Ach, aber mit Versen ist so wenig getan, wenn man sie früh schreibt. Man sollte warten damit und Sinn und Süßigkeit sammeln ein ganzes Leben lang und ein langes womöglich, und dann, ganz zum Schluß, vielleicht könnte man dann zehn Zeilen schreiben, die gut sind.“

Nun besteht die „Komposition Dillon“ aus dreierlei Zutaten: ihren Instrumenten und der Melodie, ihrer Stimme und ihren Texten. Lassen Bestandteile eins und zwei das Album bereits zu einem vollumfänglichen Genuss werden, lässt sich Bestandteil drei gegebenenfalls hinnehmen, überhören oder dient – je nach Alter – dem einen oder der anderen doch als sinnvolles Identifikationsmoment.

Dillon hören heißt, auf dem sommerlichen Tempelhofer Feld zu liegen, Kindern durch eine Pusteblume beim Drachensteigen zuzusehen und dabei eine Träne über die Schönheit des Lebens aus dem Äuglein zu pressen: Manchmal geht so was. Manchmal ist man aber auch einfach nicht in der Stimmung.

Label: BPitch Control | Kaufen

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