Neue Platten: iamamiwhoami – "bounty"

iamamiwhoami - bounty (To Whom It May Concern)iamamiwhoami – „bounty“ (To Whom It May Concern)

5,4

„bounty“ ist eine Auseinandersetzung mit Mensch und Technik, mit Kultur und System, mit Glaube und Realität. Es setzt dabei keine neuen Maßstäbe, vielmehr befeuert es alte. Es liefert keinen Hit, bedient sich an Elementen der 90er, wird dementsprechend wenig beachtet, doch begeistert durch einen künstlerischen Versuch, der in seiner Gesamtheit betrachtet werden sollte.

Vor ungefähr drei Jahren erschein auf YouTube ein Video namens „Prelude 699130082.451322-5.4.21.3.1.20.9.15.14.1.12“ des Künstlers iamamiwhoami – ein sphärischer Klangteppich wird von Naturbildern und mysthischen Figuren begleitet. Es folgten weitere Videos mit verschleierten Gestalten, mysteriösen Buchstabenkombinationen und verstörenden Bildern. Es reihten sich Mutmaßungen, wer wohl hinter dem Pseudonym stecken könnte. Ist es vielleicht ein Nebenprojekt von Björk, Fever Ray oder Lady Gaga?

Nichts von alledem. Dahinter steckt die Schwedin Jonna Lee und der Produzent Claes Björklund. Anfänglich ging es nur um das Suchen und Finden von Identität, darum, die Person Jonna Lee durch Kunst auszudrücken. Als jedoch das Interesse an ihrem Werk schlagartig zunahm, wurde das Gesamtprojekt in den Mittelpunkt gerückt. Es konnte als Form von Kommunikation verstanden werden. So versuchten verschiedene Anhänger, iamamiwhoami zu entmystifizieren. Jonna Lee gab sich zu erkennen und das machte die Sache nicht unspannender. Es ist ein eigenständiges Projekt, welches es nie auf Erfolg anlegte und erst durch die interessierten User gewachsen ist. Die Zuschauer haben sich ein eigenes Bild erstellt, ihren eigenen Mythos entwickelt und gerade dieser hat sie infiziert. Die Person hinter dem Projekt war zum Teil gar nicht von Bedeutung. Die Bilder und die Musik sprachen für sich.

Im September letzten Jahres erschien dann endlich der erste Langspieler namens „kin“. Die Songs wirkten ohne Bild etwas bleich, so wurde der CD eine DVD mit allen Clips beigelegt – denn hier geht es um Kunst, die nicht nur akustisch wirken soll.

Das ist nun auch so ein wenig das Problem des Zweitlings „bounty“. Es ist eine Platte, die schnell unterzugehen droht, aber dennoch ein Interesse weckt. In Zeiten, in denen Synthesizer und Drumcomputer immer mehr durch analoge Instrumente ersetzt werden – zuletzt von Daft Punks Platte „Random Access Memories“ bestens demonstriert – bleibt sie der elektronischen Technik treu. Das macht sich bemerkbar. Sie sticht dadurch kaum heraus und klingt wie eine Melange aus Björk, Robyn, Austra, Fever Ray, Kate Bush und zuweilen auch der frühen Madonna. Man fühlt sich an Feen und Engel erinnert, welche in einer mystisch vernebelten Atmosphäre herumgeistern. Etwas Sagenhaftes auf 80er-Synthieflächen. Ein düsterer Trip durch den Wald, der unheimlich lebendig scheint und den weg zur Lichtung weist, um sich zu entspannen.

Die Tracks sind durch Buchstaben gekennzeichnet und ergeben das Wort „bounty“, wobei u zweimal vorkommt. Zusätzlich gibt es die Stücke „; John“ und „Clump“. Warum? Das soll wohl jeder für sich ausmachen. Vieles klingt technisch. Mal wird der Hörer sirenenhaft umgarnt („u-1“), um danach mit pumpenden Beats wieder aus der Trance gerissen zu werden („u-2“). Entlassen wird man mit poppigem Charme und „Badabadab“-Chor. Die musikalische Reise führt dabei durch Dream-Pop, TripHop, Ambient und einem Hauch Goth.

iamamiwhoami kann zwar ohne Videos auskommen, sollte jedoch mit Videos wirken. Und so gibt es auch diesmal wieder zu jedem Track ein passendes Video auf YouTube. Nicht, dass diese Videos zum Verständnis beitragen, im Gegenteil. Damit wird der Mythos weiterhin genährt. Fragen reihen sich aneinander, doch von dieser Magie lebt die Kunst von iamamiwhoami – Musik und Videos verschmelzen zu einer Einheit und wirken alleinstehend unvollständig. So ist leider auch die Platte für sich gesehen kein großer Wurf, sollte jedoch auch nicht unterschätzt werden. Mythen brauchen halt ihre Zeit.

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