Neue Platten: Submotion Orchestra – „Alium“

Cover des Albums Alium von Submotion OrchestraSubmotion Orchestra – „Alium“ (Counter)

4,7

Mit dem Fahrrad durch die Stadt fahren und dabei Musik hören, das ist entschleunigtes Realitykino. Menschen werden zu Handlungsfiguren, Alltagshandlungen zu Geschichten. Es hängt dann ganz von der Musik ab, ob es ein Arthouse-Film, ein Actionstreifen oder eine Soap wird. Bei der britischen Electronic-Band Submotion Orchestra, die gerade auf dem MP3-Player beginnt, ist letzteres der Fall. „Awakening“ heißt der erste Song, eine unbescheiden-cineastische Ballade mit viel violinenhafter Zuckerwatte und schamlos zum Himmel schwebenden Fanfaren. Zu dieser Musik könnte die Sonne aufgehen, die Welt vom Weltall aus betrachtet oder das glückliche Ende einer fast gescheiterten Liebe erzählt werden. Ich liege richtig. „Darling it’s alright, time will wait for you“, singt Ruby Woods schöne Soulstimme im darauffolgenden Song „Time Will Wait“, während im Hintergrund ein Synthesizer und elektronische Drums versuchen, dem ganzen eine Clubatmosphäre zu verleihen. Sehr voraussehbar sind auch die nachfolgenden Songs zwischen Soul, Electronica, Jazz und nivellierten Bassmusic-Anleihen, denke ich und versuche, meinen Geist vom emotionalen Zentrum abzukoppeln. Doch dann, nach einigen Minuten, als das ähnlich balladeske „City Lights“ einsetzt, stecke ich plötzlich fest im kalkulierten Gefühlsrausch, betrachte die vorbeiziehenden Szenen durch einen Pathosfilter und denke über verlorene Momente nach. Eine rote Ampel bringt mich wieder zur Besinnung. Denn die Zielgruppe, so rede ich mir ein, bin nicht ich, sondern die imaginierten anderen. Die, die sich der emotionalen Konditionierung durch verbrauchte Melodien nicht entziehen können.

Wer von neuer Musik überrascht werden will, ihr Unbekanntes abverlangen möchte, ein neues Gefühl, einen neuen Gedanken, einen euphorischen Schub oder einen unbehaglichen Schauer, wird von „Alium“ enttäuscht sein. Denn entgegen den PR-Versprechungen von einer Stilgrenzen sprengenden Musik, aber auch entgegen des versteckten Potenzials, die aus der manchmal gelungenen Verschaltung von elektronischen und akustischen Sounds sprechen, handelt es sich bei allen zwölf Songs um Altbekanntes. Auch, wenn die Subbässe für Pop stets etwas präsenter sind und die Beats oft UK Garage oder Dubstep zitieren, ohne jedoch jemals ihre Intensität zu erreichen. Was für das Album selbst gilt, steht der Liveerfahrung der siebenköpfigen Bands aus Leeds diametral entgegen. Denn live werden die auf der Platte viel zu vorsichtigen Bässe physisch spürbar und die versteckten Qualitäten der Musiker und ihre Lust an jazzigen Improvisationen sichtbar. Für alle, die dennoch das Album haben wollen, sei das Hören beim Fahrradfahren empfohlen. One feel good movie a day keeps the evil away. Vielleicht.

Label: Counter
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