Neue Platten: The Fall – „Ersatz G.B.“

The Fall - The Fall – „Ersatz G.B.“ (Cherry Red)

7,0

Vor kurzem habe ich auf einer Party „Touch Sensitive“ gespielt, wohl einer der eingängigsten Songs von The Fall, aus dem 99er-Album „The Marshall Suite“. Generell ein sehr gutes Album, das mit komplett neuem Line-up aufgenommen wurde, nachdem sich „the only permanent member of The FallMark E. Smith auf der Bühne eine wilde Schlägerei mit dem Rest der Band geliefert hatte (nur seine Keyboarderin und damaligen Lebensgefährtin Julia Nagle wurde verschont) und daraufhin festgenommen wurde. Ein Partygast fragte, von wem denn der Song sei, der gerade lief, und er fragte mich, ob ich noch mehr von denen hätte. Sechs Alben, dachte ich, und damit mit gutem Willen gerade mal ein Viertel des Gesamtwerks der Band (von Live-Alben und Compilations mal ganz abgesehen). Kaum ein Jahr ohne Platte von Mark E. Smith – „Ersatz G.B.“ ist das mittlerweile 29. Album in der 35-jährigen Bandgeschichte – und wenn er so weitermacht, verschieben sich die Verhältnisse nächstes Jahr in Richtung ein Fünftel.

Wenn eine Band so viele Alben veröffentlicht, stellt sich ja irgendwann die Frage, ob sich das eigentlich nur noch Leute kaufen, die sowieso schon Fans der Band sind und sich das halt nun mal kaufen müssen (so oder so, ob ihnen die Platte gefällt oder nicht – aber solche Widersprüche bringt das Fansein ja mit sich), oder ob man damit tatsächlich noch neue Fans gewinnen kann.

Diejenigen, die schon Fans sind, können sich jedenfalls freuen: Smith ist auf „Ersatz G.B.“ gallig und nuschelig wie eh und je. Die Band, die seit bemerkenswerten vier Jahren in derselben Besetzung spielt, liefert ein aufgekratztes und lärmiges, aber durch viele sich wiederholende Rhythmen auch auf gewisse Art geerdetes Fundament für Smiths Hasstiraden, in denen er womöglich manchmal gar nichts hasst, die aber eben immer so klingen. Wahrscheinlich gibt es niemanden, der den Namen „Nate“ so giftig aussprechen kann wie Smith im Song „Nate Will Not Return“. Er ist einer der Sänger, die ihre ganz eigene, unverwechselbare Kunstsprache entwickelt haben und die auch niemand anderes so sprechen kann. Mit seinen meist wahllos und surreal wirkenden Aneinanderreihungen hat Smith einen maßgeblichen Teil dazu beigetragen, die Texte der Rockmusik von unbedingter Sinnhaftigkeit zu befreien. Das wiederum kann man nun gut oder schlecht finden, aber wenn Smith in „Mask Search“ „I’m so sick of Snow Patrol / And where to find Esso lubricant and mobile number“ gurgelt, hat das eine unglaubliche Wirkung, der man sich nur schwer entziehen kann. Und birgt natürlich Identifikationspotenzial. Der Mann ist sauer, angekotzt, angewidert. Von der Gesellschaft, von bestimmten Personen, vom Großen und vom Ganzen. Und gerade diese Einmaligkeit und dieser Identifikationsfaktor, obwohl man nicht mal versteht, worum es so genau geht, sind Gründe, wieso The Fall seit 35 Jahren auf gleichbleibend hohem Niveau Musik machen. Den Vorwurf des gleichbleibend hohen Niveaus dank exakt gleichbleibender Musik müssen sich The Fall natürlich gefallen lassen, allerdings macht man es sich damit ein wenig zu einfach. Die Band hat sich des Öfteren neu erfunden, nicht nur, weil Smith monatlich die Bandmitglieder rauswirft. Mit ihm als alles überstrahlender Figur ließen sich diese Stilwechsel aber schon immer recht leicht übersehen. Und schon immer hatten The Fall experimentelle Momente auf ihren Alben, seien es Drum-’n‘-Bass-Anflüge, waschechte Country-Soungs oder (für Fall-Verhältnisse) pure Popmomente. Auch auf „Ersatz G.B.“ gibt es diese Momente, z.B. in „Greenway“, das wie eine Varieténummer beginnt, dessen Klavier sich aber schnurstracks in harten Metal klimpert. Oder „Happi Song“, gesungen von Smiths Ehefrau und Keyboarderin (was eine Grundvoraussetzung für Smiths Liebe zu sein scheint) Elena Poulou, der an den Twee-Pop der Pastels erinnert.

Taugt „Ersatz G.B.“ nun also zur Akquise neuer Fans? Die Antwort lautet: eher nicht. Wahrscheinlich sind The Fall sowieso eine der Bands, der man entweder schon längst verfallen ist oder es eben nie sein wird – dieses Album wird nichts daran ändern, weder in die eine noch in die andere Richtung. Für die Fans ist es eine weitere Bestätigung der Großartigkeit von Mark E. Smith, für die Nicht-Fans ein weiterer Beweis dafür, dass man Mark E. Smith immer noch getrost ignorieren kann. Dank „Ersatz G.B.“ kann ich mich allerdings bis spätestens 2016 weiterhin stolzer Besitzer eines Viertels der Studioalben von The Fall nennen.

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