Pixies – „Doolittle“ (4AD/Elektra)
Wie viele Top-10-Alben beginnen mit einem Luis-Buñuel-Zitat? Gesungen von einem Sänger, der schreit wie ein abgestochenes Schwein? Sehr wahrscheinlich nur eins: „Doolittle“, das zweite Album von Pixies. Eine LP, mit der die vier MusikerInnen aus Boston in höhere Charts-Stratosphären einzogen, als sie sich jemals hätten vorstellen können. Und zwar mit Songs über Umweltkatastrophen von biblischen Ausmaßen, Massensuizid oder Samson und Delila. Und eben der Szene aus Buñuels Surrealismus-Klassiker „Ein andalusischer Hund“, in der ein Auge mit einer Rasierklinge zerteilt wird. Dieses wundervolle und furchteinflößende Album wird am 17. April 30 Jahre alt.
1988, ein Jahr vor „Doolittle“, waren Pixies so weit entfernt von den Billboard-Charts, wie man nur hätte sein können. Mit „Surfer Rosa“ hatten Sänger und Texter Black Francis, Bassistin Kim Deal, Gitarrist Joey Santiago und Schlagzeuger David Lovering gerade ein hektisches, stellenweise brutales Debütalbum vorgelegt. Unter dem von Noise-Experte Steve Albini produziertem Dreck lauerten jedoch einige Pop-Perlen (allen voran ihr späterer Hit „Where Is My Mind?“) – die der Band wider Erwarten einen Deal mit dem Major-Label Elektra einbrachten. Im Nachhinein waren Pixies mit dem rohen Sound von „Surfer Rosa“ unzufrieden, der Nachfolger sollte glatter, poppiger werden. Gemeinsam mit ihrem neuen Produzenten Gil Norton betraten sie im Herbst das Studio, um das nächste Album auszubrüten.
Apokalyptischer Pop, erhebender Wahnsinn
Das Ergebnis ist das möglicherweise bipolarste Album des Alternative-Rock. Auf den unschuldigen Pop von „Here Comes Your Man“ folgt der atonale Noise-Rock-Schunkler „Dead“. Auf den Alternative-Rock-Hit „Wave Of Mutilation“, angereichert mit Streichern, folgt das hinterlistig kriechende „I Bleed“. Und selbst die schön klingenden Songs werden von ihren Texten in die Dunkelheit gezogen: „Monkey Gone To Heaven“ mag mit seinen großen Gesangsharmonien aufmunternd klingen, Francis‘ und Deals verschlungene Stimmen beschreiben jedoch die pure Apokalypse. „Wave Of Mutilation“ wirkt beim ersten Hören erhebend, wenn man noch nicht ahnt, dass der Text von Geschäftsmännern handelt, die ihre Familien in den Tod stürzen.
Der Preis für dieses seltsame Meisterwerk war hoch. „Doolittle“ entstand in nur zwei Wochen, pro Tag nahm die Band einen Song auf. Die Sessions waren aufgeladen, Francis entpuppte sich langsam als perfektionistischer Kontrollfreak. Deal und er gerieten ständig aneinander – ihre Freundschaft sollte sich davon nie wieder erholen. Und doch zeigt „Doolittle“ eine Band auf ihrem künstlerischen Zenit: Francis‘ Stimme balanciert meisterhaft zwischen Pop-Zauberei und purem Wahnsinn – mit Deals stoischem Bass als perfektem Kontrapunkt. Genau wie Francis‘ Gesang pendelt auch Santiagos Lead-Gitarre zwischen atonalem Lärm und zauberhaften Melodien. Und Lovering hält als trommelnder Ring-Dompteur den ganzen Wahnsinn zusammen. Gemeinsam schufen sie ein Album, das eigentlich nicht funktionieren dürfte – und dennoch zu den großen Meilensteinen der Rock-Musik gezählt werden darf.