Pop & Politik – eine unheilige Allianz?

Foto zweier Hände, von denen eine ein Schild, auf dem No steht hochhält, während die andere ein Megafon hält

Müssen sich Musiker*innen eigentlich immer politisch positionieren?

„Für mich soll‘s rote Rosen regnen“. „Großer Gott, wir loben Dich“. „Du hast den Farbfilm vergessen“. Es gab wohl selten eine lediglich drei Songs umfassende Playlist, die derart groß besprochen wurde, wie die von Angela Merkel gewünschten Songs zu ihrem Abschied als Bundeskanzlerin. Doch ist Politik, die sich an Pop bedient, keineswegs neu. Man denke nur an Macron und die Daft Punk spielende Kapelle des französischen Militärs oder an Cardi B, die Bernie Sanders im Rahmen der letzten US-Wahlen interviewte.

Dort, wo Politik dem Pop die Tür öffnet, scheint dieser die Einladung anzunehmen. Pop betritt den politischen Raum, dekoriert ihn ein bisschen um, erzeugt ein paar hübsche Bilder und verschwindet leise wieder. Die Bilder, die bleiben, verkaufen Politik dann so, wie Pop schon seit Jahren vermarktet wird. Als authentisch. Und emotional. Und: Pop macht Politik „menschlicher“. Denn plötzlich ergibt sich ein Bild von Politiker*innen, die Musik mögen und hören. Etwas, das der Großteil der Wähler*innen wohl ebenfalls tut.

Muss Musik politisch sein?

Parallel dazu wird die Frage danach, ob Pop denn auch politisch sein und sich innerhalb gesellschaftlicher Debatten positionieren müsse, mit einer solchen Vehemenz gestellt, dass die Antwort darauf fast schon „ja“ sein muss. Doch scheint es nicht nur eine Erwartungshaltung hinsichtlich des ob, sondern auch des wie zu geben. Denn natürlich wollen wir, dass sich unsere Lieblingskünstler*innen gegen Rassismus, gegen Diskriminierung und für eine offene Gesellschaft aussprechen. Seit zwei Jahren hoffen wir zudem, dass sie im besten Falle nicht auf den Demos der Impfgegner*innen und Corona-Leugner*innen auftreten. Aber genau dieser Pandemie-Zeitraum hat gezeigt, welche Risiken sich dahinter verbergen können, von Pop (mehr) Politik zu fordern. In diesem Zeitraum hat sich in Deutschland, neben Xavier Naidoo und Nena, vor allem Michael Wendler als rechte Hand Attila Hildmanns entpuppt. Man kann hier natürlich anmerken, dass Wendler nicht aus dem Pop, sondern aus dem Schlager kommt, doch ist er als Meme gewordener Mensch schon lange Teil der Popkultur. Ob er sich selbst der Ironie dessen gewahr ist, ist unklar. Fest steht aber, dass er sich selbst als Künstler sieht und wenn von Künstler*innen politisches Engagement verlangt wird, ja warum dann nicht auch von Michael Wendler?

„Auf die Frage: ‚Muss Musik oder Kunst irgendwas‘ würde ich immer antworten: Nein, das ist das Einzige, was wir haben. Wir müssen eben überhaupt nicht politisch sein“, sagte die Musikerin Albertine Sarges im Interview bei ByteFM. Dem zustimmen würde wahrscheinlich auch Theodor W. Adorno. „Kunst ist Magie, befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein“, schrieb er einmal und verweist damit vor allem auf die Entfaltungsmöglichkeiten von Kunst seit ihrer Entkopplung von Kirche und Glauben. Kunst kann also, muss aber nicht(s).

Musik kann nicht von ihrer Geschichte entkoppelt werden

Progressiv und politisch ist und war Musik meist dann, wenn dieser Anspruch aus ihr selbst heraus wuchs und manchmal auch dann, wenn sie dezidiert nicht politisch sein wollte. So wie es beispielsweise beim Krautrock der Fall war. Neu sollte die Musik sein und mit allem Dagewesenen brechen. Tradiertes hinter sich lassen, um der Gegenwart der Nachkriegszeit und der Vergangenheit des Kriegs zu entkommen. So entstand Musik, die nicht die Flucht nach vorne antrat, sondern sich mit ihren oft sphärischen Klängen in anderen Dimensionen ansiedeln wollte. In diesen zeigte sich also eine Haltung zur Gegenwart, die die Musik politisch machte.

Wird von Künstler*innen nun eine politische Positionierung verlangt, übergeht man dabei zum einen das Medium der Musik und verkennt gleichzeitig, dass Musik immer über einen zeitlichen und gesellschaftlichen Kontext verfügt. Über eine Geschichte, von der entkoppelt sie nicht betrachtet werden kann. Ein Umstand also, der sie sowieso politisch macht, wenn man auf ihre Zwischentöne hört. Auch wenn das in der Betrachtung komplex sein mag, liegt ja genau darin auch das, was Musik ausmacht. Dass sie zugänglich ist in dem Sinne, dass sich unterschiedliche Menschen mit ihr und ihren Inhalten identifizieren können.

Wie sehr Musik gesellschaftliche Realitäten widerspiegelt, lässt sich vielleicht auch daran ablesen, dass es vor allem im Mainstream der Rap mit der „Get-Rich-Or-Die-Tryin“-Attitüde ist, der die größten Erfolge feiert. Waren es vor einigen Jahren beispielsweise noch die nihilistischen Exzesse eines Peter Doherty, auf denen der Fokus der medialen Promi-Berichterstattung lag, sind es heute die verbalen Entgleisungen von Künstlerinnen wie Ye (the artist formerly known as Kanye West), die den Fokus auf sich ziehen. Und wollte der nicht auch mal Präsident werden?

Vielleicht hat man ihn einmal zu oft nach seiner politischen Meinung gefragt. Und vielleicht zeigt uns das, dass wir Musik nicht zur Religion, aber vor allem Musiker*innen nicht zu den neuen Prophet*innen erheben sollten.

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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Diskussionen

1 Kommentar
  1. posted by
    frank-herwig walter
    Apr 14, 2022 Reply

    Cool. Ist das Einstieg von ByteFM ins Feuilleton? Könnte auch ein Sendungskonzept (ohne Tracklist) sein. Auf alle Fälle eine interessante, neue, zusätzliche „Richtung“ im ByteFM Blog. Wie schon bei ‚Praxis Pop‘ gewohnt, gut geschrieben und recherchiert – Danke, Johanna! Lg, Frank

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