Twin Shadow – "Confess"

Twin Shadow - VÖ: 06.07.2012
Web: twinshadow.net
Label: 4AD/Beggars Group

Tief in unseren Herzen stehen wir doch alle darauf – Songs, die uns auf die Tanzfläche zwingen und melancholische Tränen aus unseren zum Im-Beat-wiegen geschlossenen Augen tropfen lassen, die man auf dem Fahrrad mitsingt, die Haare im Wind wehend, welche ein eigenes Licht auf alles legen, was man tut. Und weil George Lewis Jr. das ganz genauso sieht, beschenkt er die tanzenden Menschen mit den gebrochenen Herzen dieser Welt auf seinem neuen Album „Confess“ nun schon zum zweiten Mal mit einer modernisierten Version der funky Eighties.

Natürlich macht er das nicht einfach so, schließlich ist der in der Dominikanischen Republik geborene Wahl-New-Yorker ja kein simples Hip-Cat, das in der Küche zu Prince tanzt – nein, der Mann aus Brooklyn geht die Sache wesentlich professioneller und perfektionistischer an und klingt dabei lässig britischer als die Queen in persona. Wichtigste Zutaten sind eine Fransen-Lederjacke, ein großartig geschmackloser Schnurrbart und eine schwarze Schmalz-Tolle, die zehn Elvis in den Schatten stellt. Dazu noch die Fähigkeit, beinahe jedes Instrument der Welt zu beherrschen und ein fancy nom de plume – dürfen wir vorstellen: Twin Shadow, Herrscher der neuen 80er, vielleicht auch der Welt. Das klingt unsympathisch? Nur so lange, bis man zum ersten Mal auf Play gedrückt und sich von „Confess“ hat packen lassen! Hatte schon der Erstling „Forget“ zu begeistern gewusst, so ließ das Ganze doch die vorwärtsdrängende Energie vermissen, die bei Live-Auftritten hervorbricht, so als spiele da kein Zwilingsschatten, sondern eine ganze Armee von Tollenträgern. Und die hat seine Musik wahrlich auch hinter sich, der Mulitinstrumentalist schafft es auf einem Album, beinahe alle Strömungen des Lieblingsjahrzehnts zu vereinen und dabei trotzdem eine ganz eigene und persönliche Linie beizubehalten. Poppig UND unpeinlich? Geht tatsächlich, beweist uns Twin Shadow!

Bereits mit der Veröffentlichung der ersten Single „Five Seconds“ war klar: Dieses Album wird groß! Was für ein Hit, was für ein Sound! Ist das ein Love-Song, der uns da so heftigst auf die Tanzfläche treibt? Händeklatschen, Effekt-Gitarre, wahnsinnig catchige Glocken-Synthies. Ein wunderbarer Wintertag, zwei Männer auf einem Motorrad, der Reifen gleitet auf der vereisten Straße aus, sie fallen: „I remember in that moment I wanted to say everything to him. How could I say everything in a split second? How could I bury my words in his heart?“ Die wahrscheinlich längsten fünf Sekunden im Leben des George Lewis Jr., und doch, alles geht gut und heraus kommt dieser Über-Song. „Five seconds to your heart. Straight to your heart“ – vielleicht der Versuch, das auf Albumlänge auszudrücken, wofür fünf Sekunden einfach nicht genug sind.

„Confess“ beginnt und gleich der Opener „Golden Light“ beweist – Twin Shadow schämt sich nicht zu zeigen, was er hat und kann. Wabernde Synthies und Drummachine-Schwaden umweben uns, der ziemlich opulente Sound wird geschickt mit Lewis‘ sanfter Samtstimme versponnen. Eigentlich hat das Album jetzt schon gewonnen, man wiegt sich zu poppigen Klimperklängen, schüttelt Arme und Beine zum Refrain, seufzt zum wunderbaren Songwriting. Und wird in den nächsten Song „You Call Me On“ geschleudert, schrammelige E-Gitarre trifft fette Beats, Melodie und Soundstruktur könnten jetzt tatsächlich aus den 80ern stammen. Das Ganze wird ein bisschen hall- und effektlastiger, Windspiel-Synties, man kann sich Mr. Lewis direkt vorstellen, das übliche Outift, John-Travolta-Pose und da ist sie, die Lust, sich darauf einzulassen, sich der Musik hinzugeben! Nach besagtem „Five Seconds“ folgt „Run My Heart“, ein bittersüßes Liebeslied. Den Versuch, sich selbst einzureden „Im not in Love“ nehmen wir nicht so ganz ernst, sondern lassen uns und unsere Welt lieber eintauchen in den retroesken Sepia-Look von Twin Shadows Pop-Songs. „This isn’t love. I’m just a boy and you’re just a girl“; und fast sind wir geneigt, zu glauben, das könnte genügen – und wenn nicht, dann suchen unsere verletzten Gefühle eben Zuflucht und Trost in Twin Shadows Musik. Mit „The One“ klingt Lewis stimmlich noch mehr als gewöhnlich nach Morrissey, auch die Instrumentierung, insbesondere die Gitarren, erinnern extrem an die Großartigkeiten der Smiths.

Und doch sollte man sich nicht täuschen lassen. Zwar bleiben die Ähnlichkeiten, die Lewis‘ Musik schon in „Forget“ stilisiert hatte, dennoch ist auf „Confess“ eine künstlerische und musikalische Weiterentwicklung und Selbstbestimmung deutlich zu erkennen. Lewis Stimme klingt klarer und samtiger als je zuvor, er weiß sich auf seinen Gesang und seine Lyrics zu verlassen. Zwar ist „Confess“ instrumentell wesentlich dichter und voller inszeniert, gleichzeitig aber weniger gegenläufig, die Aufgabe der Klangstruktur ist eher eine geschickte und ergänzende Untermalung als eine Verzerrung. Die Songs sind noch tanzbarer, die Melodien noch eingängiger, die Texte noch offener. Mancher Zuhörer mag das als Mangel an Experimentierfreude und Innovation betrachten. Oder als neu gewonnener Mut, zu dem zu stehen, was Twin Shadow da produziert. Großartigen, tanzbaren Pop, der gleichzeitig treibt und berührt. Lewis braucht dieses Mal keinen Produzenten mehr – nicht mal Chris Taylor von Grizzly Bear, ebenso wenig wie verzerrende Effekte auf seinem Gesang oder ein wirres Klangbild. Auf „Confess“ wird Lewis wesentlich klarer, die Musik gibt seiner Stimme und seinen (keineswegs oberflächlichen) Texten den Raum, den sie brauchen, um sich endlich ganz entfalten zu können. Beinahe alle Instrumente sind von ihm selbst eingespielt, alle Tracks selbst produziert – alles fließt ineinander, ergänzt sich und wird von einer Energie getrieben, der man nicht entgehen kann.

Lewis nutzt alle Spielereien, die ihm als multiinstrumentelles Kind der technisierten Gegenwart so zur Verfügung stehen, und so strotzt „Beg For The Night“ nur so vor süßen Synthies und vor von Keyboardtuschern untermalter Drummachine. Lewis hat keine Angst mehr, seine Songs auf den Refrain zu konzentrieren und um diesen herum zu drapieren wie ein Stück Samtstoff. Ein Liebeslied zwar, aber eines zum wilden Tanzen. „Patient“ fordert uns auf, gerade das zu tun, Synthies, die nach Prince klingen, werden ergänzt durch Stromgitarren und „Afrika“-Drums. „When The Movie’s Over“ lockt mit einem Beat, der irgendwie an Depeche Mode denken lässt und durch Backgroundchor und Lewis‘ verführerische Stimme zum (pardon!) perfekten Popsong mutiert.

Mit „I Don’t Care“ beweist Twin Shadow uns dann aber endgültig, dass die Rolle des Machos nichts als pure Pose ist. Und enthült das Geheimnis des nicht unerträglichen Liebeslieds – nicht schnulzig, sondern ehrlich. Tatsächlich hält sich die Instrumentierung hier zumindest so weit zurück, dass der Song als Ballade durchgeht, Klavierbegleitung und deepe Baselines ergänzen sich zu einem dramatischen Klangvorhang, der uns umgibt: „Let me know you’re innocent and tell me all the things you’ve done and talk about the parties and them boys that you got them done. I don’t care, long as you can dance me around the room while you lie to me.“ George Lewis Jr. schlingt die Arme um sich selbst, tanzt und wir tun es ihm gleich – in Gesellschaft mit uns alleine gelassen. Der letzte Song „Be Mine Tonight“ packt uns noch einmal: „Be mine tonight, if you can’t go home“, nein können wir nicht – und drücken deshalb gleich noch mal auf Start, um uns von Twin Shadow in eine Welt entführen zu lassen, in der alles gesagt werden kann, in der man auch mit gebrochenem Herz glücklich werden kann. Man möge mir bitte diese furchtbare Formulierung verzeihen: in die Welt des wunderschönen Popsongs!

Das ByteFM Album der Woche.

Jeden Tag von Montag bis Freitag spielen wir im ByteFM Magazin zwischen 10 und 12 Uhr einen Song aus unserem Album der Woche. Ebenso im ByteFM Magazin am Nachmittag zwischen 15 und 17 Uhr und im ByteFM Magazin am Abend ab 19 Uhr. Die ausführliche Hörprobe folgt am Freitag ab 13 Uhr in Neuland, der Sendung mit den neuen Platten.

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