Von Schlampen, Schlitzen und Löchern

Von Klaus Walter, 12. August 2011

Wie hier in Ottawa finden nun auch in Deutschland die Slutwalks statt (some of rebecca's photos | Flickr | cc-by-sa 2.0)
Wie hier in Ottawa finden nun auch in Deutschland die Slutwalks statt (some of rebecca’s photos | Flickr | cc-by-sa 2.0)

Namedropping ist eine Krankheit des männerdominierten Popjournalismus. Im folgenden Text werden reichlich Namen fallen. Namen wie Schlampen, Schlitze, Löcher, Sexmiezen, Huren sind von Bedeutung, wenn es um das Phänomen Slutwalk geht. Die ersten Schlampen-Demonstrationen steigen an diesem Wochenende in fünf deutschen Großstädten.

An der New Yorker Universität wurde kürzlich das 20-jährige Jubiläum des Riot-Grrrl-Sommers mit einem Kathleen-Hanna-Tribute Konzert gefeiert. Als Mitbegründerin der Band Bikini Kill (!) und später mit Le Tigre (Raubkatze) ist Hanna die bekannteste Stimme der Riot-Grrrl-Bewegung. Bei besagtem Konzert gab Coco Gordon-Moore den Signatursong von Bikini Kill zum Besten, er heißt „Rebel Girl“. Coco Gordon-Moore ist die Tochter von Kim Gordon und Thurston Moore, dem auch im fortgeschrittenen Alter notorisch glamourösen Ehepaar im Zentrum von Sonic Youth (Jugend). Vom ersten Tag an nutzte Kim Gordon ihre Prominenz, um den Riot Grrrls Aufmerksamkeit und Gehör zu verschaffen. Mit ihrem Bandprojekt Free Kitten – mit Julie Cafritz von der Band Pussy Galore (!) – ist Gordon selbst Teil dieser Jugendbewegung, in der feministisch gestimmte Jugendliche aller Altersklassen und Geschlechter für sexuelle Freiheit und Selbstbestimmung ag(it)ieren, acten, performen, Musik machen. Free Kitten, noch so ein Name. Kitten ist eine kleine (Mieze-)Katze, als Sex Kitten gilt umgangssprachlich eine sexually provocative female.

In der aufgeklärten New Yorker Noise-Boheme um die kommunizierende Großröhre Sonic Youth ist der Generationskonflikt, wie wir ihn kannten, ausgestorben. Pubertierende Töchter und Söhne verwandeln sich hier nicht in christliche Fundamentalisten, Satanisten oder Neonazis, um die Alten zu schocken. Nein, sie singen Riot-Grrrl-Kracher aus der wilden Zeit der Eltern, wie Coco Gordon-Moore. Mom & Dad stehen wohlwollend dabei oder gleich mit auf der Bühne, immer auf Du und Du mit der neuesten Jugendbewegung. Manche finden das berufsjugendlich. Die Grrrls aus dem Sommer 91 werden langsam Omas. Die Gründe, weshalb sie damals Riots angezettelt, Bands gegründet und Netzwerke geknüpft haben, sind nicht verschwunden. Einen weiteren Grund lieferte im Frühjahr ein kanadischer Polizist. Bei einem Vortrag zum Thema Sicherheit an der Universität Toronto gab er dem weiblichen Publikum einen gutgemeinten Rat: „Frauen sollten sich nicht wie Schlampen kleiden, um nicht schikaniert zu werden.“

Der Spruch ging um die Welt, seither gibt es an jedem Wochenende Slutwalks. In Australien, in den USA und jetzt auch in Deutschland gehen Frauen auf die Straße. Wie Schlampen, leicht bekleidet, aufreizend, sexy. Und bestehen auf ihr Recht, nein zu sagen. No Means No (auch ein Bandname). In den Köpfen mancher Männer lassen sich diese beiden Botschaften nur schwer vereinbaren. Man nennt das auch: Text-Bild-Schere. Kerstin Grether präzisiert: “Ich habe den Eindruck, dass Demonstrantinnen auf Transparenten zum Ausdruck bringen, was sie schon immer mal gedacht haben, wenn sie belästigt wurden. Jede trägt die Geschichte ihrer eigenen Belästigung oder Vergewaltigung auf einem Transparent. Die knappe Kleidung ist der Versuch eine Pornofantaise darzustellen, dann aber als Pornofigur einen gegensätzlichen Text zu sprechen.

Diese Widersprüchlichkeit macht die Slutwalk-Bewegung so interessant.“ Mit ihrer Zwillingsschwester Sandra unterstützt Kerstin Grether die neue Bewegung, beim Slutwalk-Warm-Up in Berlin spielten sie gestern mit ihrer gemeinsamen Band Doctorella. Als Autorinnen und Musikerinnen kämpfen die Grether-Schwestern seit vielen Jahren im Minenfeld der Popkultur um Respekt und das Recht auf Selbstbestimmung, auch in sexuellen Fragen. Lange vor den ersten Slutwalks spielen beide mit Enthusiasmus und Hartnäckigkeit die Rolle der bewusst nervenden Bilderbuch-Schlampe. Und nehmen das F-Wort in den Mund. „Das Neue am Slutwalk ist, dass er bewusst das Klischee widerlegt, dass Feministinnen humorlos sind und körperfeindlich.“

Antifeministische Stereotype wie die ewige lila Latzhose sind so alt wie der Feminismus selbst, daran werden auch die elegantesten, coolsten Feministinnen nichts ändern, keine Beauvoir, keine Bovenschen. Antifeministen achten hierzulande penibel darauf, dass in der öffentlichen Rede über Feminismus immer nur der Name Alice Schwarzer auftaucht, als sei die EMMA-Herausgeberin die erste, einzige und letzte Feministin und, schlimmer noch, als sei der Feminismus, den sie repräsentiert, der erste, einzige und letzte. Als sei Stalin das einzige Gesicht sämtlicher linken Bewegungen der Geschichte…

Dass Schwarzer diese Rolle ihrer Fähigkeit verdankt, sich wie kaum eine andere Frau im publizistischen Gewerbe gegen männliche Platzhirsche zu behaupten, macht die Sache nicht besser. Die Reduktion unterschiedlichster feministischer Strömungen auf die Person Schwarzer erspart die Auseinandersetzung mit diesen Strömungen und begünstigt ihre Marginalisierung. Ob Girlism, Queer Studies oder Riot Grrrls, solche Phänomene bekommen wenig mediale Aufmerksamkeit, sie bleiben im subkulturellen Schatten der EMMA-Herausgeberin und BILD-Kolumnistin. Kerstin Grether verknüpft lose Enden zu einem historischen Kontinuum: „Bilder der Slutwalks erinnern an die Riot-Grrrl-Bewegung. Anfang der 90er Jahre gab es viele wütende junge Frauen, die lautstark protestiert haben, Bands wie Bikini Kill, Hole oder Sleater-Kinney haben sich Worte wie Slut auf die Haut geschrieben um zu zeigen, dass sie diese Abwertung nicht mehr mitmachen.“

Umwidmen, aneignen, Spieß umdrehen, nicht erst seit den Slutwalks eine Strategie von diskriminierten Minderheiten. Auch schwul war ja mal ein Schimpfwort. Heute hat sogar die CDU ihre Schwulen- und Lesben-Union, ist vielleicht auch gut so.

„Als Musikerin reizt mich am Slutwalk besonders der Pop-Aspekt, den wir aus dem HipHop kennen, dass man ein negatives Wort wie Slut oder Nigger so lange schreit, singt, skandiert und feiert bis es ein positives Wort ist und damit die Betroffenen nicht mehr beleidigen kann. Man gibt damit die Beleidigung zurück.“ Beleidigung zurückgeben, Retourkutsche, diese Kulturtechnik kannten schon die Großmütter der heutigen Schlampen. Auch die Slits waren Sluts. Im England der Punkrevolte Ende der 70er kämpfen Frauen offensiv um sexuelle Selbstbestimmung und Selbstdarstellung. Sie geben sich Namen wie Girls At Our Best, The Raincoats oder The Au Pairs…Oder gleich The Slits. Wenn ihr uns reduzieren wollt auf hirnlose Sexmaschinen, dann drehen wir den Spieß um und nennen uns: die Schlitze. Auf dem Cover ihrer LP tragen The Slits 1979 keine Latzhosen. Sie tragen Lendenschurz und sonst nichts, die nackten Brüste sind mit braunem Schlamm bedeckt. Schlamm-pen, Slits & Sluts.

In puncto Selbstinszenierung und Bandname zeigt die meistgehasste Pop-Schlampe (und -Witwe, Yoko Ono verdrängt!) der Neunziger Jahre Sinn für Tradition. Courtney Love lässt gern die Hüllen fallen, ihre Band nennt sie Hole. Loch. Für die autoerotisch-narzisstische Komponente ihres heiteren Exhibitionismus fand eine Kritikerin ein hübsches Bild: „Courtney Love zeigt ihren Brüsten gerne mal das Publikum.“ Wir wissen nicht, ob Courtney Love ihren Brüsten auch den Slutwalk zeigt, wenn es nach Sandra Grether geht, wird ihre Band zumindest musikalisch vertreten sein. “Der Song „Ask For It“ von Hole passt gut zum Slutwalk, weil schon im Titel ein wesentlicher Punkt, angesprochen wird, nämlich die Frage, ob man eigentlich danach gefragt hat.“

Der Artikel ist auch in der taz vom 12.08. erschienen. Sluts auf die Ohren gibt es am kommenden Sonntag in der Sendung Was ist Musik von unserem Autor Klaus Walter – ab 20 Uhr.

Das könnte Dich auch interessieren:



Diskussionen

2 Kommentare
  1. posted by
    Presseschau 12.08.: Arschcoolness : ByteFM Magazin
    Aug 12, 2011 Reply

    […] Selbstbestimmung. Klaus Walter berichtet in der taz. Als extended version ist der Artikel bei uns nachzulesen. Sluts auf die Ohren gibt es am kommenden Sonntag in Was ist Musik ab 20 Uhr mit Klaus […]

  2. posted by
    David Engmann
    Jul 31, 2014 Reply

    Selbstbestimmung was ist das, Ihr redet von Schlampen Ihr wisst doch wo sie hingehören !
    David

Deine Meinung

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert