19.11.: Kritik an der Kritik


In der Welt sinniert Schriftsteller und DJ Hans Nieswandt über die Eignung des DJs zum Politiker. Der Text basiert auf Auszügen seines neues Buches „DJ Dionysos: Geschichten aus der Diskowelt“ und handelt von der obskuren Karriere des madegassischen DJ-Präsidenten Raejolina. Kein Witz! Der heute 36-jährige DJ war zunächst Bürgermeister der Hauptstadt und wurde 2009 durch einen Militärputsch an die Macht gespült. Einerseits äußerst populär, da er einen Deal mit dem koreanischen Konzern Daewoo cancellte, der die Insel zwecks Reisanbau quasi kaufen wollte, mutierte er andererseits zum Jung-Berlusconi. Er besitzt einen Fersehsender, eine Werbeagentur (1999 von ihm als erste Werbeagentur Madagaskars gegründet) und trägt den Spitznamen TGV, nach dem französischen Hochgeschwindigkeitszug. Auch Deutschland hat potentielle DJ-Präsidenten. Nicht Guido Westerwelle, nicht Karl-Theodor zu Guttenberg, sondern Jürgen Trittin! Sein Stage-Name: DJ Dosenpfand.

Peinlich findet die NZZ die letzten Auftritte und Alben von Kanye West. Sein neues Album wird von der Zeitung aber hochgelobt. „Kanye West, der Mann mit dem aufgeblasenen Ego, hat sie sich selber komponiert.“ Musikalische Veschwendungssucht. „Mehr Pop, mehr Bombast, mehr Dramatik, mehr Anspruch, mehr Trash, mehr Poesie, mehr Blabla. Die 68 Minuten und 41 Sekunden quellen vor Einfällen, Statements, Messages und Gästen über.“ Die neue Platte von Kanyes Protégé Kid Cudi wird ebenfalls besprochen. Auch der hatte in der Klatschpresse von sich reden gemacht. Er kokste, kiffte, attackierte einen Fan und flog aus dem Vorprogramm von Lady Gaga. Voller Absturz-und-Läuterung-Geschichten ist deshalb das nun erschienene Album aber die „ergiessen sich zu oft im Selbstmitleid und gleiten in klischierte Pop-Tristesse ab.“

So gemein können Popkritiker sein! Doch denen gehört die Zukunft, behauptet zumindest Julian Weber in der taz. Im letzten Teil der Serie über Musikkritik glaubt er, dass gerade diese den Ausweg aus dem Dschungel – ja welchem Dschungel denn? – kenne weil sie sich mit der Materie am eingehendsten beschäftigten.
Einen Weg, den die Popmusik derzeit gehe, prophezeit er einem Exkurs über eine neue Welle der Entschleunigung. Screw, Drag oder Witch House nennt sich diese extrem verlangsamte Musik, die aus den USA kommt und nun auch Europa erreicht hat. Dann geht Weber aber doch noch ein auf die Popmusikdebatte. Das Problem: Dem Pop und damit auch der Arbeit seiner KritikerInnen wird mit zu wenig Respekt begegnet. Des Weiteren meint er, besonders in Deutschland sei es zu einer Verbürgerlichung des Pop-Diskurses gekommen. „Da ist es wichtiger, unbedingt als erster das Jubiläum des Labels City Slang zu erwähnen, um dann in einem hanebüchenen Parcours über 20 Jahre Indierock Kurt Cobain und seine Band Nirvana beim US-Label SST einzugemeinden.“

Nicht als Erste gratuliert die Frankfurter Rundschau City Slang zum 20. Geburtstag. Ohne Kurt Cobain, dafür mit Courtney Love, dem ehemaligen Zugpferd des Labels.

Über Künstler, die dem Druck der Musikbranche nicht mehr statthalten, schreibt Die Zeit.
„Drogen aller Arten, Beruhigungspillen gegen Lampenfieber, Vitamin C fürs hohe C, Glukosamin gegen streikende Gelenke – hinter den Kulissen ist das an der Tagesordnung.“ Es geht hier jedoch nicht um Drogensüchtige, ausgebrannte Rock- und Popmusiker, vielmehr werden als Beispiel Stars aus der klassischen Musiksparte, wie Sänger Rolando Villazon oder Pianistin Hélène Grimaud. Die Überforderung habe System, längst seien es nicht mehr blutrünstige Agenturen oder geldgeile Plattenfirmen, die „den erschöpften Rampenlichtarbeiter mit dem Nudelholz des Profits“ vor sich her trieben. Die Angst, zu versagen und von der Bildfläche zu verschwinden dränge die Künstler zur Selbstaufopferung und Selbstzerstörung.

Elvis Costello plagen solch Versagensängste offensichtlich nicht und auch vor Musikkritikern scheint er sich nicht zu fürchten. In einem Interview mit dem Spiegel Online behauptet er, sich nie um die Meinung sogenannter Musik-Autoritäten geschert zu haben, da diese ja nicht diejenigen seinen, die Platten kauften. Die einzigen Leute auf die es ankomme, seien das Publikum. Das klingt erst mal ziemlich geldgeil. Nur wer kauft ist wichtig? Aber auch Costello hat erkannt, dass die Musikindustrie nicht mehr ganz so viel Geld wie früher abwirft. Für eine so aufwändige Produktion wie sein neues Doppelalbum „National Ransom“ müsse man sich „überlegen, ob man sein eigenes Erspartes dafür opfert, um ein so aufwendiges Album herzustellen, das am Ende vielleicht nur zwölf Kopien verkauft.“ Auch wenn er viel selbst finanziere, ganz ohne Plattenfirma ginge es oft doch nicht: „Ich brauche jemanden, der mir das Geld vorstreckt, es mir leiht, wenn Sie so wollen. Die Plattenfirma ist wie eine Bank, und das Bild passt auch deshalb so gut, weil die Labels inzwischen multinationale Konzerne sind, bei denen immer weniger Leute arbeiten, die sich für Musik interessieren oder sich mit Musik auskennen.“

Trotz oder gerade wegen aller finanziellen Probleme stellen immer mehr Künstler ihre Musik gratis zur Verfügung. Ein Prinzip, das nun selbst große Labels als Promo-Masche nützen. Eine Debatte, ob dies den Musikern mehr schade denn nütze führt Guardian Autorin Helienne Lindvall auf ihrem Blog.

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